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Lügen-Forschung:Kleine Momente der Wahrheit

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Selbst Experten scheitern immer wieder, wenn sie die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen bewerten sollen. Doch sogar gute Lügner verraten sich für den Bruchteil einer Sekunde durch ihr Mienenspiel.

Josephina Maier

Lüge oder Wahrheit? An dieser einfachen Frage scheitern forensische Psychologen immer wieder, wenn sie vor Gericht die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen bewerten sollen. Schwitzen, blinzeln oder nervöse Augenbewegungen können zwar auf eine Falschaussage hindeuten, müssen es aber nicht.

Eine Gruppe kanadischer Psychologen will nun nachgewiesen haben, dass sich die wahren Emotionen selbst bei den überzeugendsten Schauspielern auf dem Gesicht zeigen, wenn auch nur für sehr kurze Zeit.

Für ihre Versuche ließen die Forscher von der Dalhousie-Universität in Halifax ihre Probanden zum Beispiel Bilder von niedlichen Hundewelpen betrachten, während sie ein angeekeltes oder ängstliches Gesicht machen sollten. Diese Szenen filmten die Psychologen mit einer Hochgeschwindigkeitskamera und werteten die Sequenzen anschließend Bild für Bild aus.

Nach den Ergebnissen der Studie, die in der Mai-Ausgabe des Journals Psychological Science erscheint, zeigte das Mienenspiel aller Testpersonen zumindest für den Bruchteil einer Sekunde einen gänzlich unpassenden Ausdruck, der ihre wahren Gefühle verriet. Mit dem bloßen Auge waren diese blitzschnellen Veränderungen nicht zu erkennen, sie zeigten sich erst auf den Einzelbildern.

"Der Gesichtsausdruck scheint aufzubrechen und eine andere Emotion schimmert ganz kurz durch", sagt Leanne ten Brinke, die an der Studie mitgearbeitet hat. Mit ihrem Verfahren überprüften die forensischen Psychologen die Grundemotionen Freude, Trauer, Ekel und Furcht.

Die verräterischen Ausdrücke konnten die Forscher bei allen vier Gefühlslagen feststellen, allerdings kamen sie bei der aufgesetzten Freude seltener vor als bei den negativen Emotionen. Traurigkeit oder Ekel, so die Psychologen, seien offensichtlich schwerer vorzutäuschen als positive Emotionen. Auffällig war ebenfalls, dass die unpassenden Züge entweder nur in der oberen oder nur in der unteren Gesichtshälfte aufblitzten.

Ist damit nun die perfekte Methode gefunden, um Lügner vor Gericht zu entlarven? "Das Verfahren ließe sich vielleicht in Situationen anwenden, in denen der Befragte mit einer starken Grundemotion konfrontiert ist", sagt Günter Köhnken, Rechtspsychologe an der Universität Kiel. Es gebe aber auch Psychopathen, die ihre Tat völlig kalt lasse, und Zeugen, die von einer Falschaussage überzeugt seien.

Die kanadischen Forscher selbst betrachten ihre Ergebnisse als Anhaltspunkt: Wenn die verräterischen Ausdrücke auf einem Gesicht auftauchen, sagen sie, müsse man den Zeugen oder Angeklagten noch einmal genauer befragen.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2008/mcs
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