Legende:Wie der Mythos um die Gralskirche entstand

Magdala Tower (19th century). Rennes-le-Château (Rènnas del Castèl in occitan). Aude departement, Languedoc-Roussillon. France

Sogar einen Park mit einem Bibliotheksturm ließ Saunière in dem kleinen Dorf bauen.

(Foto: Alamy/mauritius images)

Das französische Rennes-le-Château umranken Legenden, die auch Bestsellerautor Dan Brown inspiriert haben. Ausgangspunkt der Spekulationen: ein schwer reicher Pfarrer.

Von Florian Welle

Terribilis est locus iste." "Schrecklich ist dieser Ort", warnt ein Schriftzug über dem Portal jeden, der die Kirche von Rennes-le-Château betritt. Jeden?

Zumindest die vielen Esoteriker, Okkultisten, Schatz- und Gralssucher, die in das südfranzösische Dorf am Fuße der Pyrenäen pilgern. Bei mehr als 100 000 Touristen, die sich jährlich durch die Gassen des pittoresken Ortes mit gerade mal um die 60 Einwohner schieben, ist die Übersetzung "schrecklich" wohl angebracht.

Kristallisationspunkt für Verschwörungstheoretiker

Alle anderen aber bevorzugen "ehrfurchtgebietend". Was natürlich weniger furchteinflößend klingt und daher so gar nicht zum Mysterium passt, das die auf einem Hügel gelegene Ortschaft im Département Aude angeblich birgt.

Legion sind die Bücher über Rennes-le-Château, die sich hauptsächlich durch die geheimnisvoll-raunenden Elemente unterscheiden, denen der Vorzug eingeräumt wird.

Wahlweise soll sich hier der Schatz der Merowinger, der Templer oder der Katharer befinden. Gerne auch der Jerusalemer Tempelschatz oder der Heilige Gral. Andere bringen die Rosenkreuzer ins Spiel oder vermuten gleich Tore zu einer anderen Dimension.

Es hat den Anschein, als wäre Rennes-le-Château eine Art Kristallisationspunkt für Verschwörungstheoretiker, denen die von Umberto Eco energisch postulierten "Grenzen der Interpretation" herzlich egal sind. Zumindest gilt dies für Dan Brown, der alle Theorien 2003 zum Thesenthriller "The Da Vinci Code" (deutsch: "Sakrileg") vermengte und den Mythos des Ortes noch einmal richtig befeuerte.

Dabei nahm der amerikanische Autor großzügig Anleihen bei einem (vermeintlichen) Sachbuch, das in den Achtzigerjahren Furore gemacht hatte: "Der Heilige Gral und seine Erben" von Henry Lincoln, Richard Leigh und Michael Baigent.

Ausgangspunkt der Geschichten ist das Jahr 1885. Da tritt der 33-jährige François Bérenger Saunière das Pfarramt in Rennes-le-Château an. Der Sold ist bescheiden, die ursprünglich romanische Kirche, Maria Magdalena geweiht, ist heruntergekommen.

Saunière beginnt mit der Restaurierung, zunächst finanziert von der Gemeinde, unterstützt von seiner Haushälterin Marie Dénarnaud. Es wird gemunkelt, die beiden seien ein Paar.

Mit der Zeit jedoch beginnen die Baumaßnahmen jedes Maß zu sprengen. Nicht nur, dass Saunière die Kirche in neuem Glanz erstrahlen lässt. Er lässt sich auch ein großes Wohnhaus bauen, die Villa Béthania.

Dazu einen Park mit Voliere und als Krönung einen neogotischen Bibliotheksturm, den sogenannten Magdala-Turm, benannt nach Maria Magdalena. Und er empfängt illustre Gäste aus Paris. Allein die Summe für die Bauten, die heute noch zu besichtigen sind, beläuft sich nach Schätzungen auf 200 000 Francs. Das sind die Fakten.

Doch woher hatte der Abbé, der 1917 starb, so viel Geld?

Über diese durchaus berechtigte Frage entwickelten sich im Laufe der Zeit die kühnsten Spekulationen. Sie alle gipfelten in den Hypothesen von Lincoln und seinen Mitstreitern.

Der falsche Merowinger

Diese lösten die seit den Fünfzigerjahren geläufige Annahme ab, dass Saunière die Bauwerke durch einen spektakulären Fund finanziert hätte - etwa des Vermögens, das die ortsansässigen Katharer hier vor ihrer Vernichtung noch zur Seite geschafft hatten.

Die Autoren von "Der Heilige Gral und seine Erben" gehen noch viel weiter. Ihrer Meinung nach hat Saunière keinen Schatz gefunden, sondern ein verschlüsseltes Pergament hochbrisanten Inhalts.

Weil er es selbst nicht entziffern konnte, reiste er nach Paris und wurde dort von höchsten Kreisen gegen üppige Bezahlung gebeten, absolutes Stillschweigen zu bewahren. Denn die Schrift enthalte eine Sensation, über die die Geheimgesellschaft der Prieuré de Sion, zu deren Großmeistern Leonardo da Vinci und Victor Hugo gehört haben sollen, seit Jahrhunderten wache.

Verkürzt: Jesus und Maria Magdalena waren verheiratet und hatten ein Kind. Maria Magdalena flüchtete nach Jesu Tod nach Frankreich, wo aus ihren Nachkommen die Dynastie der Merowinger hervorging.

Der Gral ist in dieser Interpretation kein irgendwie geartetes Gefäß, sondern das Blut Jesu selbst, auf Französisch "sang réal". Etwas um die Ecke gedacht, wird daraus San Greal, der heilige Gral.

Der Clou an der Story ist (oder besser: war), dass die direkte Blutlinie bis ins 20. Jahrhundert verfolgt werden kann. Bis zu Pierre Plantard. Der mittlerweile verstorbene Plantard gab sich in den Sechzigerjahren tatsächlich als letzter lebender Nachfahre des Merowingers Dagobert II. aus.

Unterstützt wurde er dabei von dem Journalisten Gérard de Sède, in dessen Buch "L'Or de Rennes" das geheimnisumwitterte Pergament präsentiert wurde, das dem Pfarrer einst seinen Reichtum beschert haben soll, und auf dem die gesamte Konstruktion der "Heiligen Gral"-Autoren aufbaut.

Inzwischen wissen wir: Sie saßen Hochstaplern auf. Plantard, aus einfachen Verhältnissen stammend und zeitlebens eine zwielichtige Gestalt mit rechtsextremem Einschlag, ließ das Pergament ebenso fälschen wie die Dokumente, die als angeblicher Beweis für die Existenz der Prieuré de Sion ausgegeben wurden. Er verstand es sogar, sie in die Bibliothèque nationale einzuschleusen.

Die Masche des Abbé

Wie aber kam Abbé Saunière wirklich zu seinem Reichtum? Schlicht und einfach durch Betrug. Jahrelang schaltete er Inserate, in denen er gegen Bezahlung anbot, Seelenmessen für Verstorbene zu lesen.

Gehalten hat er sie freilich nie. Wie auch?

Am Ende soll sich die Zahl der Messen auf bis zu 100 000 summiert haben. Die Konspirologen aller Länder ficht all dies nicht an. Weiterhin pilgern sie zahlreich nach Rennes-le-Château, dem Mythos (oder wem auch immer) auf der Spur.

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