Luftfahrt:Flug mit Flatter-Kompass

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Der magnetische Nordpol wandert unaufhaltsam Richtung Nordwesten - eine Veränderung, die nicht nur Kartenmacher, sondern auch Piloten vor Herausforderungen stellt.

Alexander Stirn

Startbahn 27 auf dem Internationalen Flughafen von Tampa existiert nicht mehr. Die Natur hat sie von der Landkarte gewischt. Doch es waren nicht Erdbeben oder Hurrikane, die der Betonpiste zugesetzt haben. Es war das irdische Magnetfeld. Jahrzehntelang wussten Piloten, dass sie auf ihrem Kompass einen Kurs von 270 Grad - also genau nach Westen - einschlagen mussten, um sicher auf der Bahn in Florida aufzusetzen. Seit dem 13. Januar, dem letzten Tag von Runway 27, müssen sie umdenken. Die Landebahn ist nun als Runway 28 in allen Karten und Verzeichnissen aufgeführt, der grobe Kurs lautet 280 Grad.

Die Orientierung im Luftverkehr beruht auf dem Magnetfeld der Erde. Dessen Ausrichtung ändert sich, daher müssen Steuerkurse, Karten und die Bezeichnung für Landebahnen erneuert werden. (Foto: dpa)

Dabei hat sich an der Bahn selbst überhaupt nichts verändert, sie liegt noch immer genauso in der Landschaft wie vor 20 Jahren. Was sich geändert hat, ist die Position des magnetischen Nordpols: Der vermeintliche Fixpunkt aller Navigatoren wandert unaufhaltsam Richtung Nordwesten - eine Veränderung, die nicht nur Kartenmacher, sondern auch Piloten vor Herausforderungen stellt. Trotz Unterstützung durch GPS und Fluglotsen muss ihnen stets bewusst sein, dass die magnetische Navigation zwar ein phantastisches, aber auch ein fehlerbehaftetes Hilfsmittel ist.

Verantwortlich für das unstete Verhalten des Magnetfelds sind Vorgänge, die sich tief im Innern der Erde abspielen: Der äußere Erdkern, eine mehrere 1000Grad Celsius heiße, elektrisch leitfähige Schmelze, ist ständig in Bewegung. Er induziert dabei ein Magnetfeld, das an der Oberfläche deutlich messbar ist, dessen Ausrichtung aber nicht mit der Rotationsachse der Erde übereinstimmt. "Das Ganze ist ein äußerst dynamischer Prozess, der dazu führt, dass der magnetische Pol ständig wandert", sagt Monika Korte, Geophysikerin am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam.

Erstmals konnte der Magnetpol vor 180 Jahren vermessen werden, seitdem haben die Wissenschaftler eine stetige Veränderung registriert - um insgesamt mehr als 1000 Kilometer. "In den vergangenen Jahren hat sich die Wanderung sogar noch beschleunigt", sagt Korte. Derzeit verschiebt sich der magnetische Pol um etwa 55 Kilometer pro Jahr von Kanada in Richtung Sibirien.

Egal ob Wanderer, Segler oder Pilot, jeder, der sich bei der Navigation am Magnetfeld orientiert, muss auf diese Veränderungen reagieren: Die Nadel eines Kompasses zeigt stets zu dem Punkt, an dem die Feldlinien des irdischen Magnetfeldes senkrecht aus dem Boden kommen. Da dieser magnetische Pol 800Kilometer vom geografischen Nordpol entfernt ist, weichen Kompasse stets vom echten Norden ab. Der Unterschied wird magnetische Deklination genannt. Ihr Wert ist, zum Verdruss der Navigatoren, alles andere als konstant.

Besonders die Luftfahrt ist gefordert: Sämtliche Steuerkurse, Windrichtungen und Funkfeuer sind am Magnetfeld ausgerichtet; so stimmen sie stets mit der Kompassanzeige im Cockpit überein. Wandert der magnetische Nordpol, müssen diese Angaben angepasst werden. Am deutlichsten bemerkbar macht sich das an den Landebahnen. Jede Bahn hat eine eindeutige Nummer, die durch ihre magnetische Orientierung auf der Kompassrose bestimmt wird. Die Angaben werden dabei mit einer Genauigkeit von zehn Grad auf- oder abgerundet. Verläuft eine Bahn zum Beispiel westwärts mit einer Richtung von 273 Grad, bekommt sie die Nummer 27.

Wandert nun der Nordpol, verändert sich die auf dem Kompass angezeigte Richtung der Landebahn, zum Beispiel auf 276 Grad. Es muss aufgerundet werden. Die Bahn bekommt die Nummer 28. In der Praxis sind solche Änderungen mit großem Aufwand verbunden. Es müssen nicht nur sämtliche Karten ausgetauscht werden, auch die Beschriftung der Bahnen sowie die gesamte Beschilderung auf dem Rollfeld muss geändert werden. Als es in Tampa am 13. Januar so weit war, wurde der Flugbetrieb für kurze Zeit lahmgelegt.

Der Eingriff ist nicht ungewöhnlich. Als der Flughafen Düsseldorf in den 1960er Jahren gebaut wurde, hatte seine Startbahn noch die Nummer 06; heute wird sie als 05 angeflogen. Auch am Münchner Flughafen machen sich die Einflüsse des Magnetfelds bemerkbar. Um zwei Grad und 13 Minuten weicht die Magnetnadel derzeit nach Osten ab. Im Mai 1992, als der Flugbetrieb im Erdinger Moos aufgenommen wurde, waren es nur null Grad und 18 Minuten.

All diese Werte müssen in den Luftfahrtkarten verzeichnet sein. Eher langfristig angelegte Karten enthalten zudem Angaben zur jährlichen Veränderung der Deklination. In München zum Beispiel soll die Abweichung im Jahr 2015 bereits bei zwei Grad und 42 Minuten liegen. "Möglich werden solche Prognosen durch globale Modelle, die die Deklination für jeden Punkt der Erde berechnen und so vorhersagen können", sagt Korte.

Die Modelle speisen sich aus den Erfahrungswerten der Vergangenheit, ihre Genauigkeit wird regelmäßig von geomagnetischen Observatorien und speziellen Satelliten überprüft. Die aktuellen Modelle decken dabei den Zeitraum von 2010 bis 2015 ab, erst danach wird wieder ein neues Modell mit verfeinerten Daten entworfen. Das heißt aber auch, dass die Modellrechnungen zum Ende ihrer Lebenszeit immer ungenauer werden. "Für den praktischen Nutzen der Navigation sind die Daten aber selbst nach fünf Jahren noch ausreichend", sagt Korte.

Axel Raab, Sprecher der Deutschen Flugsicherung, kann das bestätigen. "Unsere Karten und Routen werden normalerweise geändert, wenn sich die Werte um ein Grad verändert haben. Das ist in Deutschland in der Regel nach sieben Jahren der Fall." Mitunter sind aber auch schnellere Anpassungen nötig. Raab erinnert sich an einen Fall, in dem sich Anwohner über geänderte Flugrouten beschwerten. Die Flugsicherung hatte ihre Kurse allerdings nicht angetastet, lediglich die magnetische Deklination war größer geworden. Allein dadurch hatten sich die Flugrouten um einige hundert Meter verschoben.

Die Piloten in modernen Verkehrsflugzeugen müssen sich mit all dem kaum noch herumschlagen. Sie erhalten vom Bordcomputer oder von den Fluglotsen einen Steuerkurs, der sowohl um die magnetische Deklination als auch um die Windrichtung korrigiert ist. So können die Piloten stur nach Kompass fliegen. Dann wiegt es auch nicht mehr so schwer, dass die Magnetnadel bei einem Flug über den Nordatlantik verrücktzuspielen scheint: Beim Start in München weicht sie noch um zwei Grad nach Osten ab, über Grönland sind es dann 25 Grad nach Westen. Wer die ganze Zeit stur Westkurs gemäß Kompass fliegen würde, käme niemals ans Ziel.

"Die meisten Piloten nutzen ohnehin intensiv das GPS", sagt Raab. Die Satellitennavigation kann, sobald sich ein Flieger bewegt, sehr genau dessen Richtung bestimmen. Professionelle GPS-Geräte verfügen zudem über Algorithmen, die den wahren Kurs an jedem Ort in einen magnetischen Kurs umrechnen. All das entbindet Piloten nicht von der Pflicht, sich mit der magnetischen Navigation auseinanderzusetzen: Kompass und Funkfeuer sind laut Gesetz die primären Sensoren zur Navigation. Ohne sie darf kein Flugzeug abheben, ohne ihre Kenntnis darf kein Pilot ans Steuerhorn.

Hinzu kommt, dass nicht nur das langsame, mehr oder weniger vorhersehbare Wandern des Magnetpols die Navigation erschwert. Besonders in hohen Breiten können geomagnetische Stürme zu einem Problem werden; hervorgerufen vom Sonnenwind, lenken sie Magnetnadeln um bis zu fünf Grad ab.

Deutlich stärkeren Einfluss haben lokale Anomalien, die auf magnetisierte Gesteine in der Erdkruste zurückgehen - oftmals Überreste vulkanischer Aktivitäten. Sie können die Deklination auf einen Schlag gravierend verändern. Nordwestlich der amerikanischen Stadt Minneapolis wird aus einer Ablenkung um 17 Grad in östliche Richtung beispielsweise innerhalb von zehn Kilometern ein Ausschlag von zwölf Grad nach Westen. An Bord eines jeden Flugzeugs befinden sich daher auch sogenannte Isogonenkarten, die ähnlich einer Höhenkarte für jeden Ort auf dem Globus die magnetische Deklination angeben.

Was die magnetische Zukunft bringen wird, kann niemand genau sagen. "Im Detail verstehen wir diesen Prozess noch nicht", sagt Korte. Eine beschleunigte Wanderung des Nordpols, ein Abschwächen des Magnetfelds, sogar ein komplettes Umpolen sind theoretisch möglich. Bis Nord- und Südpol die Plätze tauschen und alle Navigatoren in die Verzweiflung treiben, dürften aber noch viele tausend Jahre vergehen. Genug Zeit, um eine Alternative zur Magnetnavigation zu finden.

© SZ vom 17.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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