Süddeutsche Zeitung

Luftfahrt:Der große Knall

Etliche neue Überschallflugzeuge sollen in den nächsten Jahren abheben. Die Verkehrsorganisation ICCT warnt nun vor den Folgen für das Klima und vor ohrenbetäubendem Lärm.

Von Patrick Illinger

Sie fliegt zwar nicht mehr, aber besichtigen kann man sie noch, die legendäre Concorde. In diversen Luftfahrtmuseen der Welt können Besucher heute einen Eindruck davon bekommen, wie es einst gewesen sein muss, mit Überschall über den Atlantik zu rasen. Verblüffend eng war es in der Kabine, Champagner und Kaviarhäppchen mussten die Passagiere paarweise auf zusammengepferchten Sitzen einnehmen, wie man sie heute in einem normalen Flugzeug kaum akzeptieren würde. Doch der Luxus, in nur drei Stunden über den Atlantik fliegen, war zahlungskräftigen Passagieren viele Tausend Dollar wert. Die Überschallflüge mit der Concorde waren von 1976 bis 2003 teilweise gut gebucht. Und offenbar ist der Traum noch lange nicht ausgeträumt.

So wie Dutzende Startups weltweit an den Lufttaxis für Kurzstrecken arbeiten, entwickeln mehrere ernst zu nehmende Firmen, manche zum Teil gemeinsam mit Branchenriesen wie Lockheed Martin, neue Überschallfluggeräte für Interkontinentalreisen. In einem Gutachten warnt der renommierte Think Tank ICCT (International Council on Clean Transportation) nun vor den negativen Folgen einer Renaissance der globalen Überschallfliegerei. Die Schockwellen beim Durchbrechen der Schallmauer würden ganze Landstriche regelmäßig mit lauten Knallgeräuschen beschallen. Der erhöhte Lärm bei Start und Landung könnte die Umgebung von Flughäfen unbewohnbar machen, und deutlich höhere CO₂-Emissionen wären Gift für das Weltklima.

Die Umwelt- und Verkehrsexperten vom ICCT gehen in ihrem realistisch anmutenden Szenario von 2000 Überschallflugzeugen aus, die im Jahr 2035 rund 160 Flughäfen ansteuern. Zu den meist frequentierten Flughäfen zählen in diesem Modell Dubai und London-Heathrow. Ausgehend von heutigen Wachstumszahlen und den Prognosen eines der potenziellen Hersteller rechnen die ICCT-Experten an diesen beiden Flughäfen mit rund 300 Starts und Landungen von Überschallflugzeugen pro Tag. Aber auch an Orten wie Los Angeles, Bangkok, New York, Frankfurt und Singapur seien rund 100 Flugbewegungen pro Tag zu erwarten. Aufgrund ihrer geografischen Lage müsste eine ganze Reihe von Ländern mit regelmäßigen Überschall-Knalls rechnen, darunter Irland und Schottland, aber insbesondere auch Deutschland. Zudem würden rund 100 Millionen Tonnen zusätzliches CO₂ pro Jahr in die Erdatmosphäre gelangen. Der globale Verkehrssektor wäre um eine gewaltige CO₂-Quelle reicher. Die ICCT-Gutachter fordern daher von den Herstellern künftiger Überschallflugzeuge, sich bereits heute auf Umweltstandards festzulegen, um die Akzeptanz ihrer Projekte zu sichern. "Vor einer Weiterentwicklung von Überschall-Flugzeugen sollten die Hersteller sich zunächst zur Einhaltung der bereits existierenden Standards für konventionelle Flugzeuge sowie zu weitergehenden Lärmschutzmaßnahmen verpflichten", fordert Dan Rutherford, leitender Autor der ICCT-Studie.

Bereits heute stößt der internationale Luftverkehr so viel CO₂ aus wie ganz Deutschland. Wachsen die Passagierzahlen weiter, dürften sich die Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts verdreifachen. Zudem sei zweifelsfrei nachgewiesen, so die Gutachter, dass Fluglärm schwere gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung am Boden hat. Schlafprobleme, Lernschwächen bis hin zu Herz-Kreislauferkrankungen seien nur einige der negativen Auswirkungen. Der Lärm von Überschallflugzeugen sei nicht nur aufgrund des berühmten Überschallknalls beträchtlich höher als das Röhren herkömmlicher Passagiermaschinen.

Mehrere amerikanische Unternehmen arbeiten derzeit an neuen Überschalljets unterschiedlicher Größe. Das Startup Boom Supersonic plant ein Düsenflugzeug namens Overture mit 55 Sitzen. Bereits 2025 sollen die ersten Maschinen Passagiere aufnehmen. Es wäre das erste Überschall-Verkehrsflugzeug seit dem Ende der Concorde vor 16 Jahren.

Die Triebwerke der Overture sollen leiser sein als die berüchtigten, mit 109 Dezibel brüllenden Motoren der Concorde. Auch verspricht der Hersteller einen weniger lautstarken Übergang in den Überschallflug. Statt eines einzelnen lauten Knalls wäre die Maschine jenseits von Mach 1 aber deutlich hörbarer als klassische Verkehrsmaschinen. Ein weiteres Startup namens Aerion will zusammen mit dem Traditionshersteller Lockheed Martin den Business-Jet AS2 auf den Markt bringen, der eine Art Hybrid ist: Über Land soll die AS2 so schnell fliegen wie herkömmliche Jets, um dann über den Ozeanen auf das 1,4-fache der Schallgeschwindigkeit zu beschleunigen. In diesem Fall wäre zumindest die Lärmbelastung geringer als bei reinen Überschallfliegern.

Im vergangenen Jahr weichte US-Präsident Donald Trump einige der in den USA seit den 1970er Jahren geltenden Beschränkungen für Überschallflüge auf. Die ICCT-Gutachter weisen darauf hin, dass die Hersteller der künftigen Jets den republikanischen Wahlkampf mit beträchtlichen Mitteln unterstützt hätten.

Indem sie die aus heutiger Sicht wahrscheinlichsten Flugrouten für Überschall-Passagierjets untersuchten, kamen die Gutachter auf beeindruckende Zahlen: So könnten bereits im Jahr 2035 rund 560 Überschall-Flüge täglich zwischen Europa und den USA pendeln. Auf deutschem Staatsgebiet wäre mit mehr als 150 Starts und Landungen pro Tag und entsprechend vielen Überschall-Knalls zu rechnen. So gesehen wäre die Zeitersparnis einiger privilegierter Passagiere mit beträchtlichen Nachteilen für die Mehrheit der Bevölkerung erkauft.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2019
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