Der Mann gilt gegenwärtig als Cocktail der Unzulänglichkeiten. Als Auslaufmodell und Problemfall geschmäht, soll er sich bitte schön neu erfinden, endlich alle seine Fehler einsehen und sich auf den Pfad des Lichts führen lassen. Zu den zahlreichen, in klassischen und sozialen Medien überbrachten Erwartungen an den Mann als solchen zählt auch die Aufforderung, er möge sich von alten Rollenbildern verabschieden und seine Gefühle offenbaren: Auch mal Schwäche zeigen beziehungsweise zulassen, statt Leiden in sich hineinzufressen und daran zugrunde zu gehen. Da könne der Mann als solcher, dringt dann gerne aus den erwähnten Kanälen, sehr von Feminismus und Gleichberechtigung profitieren und von Geschlechter-Stereotypen befreit ein besseres, ein glücklicheres, freieres Leben führen.
Doch trifft das auch zu? Gerade haben Psychologinnen um Sabine Sczesny von der Universität Bern eine Studie im Fachjournal Psychology of Women Quarterly publiziert, die ein paar Zweifel schürt. Mit voranschreitender Gleichberechtigung, so lässt sich das Ergebnis der Arbeit grob zusammenfassen, lösen sich die alten Rollenerwartungen eher nicht auf – im Gegenteil, womöglich verstärken sie sich sogar.
Für die Arbeit analysierten die Wissenschaftlerinnen Daten von 4327 Probanden aus sechs Ländern: den USA, der Türkei, Indien, Ghana, Schweden und der Schweiz. Überall galten Zeichen der Schwäche bei Männern als Signal für niedrigen sozialen Status. Offenbarten Männer hingegen Tatkraft und Stärke, galt den Probanden dies erstens als erstrebenswert und zweitens als Zeichen eines hohen sozialen Status. Diese Zusammenhänge – und das ist nun der Knackpunkt – waren in den Ländern besonders ausgeprägt, in denen es im Vergleich besser um die Gleichberechtigung der Geschlechter bestellt war. Polemisch ließe sich das also so formulieren: In progressiven Gesellschaften gilt erst recht, dass nur Loser Schwäche zeigen – allen vordergründigen Beteuerungen und Beschwörungen zum Trotz.
Was mit Dingen für die Männer, was mit Menschen für die Frauen
Die Ergebnisse passen zu Studien, die unter dem Begriff „Gender Equality Paradox“ in die Forschungsliteratur eingegangen sind. Diese zum Teil natürlich nicht unumstrittenen Arbeiten zeigen, dass Männer und Frauen in vielerlei Hinsicht gerade in wohlhabenden, geschlechtergerechten Staaten Stereotypen entsprechen. Zum Beispiel entsprechen die Berufswünsche junger Frauen und Männer in solchen progressiven Staaten eher den Klischees: was mit Dingen für die Männer, was mit Menschen für die Frauen. Persönlichkeitsunterschiede scheinen sich unter Gleichheitsbedingungen ebenfalls zu verstärken. Und auch die Naturwissenschaften oder die Mathematik gelten dort mehr als männliche Domäne als in weniger fortschrittlichen Staaten.
Woran das liegen könnte? Ein Erklärungsansatz lautet, dass sich die Menschen in wohlhabenden Ländern eher gemäß ihren Interessen entfalten können, da sie von wirtschaftlichen Zwängen im Vergleich eher befreit sind. Ob das zutrifft? Schwer zu sagen – es ist zumindest eine Möglichkeit. Was hingegen der Erfahrungsschatz vieler Männer bereithält: Wer seine Leiden und seine Schwäche zeigt, stößt damit selten auf Wohlwollen – und lässt es dann wieder.