Chemieunfall in Leverkusen:Wie gefährlich sind Dioxine?
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Das Chemieunglück in Leverkusen könnte Dioxinverbindungen freigesetzt haben. Was über die Stoffe, ihre Entsorgung und ihre Wirkung auf den Menschen bekannt ist.
Für die Bevölkerung lautet nach der schweren Explosion im Chempark Leverkusen die große Frage: Was war in der Rauchwolke, die sich beim Brand im Entsorgungszentrum gebildet hat, und in welchen Mengen haben sich die Substanzen in der Umgebung verteilt? Im Stadtgebiet von Leverkusen waren nach dem Unfall Rußpartikel niedergegangen.
Sicher ist, dass die abgebrannten Tanks unter anderem chlorierte Lösungsmittel enthielten. Auf dieser Basis geht das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (Lanuv) aktuell davon aus, dass "Dioxin-, PCB- und Furanverbindungen" in die Umwelt gelangt sein könnten.
"Wenn Chlorverbindungen mit großer Hitze in Kontakt kommen, besteht immer die Gefahr, dass dioxinähnliche Stoffe entstehen können", sagt ein Sprecher des Landesumweltamts. Es handle sich bislang um einen Verdacht, um welche Stoffe es genau gehe und wie hoch ihre Konzentration sei, werde nun im Dioxinlabor bestimmt. Ergebnisse dürften laut Lanuv am Freitag vorliegen.
"Entscheidend ist, wie sich die Belastung von außen zusammensetzt."
Unter Dioxinen versteht man mehr als 200 chemische Verbindungen mit mehreren Chloratomen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie meist hochgiftig und langlebig sind, sich also nur langsam zersetzen. Das toxischste Dioxin, genannt TCCD, kontaminierte nach dem Chemieunfall in Seveso 1976 großflächig die Umwelt. Polychlorierte Biphenyle (PCB) weisen aufgrund ihres Molekülaufbaus ähnliche Eigenschaften wie Dioxine auf.
"Entscheidend ist, wie die Belastung der Betroffenen zustande kommt", sagt Martin Wilks, Direktor des Schweizer Zentrums für angewandte Humantoxikologie. Wurde der giftige Rauch von Anwohnern eingeatmet? Oder sind die Substanzen mehrheitlich als Rußflocken heruntergekommen und haben sich etwa auf Pflanzen abgesetzt? Von dem Verbreitungsweg und der Konzentration der Stoffe lasse sich dann darauf schließen, wie hoch die Gefahr für die Gesundheit sei.
Dioxide reichern sich vor allem im Fettgewebe von Lebewesen an. Insbesondere TCCD gilt - bei einer länger anhaltenden Belastung - als krebserregend, andere Dioxine ebenfalls in geringerem Ausmaß. Auch hormonähnliche Wirkungen sind denkbar. Allerdings sehen Fachleute gute Chancen, dass sich betroffene Gebiete dekontaminieren lassen. Für die Belastung von Flächen wie Spielplätzen gibt es Grenzwerte; liegt die Konzentration darüber, müssten vermutlich einige Zentimeter des Bodens abgetragen und als Sondermüll entsorgt werden.
Hautkontakt mit Rußpartikeln vermeiden
"Rückstände auf Lebensmitteln oder Gartengemüse sollte man nicht versuchen abzuwaschen", warnt Wilks. Sie müssten stattdessen fachgerecht entsorgt werden. Generell sollten Anwohner Hautkontakt mit den Rußpartikeln vermeiden, rät der Toxikologe. Man sollte also beispielsweise Gartenmöbel nicht selber abwaschen, wenn man auf ihnen verdächtige Rußpartikel bemerkt, sondern über die eingerichteten Hotlines Rat einholen.
Für die Dekontaminierung "muss zuerst die Windrichtung bestimmt werden, die vorgeherrscht hat", sagt Daniel Dietrich, Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie an der Universität Konstanz. So ließen sich Zonen mit hoher oder niedriger Kontamination bestimmen. Dietrich vermutet aber, dass bei der Explosion in Leverkusen deutlich weniger Dioxine frei wurden als etwa beim Chemieunglück in Seveso. Darauf deute der unterschiedliche Ablauf der beiden Unglücke hin.
In der Chemiefabrik nahe dem italienischen Seveso war es durch eine missglückte, sich selbständig machende chemische Reaktion zu einer Explosion gekommen. Allerdings seien die Temperaturen damals relativ niedrig gewesen und zusätzlich hätten die Ausgangsstoffe in Seveso die Entstehung von größeren Mengen an Dioxinen gefördert. In Leverkusen sei alles viel schneller gegangen. "Es hat nicht gekocht, es hat eine Verpuffung gegeben", sagt Dietrich. Dafür spreche die erste große weiße Wolke, welche später von der markanten schwarzen Rauchwolke abgelöst wurde.
Vorerst gelten die Warnungen der Behörden weiter: keine mit Ruß oder Staub belegten Flächen anfassen, nichts ins Haus tragen. "Das gilt so lange, bis die Laborergebnisse vorliegen", betont der Sprecher des Landesumweltamts.