Süddeutsche Zeitung

Lehrpläne im US-Staat Kansas:Zweifel an der Evolution

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Der Streit im US-Bundesstaat Kansas bewegt seit Jahren die Welt: Was sollen die Schüler über die Evolution lernen? Das School Board des Bundesstaates hat jetzt den Christen Recht gegeben, die eine Lehre gemäß dem "Intelligent Design" (ID) fordern. Deren Credo: Die Belege für die Evolutionslehre seien lückenhaft, an vielen Stellen müsse höhere Intelligenz eingegriffen haben.

Christopher Schrader

Könnte man die Sache so unbefangen betrachten wie ein Fußballspiel, dann ließe sich von einem Unentschieden sprechen. 1:1, ein Treffer für jeden. Aber so ganz stimmt das Bild nur, wenn man annimmt, dass Kreisliga-Amateure gegen den Weltmeister Brasilien antreten: Jedes Tor der Provinz-Kicker gegen Ronaldinho und seine Leute, ein Führungstreffer zumal, wäre ein gewaltiger Erfolg.

Vielleicht lässt sich so besser verstehen, was sich am Dienstag in Kansas und in Pennsylvania zugetragen hat. In den beiden US-Staaten wird zurzeit ausgefochten, wie wissenschaftlich Schulunterricht sein darf, wenn es um die Evolution geht.

Zunächst hat in Kansas das School Board mit sechs zu vier Stimmen beschlossen, die Evolutionslehre von Charles Darwin müsse mit einigen Fragezeichen gelehrt werden. Das Gremium verabschiedet Richtlinien für Schulbehörden. In Dover, Pennsylvania, ist dagegen kein Mitglied des örtlichen School Board wiedergewählt worden, das zuvor einen ähnlichen Beschluss gefasst hatte.

Der Streit in Kansas bewegt seit sechs Jahren nicht nur die USA, sondern die ganze Welt. Konservative Christen mögen nicht hinnehmen, dass ihren Kindern gelehrt wird, der Mensch sei durch Evolution entstanden, ohne dass ein höheres Wesen beteiligt war.

Allerdings können sie nicht einfordern, dass stattdessen Kreationismus gelehrt wird, also die wörtliche Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte; denn die US-Verfassung trennt Staat und Religion. Viele Christen favorisieren deshalb die Lehre vom "Intelligent Design" (ID). Deren Credo lautet: Die Belege für die Evolutionslehre seien lückenhaft, an vielen Stellen müsse höhere Intelligenz eingegriffen haben.

Nationale und internationale Wissenschaftsorganisationen und prominente Forscher haben das ID als unwissenschaftlich zurückgewiesen, dennoch beharren ID-Vertreter darauf, sie müsse im Schulunterricht als Alternative zur etablierten Evolutionslehre präsentiert werden. Und damit sind sie in Kansas nun in bisher unerreichtem Ausmaß durchgedrungen.

"Beleidigung der Wissenschaft"

Das School Board hat Argumentationslinien und Formulierungen der ID-Bewegung übernommen. Es gebe zum Beispiel einen "Mangel an ausreichenden Erklärungen für (die Entwicklung des) genetischen Codes", heißt es nun in den Richtlinien. Zugleich hat das Gremium den Satz gestrichen, Wissenschaft suche nach "natürlichen Erklärungen beobachtbarer Phänomene". Nun sind also auch übernatürliche Erklärungen zugelassen.

Das School Board sieht mit dem Beschluss die "intellektuelle Ehrlichkeit und Unversehrtheit der wissenschaftlichen Bildung" gestärkt, Schüler müssten "ihre Fragen nicht mehr an der Tür abgeben". Dagegen sagte Janet Waugh, eine Vertreterin der Minderheit im School Board: "Das ist ein trauriger Tag für Kansas, wir machen uns zum Gespött der ganzen Welt." Sie selbst glaube zwar an die Schöpfungsgeschichte, aber das habe im Klassenzimmer nichts zu suchen.

Kritik kam auch von der Gouverneurin des Staates, der Demokratin Kathleen Sebelius: "Wenn wir Hightech-Jobs nach Kansas holen wollen, müssen wir die Wissenschaft stärken, nicht schwächen."

Francisco Ayala, ehemaliger Chef der Wissenschaftsorganisation AAAS, sprach von einer "Beleidigung der Wissenschaft". Einige Wissenschaftsorganisationen haben Kansas bereits verboten, ihr Material im Unterricht einzusetzen. Auch Klagen von Bürgern sind zu erwarten, das School Board verstoße gegen die Verfassung, weil es mit ID verkappten Kreationismus lehren wolle.

Womöglich sind die Ereignisse in Dover ein Blick in die Zukunft des Kansas School Board. Denn vier von dessen sechs Mitgliedern, die für die neuen Richtlinien gestimmt haben, müssen sich in einem Jahr der Wiederwahl stellen. Im Oktober 2004 hatte auch das School Board von Dover beschlossen, die Schüler der neunten Klassen sollten von "Lücken" in der Evolutionstheorie und vom "Intelligent Design" erfahren. Dagegen haben elf Eltern geklagt.

Offenbar hat sich das School Board in den Augen der Wähler im Gerichtssaal blamiert; es wurde keines der acht Mitglieder wieder in das Gremium geschickt, dessen Amtszeit abgelaufen war. In dem Prozess hatte ein führender ID-Theoretiker gesagt, seinem Verständnis nach sei auch Astrologie Wissenschaft. Und ein Mitglied des School Board gab zu, er habe zunächst darauf bestanden, Kreationismus müsse im Unterricht so viel Zeit bekommen wie die Evolutionslehre. Er hat bei der Abstimmung die wenigsten Stimmen bekommen.

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Quelle:
SZ vom 10.11.05
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