Süddeutsche Zeitung

Paläomagnetologie:Erde ohne Schutzschild

Vor 42 000 Jahren sollen sich die magnetischen Pole des Planeten laut einer Studie abrupt umgekehrt haben - mit katastrophalen Folgen für Klima und Frühmenschen. Doch einige Experten äußern Zweifel an der Darstellung.

Von Paul Voosen

Vor einigen Jahren gruben Arbeiter in Neuseeland auf der Baustelle eines neuen Kraftwerks ein Zeugnis aus einer vergessenen Zeit aus: den 60 Tonnen schweren Stamm eines Kauri-Baums, der größten Baumart Neuseelands. Er wuchs vor 42 000 Jahren. Ein Moor hatte ihn konserviert. Seine Baumringe umfassen 1700 Jahre und damit eine turbulente Zeit, in der die Welt auf den Kopf gestellt wurde - zumindest magnetisch gesehen.

Messungen in diesem und anderen Holzstücken ließen auf einen sprunghaften Anstieg der Strahlung aus dem Weltraum zu jener Zeit schließen, weil das schützende Magnetfeld der Erde zusammenbrach und sich die magnetischen Pole umkehrten. So berichtet es ein Team von Wissenschaftlern in einer aktuellen Studie im Wissenschaftsjournal Science. Die Strahlung hätte die Atmosphäre laut ihrer Modellrechnung derart gestört, dass das Klima der Erde kurzzeitig aus den Fugen geriet. "Wir kratzen nur an der Oberfläche dessen, was der geomagnetische Wandel bewirkt hat", sagt Alan Cooper, ein auf alte DNA spezialisierter Forscher am South Australian Museum und einer der Hauptautoren.

Die Studie bestimme nicht nur detailliert den Zeitpunkt und das Ausmaß des Magnetfeldwechsels - des jüngsten in der Erdgeschichte - sondern argumentiere auch glaubhaft, dass derartige Wechsel das globale Klima beeinflussen können, sagt Quentin Simon, ein Paläomagnetologe am Europäischen Zentrum für Forschung und Lehre der Umweltgeowissenschaften (CEREGE) im französischen Aix-en-Provence. Allerdings sind andere Paläoklimatologen skeptisch, was die weitreichenden Schlussfolgerungen des Teams betrifft.

Das Magnetfeld schwächte sich auf sechs Prozent der heutigen Stärke ab

Das Magnetfeld der Erde wird vom Fluss geschmolzenen Eisens in ihrem äußeren Kern erzeugt. Dieser ist anfällig für chaotische Schwankungen, die nicht nur das Magnetfeld schwächen, sondern auch die Pole wandern lassen und manchmal ganz umkehren. Die magnetische Orientierung von Mineralien in Gesteinsproben bezeugt zwar sehr langsame Feldumkehrungen, kann aber keinen Aufschluss über einen Pol-Wechsel geben, der nur einige Hundert Jahre dauerte - wie jenen vor 42 000 Jahren. Das Kohlenstoff-Isotop C14 kann diese kürzeren Fluktuationen jedoch anzeigen. Das Isotop entsteht, wenn geladene Partikel aus dem Weltall das Magnetfeld der Erde durchbrechen und die Atmosphäre treffen. Pflanzen und andere Organismen bauen es beim Wachsen in ihr Gewebe ein. Das Team um Cooper nutzte die Radiokarbonmethode, um im Baum-Fossil nachzuvollziehen, wie sich der Gehalt des Isotops veränderte, als das Magnetfeld verebbte und wieder stärker wurde.

Eine Zunahme der C14-Konzentration in den Jahresringen des Kauri-Baumes deutet darauf hin, dass sich das Magnetfeld vor 41 500 Jahren auf sechs Prozent der heutigen Stärke abgeschwächt hatte. Zu diesem Zeitpunkt kehrten sich die Pole um und das Feld erholte sich etwas, bevor es wieder zusammenbrach und sich 500 Jahre später erneut umdrehte. Mitentdecker Alan Cooper sagt, dass nicht nur der Strahlenschutzschirm der Erde herunterfuhr, sondern auch jener der Sonne. Belege aus Eisbohrkernen deuten darauf hin, dass die Sonne etwa zu dieser Zeit einige "große solare Minima" durchlief - Phasen geringer magnetischer Aktivität. Der dadurch ausgelöste kosmische Strahlensturm habe die Erdatmosphäre stark aufgeladen. Ein derartiges Bombardement würde heute Stromnetze lahmlegen und Polarlichter in den Subtropen erzeugen, sagt Cooper.

Die Folgen der rasanten Pol-Wechsel untersuchte das Team anhand eines Klimamodells. Die Ergebnisse legen nahe, dass der kosmische Beschuss die Ozonschicht zersetzte. UV-Strahlung hatte somit freiere Bahn, was Windströmungen in großer Höhe durcheinanderwirbelte und insgesamt zu drastischen Veränderungen auf der Erdoberfläche führte. Dazu hätten ein wärmeres Nordamerika und ein kälteres Europa gezählt, sagt Marina Friedel, eine Doktorandin in Stratosphären-Chemie an der ETH Zürich und Mitautorin der Studie.

Ereignisse der Menschheitsgeschichte wollen nicht recht zur Magnetfeldumkehr passen

An diesem Punkt werde die Studie zu spekulativ, kritisieren andere Wissenschaftler. So bekunden Eisbohrkerne aus Grönland und der Antarktis, welche die vergangenen 100 000 Jahre abdecken, zwar alle paar Tausend Jahre starke Temperatur-Umschwünge. Vor 42 000 Jahren findet sich in den meisten dieser Proben jedoch keine Verschiebung, abgesehen von einigen Eiskernen aus dem Pazifikraum. Doch selbst wenn der Wandel vor allem in den Tropen geschah, sollte er im Eis sichtbar sein, sagt Anders Svensson, ein Gletscherforscher von der Universität Kopenhagen. "So etwas sehen wir einfach nicht."

Die Studienautoren gehen noch weiter und argumentieren, dass der prähistorische Klimawandel eine Flut seltsamer Ereignisse vor 42 000 Jahren erklären könnte - wie etwa das Aussterben großer Säugetiere in Australien zu jener Zeit. Neandertaler verschwanden in Europa von der Bildfläche, und kunstvolle Höhlenmalereien tauchten in Europa und Asien auf. Dennoch: Keiner dieser Meilensteine der menschlichen Evolution stimme zeitlich sehr gut mit dem magnetischen Flip vor 42 000 Jahren überein, sagt der Archäologe und Radiokarbon-Experte Thomas Higham von der Universität Oxford. Die Ereignisse seien auch nicht sehr plötzlich eingetreten. Sie mit der Feldumkehrung in Verbindung zu bringen, "scheint mir die Evidenz zu weit zu strecken".

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: cvei

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