Lübecker Bucht:15 Flaschen Gift spurlos verschwunden

Vor 47 Jahren wurden in der Lübecker Bucht 15 Flaschen mit hochgefährlichem Gift versenkt. Die Bedrohung war den Behörden seither bekannt, doch erst jetzt veranlassten die Verantwortlichen eine Untersuchung.

Axel Bojanowski

In der Lübecker Bucht wurden vor 47Jahren unweit des Strandes 15 Flaschen mit hochgefährlichem Gift versenkt. Die Bedrohung war den Behörden seither bekannt.

Lübecker Bucht: Am 24. April 2001 wurden mehrere Objekte mittels Sidescan-Sonar untersucht, wie auf den Internetseiten des Bundesamtes für Seeschiffahrt zu lesen ist.

Am 24. April 2001 wurden mehrere Objekte mittels Sidescan-Sonar untersucht, wie auf den Internetseiten des Bundesamtes für Seeschiffahrt zu lesen ist.

(Foto: Foto: screenshot)

Doch erst nachdem ein unabhängiger Umweltgutachter kürzlich die Gefahr öffentlich gemacht hatte, veranlassten die Verantwortlichen eine Untersuchung. In der vergangenen Woche fahndeten Experten mit einem Schiff nach den Giftbehältern, die etwas größer sind als Taucherflaschen - jedoch vergeblich.

Vermutlich seien die Behälter "im weichen Schlicksediment im Lauf der Zeit eingesunken", resümiert nun das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie BSH. Kritiker halten diese Einschätzung allerdings für zweifelhaft.

Bereits vor sieben Jahren hat dasselbe BSH nahe des nun kartierten Areals eine Ansammlung von exakt 15 Flaschen am Meeresboden geortet, bei denen es sich womöglich um das gesuchte Gefahrgut handelt. Soll die Bedrohung nun vertuscht werden?

Die Behörden sehen den Fall als erledigt an. Die Suche nach dem Gift werde eingestellt, sagt ein Sprecher des Schleswig-Holsteinschen Innenministeriums auf Anfrage. Es seien keine weiteren Maßnahmen geplant.

Areal wurde mit Schall abgetastet

Die Suche habe "nicht den geringsten Hinweis auf einen Fund gebracht". Mit Schall abgetastet wurde in der vergangenen Woche ein Areal im Umkreis von einer Seemeile um das angebliche Versenkungsgebiet von 1961.

Außer einem Holzpfahl und "einem dichten Netz aus Schleppnetzspuren" von Fischern habe man nichts gefunden, schreibt das BSH in seinem Untersuchungsbericht. Vermutlich lägen die Giftflaschen mehr als 30 Zentimeter tief im Schlick vergraben.

Die Gefahr, dass sich die Behälter in Fischernetzen verfangen könnten, bestehe folglich nicht. Auch Strömungen könnten die Flaschen nicht mehr verlagern, schreibt das BSH.

Bei dem vermissten Gift handelt es sich um 14 Flaschen Kampfstoff aus Chlorgas und Phosgen und eine Flasche Lachgas. Sollte eine Flasche am Strand oder auf einem Fischerboot Leck schlagen, könnten Menschen in der Nähe sterben, warnt der Meeresbiologe Stefan Nehring von der Firma Aqua et Terra Umweltplanung Koblenz, der die Gift-Versenkung öffentlich gemacht hatte.

Dass die Suche nach dem Gift eingestellt werden soll, hält Nehring für "äußerst fahrlässig". Es sei "zwar denkbar aber unwahrscheinlich", dass die Flaschen im Schlick versunken sind.

Womöglich sei der Versenkungsort der Flaschen einst falsch notiert worden und sie befänden sich an anderer Stelle. Oder die Behälter seien von Strömungen oder Fischernetzen umgelagert worden. Dass die Flaschen "durch die Bodenfischerei im Umfeld verteilt worden sind", könne "nicht ausgeschlossen werden", räumt das BSH in einem Bericht ein.

Die Giftstoffe könnten auch mit Meeresströmungen verschoben worden sein, sagt der Meereschemiker Heinrich Hühnerfuss von der Universität Hamburg. "Wir brauchen endlich Klarheit", fordert Michaela Blunk, Fraktionsvorsitzende der FDP in der Lübecker Bürgerschaft, der Fall müsse besser untersucht werden. Lübecks Umweltsenator Thorsten Geißler war am gestrigen Montag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Möglich ist auch, dass das BSH die Flaschen längst gefunden hat. Im Jahr 2001 hatte das BSH mit Schallgeräten auf halbem Weg zwischen Strand und dem nun untersuchten Gebiet 15 Behälter ausgemacht. Ein entsprechender Bericht war noch am gestrigen Montag auf der Webseite der Behörde zu finden.

Flaschen nur auf Radioaktivität untersucht

Damals wurde offenbar nur analysiert, ob die Behälter radioaktiv strahlen. Ob es sich um das nun vermisste Giftgas handelt, bleibt unklar. "Warum wird nicht gesagt, dass 2001 bereits 15 Flaschen in der Nähe des fraglichen Areals geortet worden sind?", fragt Nehring. Es sei "gut möglich", dass es sich um das gesuchte Gift handele.

"Die Behälter müssen nun untersucht werden", fordert Nehring. Sollte es sich um radioaktive Substanzen handeln, sei es ebenfalls "fahrlässig", die Flaschen nicht regelmäßig zu kontrollieren, sagt Nehring.

Die Behörden jedoch wollten sich dazu nicht äußern. Bundesverkehrministerium und BSH lehnten eine Stellungnahme ab, das Kieler Innenministerium erklärte, nichts von "vormals georteten Flaschen" in dem Gebiet zu wissen.

Die 15 Giftbehälter sind längst ein Politikum. In der vergangenen Woche beantragte die Landtagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, die Suche nach gefährlichen Giften in der Ostsee auszuweiten.

Auf Intervention des Bundesverkehrsministeriums BMV wurde das Giftlager in der Lübecker Bucht im internationalen "Helcom-Report" nicht erwähnt, in dem die Gefährdung durch chemische Kampfmittel in der Ostsee aufgelistet ist. Obwohl die Versenkung vor Lübeck 1961 offiziell genehmigt wurde, kann das BMV den Fall nicht rekonstruieren.

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