Psychologie:Welche Menschen zu Selbstüberschätzung neigen

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Nicht in jedem Beruf kann Begeisterung fehlende Expertise ersetzen. (Foto: IMAGO/imageBROKER/Oleksandr Latkun/IMAGO/imagebroker)

Wer für seinen Job brennt, hält seine Leistung gerne für überragend. Das mag in manchen Berufen förderlich sein, aber nicht in allen. Wer sich richtig einschätzen will, sollte mal die Kollegen fragen.

Von Sebastian Herrmann

Zu den zahlreichen Anforderungen an Arbeitnehmer zählt auch jene, doch bitte für den Job zu brennen und Leistung aus Leidenschaft abzuliefern. Gerne wird dieser Anspruch mit einem der absoluten Evergreen-Zitate aus dem Coachingwesen serviert: „Wenn du machst, was du liebst, wirst du keinen Tag in deinem Leben arbeiten müssen“, lautet diese Plastikrose aus dem Strauß der Motivationssprüche, deren Urheberschaft wahlweise Konfuzius, Mark Twain oder dem amerikanischen Salsa-Musiker Marc Anthony zugeschrieben wird. Jedenfalls trifft es gewiss zu, dass etwas Leidenschaft für den eigenen Brotberuf allen Beteiligten hilft. Was aber die Leistung der passioniert Berufenen angeht, ist die Studienlage verblüffenderweise widersprüchlich: Manche Daten legen nahe, dass Leidenschaft die Leistung steigert. Andere Studien finden nur einen kleinen, keinen oder gar einen negativen Zusammenhang. Wie kann das sein?

Diese Frage motivierte Sozialwissenschaftler um Erica Bailey von der University of California Berkeley dazu, sich diese Sache mit der Passion der Arbeitnehmer genauer anzusehen. Wie sie im Fachjournal Social Psychological and Personality Science berichten, steckt hinter der heterogenen Studienlage vermutlich der Umstand, dass die besonders leidenschaftlichen Büromenschen dazu neigen, die eigene Leistung zu überschätzen – was in manchen Berufen ein Vorteil, in anderen aber ein Nachteil sei. Piloten, Buchhalter und Pharmazeuten arbeiteten zum Beispiel ohne Spielraum für Fehler, schreiben die Forscher, da sei ein übermäßig aufgeblasener Selbstwert ein Risiko. Für Unternehmensgründer, Berater oder andere Berufe, in denen vor allem ein selbstsicheres Auftreten ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, sei etwas Selbstüberschätzung hingegen förderlich, argumentieren sie weiter.

Trotz allem: Ein bisschen Spaß sollte der Job schon machen

Für ihre Studie begleitete das Team um Bailey 829 Angestellte einer Ingenieursfirma in Peking, die 20 Tage in Folge mehrmals Auskunft über ihre Einstellung sowie die eigene und die Leistung ihrer Kollegen gaben. Wer also in der Früh laut Eigenauskunft mit Leidenschaft in den Tag startete, lieferte bessere Ergebnisse ab. Allerdings tat sich dabei eine Lücke zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung auf: Die ganz passionierten Angestellten fanden ihre Performance, wie das heute im Businesswesen genannt wird, noch großartiger, als ihre Kollegen das einschätzten. Hier offenbarte sich vermutlich ein Zusammenhang von Passion und Selbstüberschätzung.

In einem weiteren Versuch mit 396 Probanden stießen die Wissenschaftler auf ein ähnliches Muster. Obwohl alle Studienteilnehmer in diesem Fall das gleiche Feedback bekamen, werteten die Passionierten unter ihnen dieses im Vergleich zu den weniger Leidenschaftlichen als besonderen Leistungsnachweis. Auch aus anderen Studien ist bekannt: Für seine Tätigkeit zu brennen, verzerrt die Erinnerung daran positiv.

Allem abschreckendem Motivationsgeschwätz zum Trotz bleibt jedoch festzuhalten: Es ist schon nicht das Schlechteste, wenn der Job ein bisschen Spaß macht. Das sehen oder sahen Konfuzius, Mark Twain und Marc Anthony bestimmt genauso.

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