Lebenstriebe:Wunder der Liebe

Streificht-Autor Hilmar Klute gratuliert Oswalt Kolle zum 80. Geburtstag und bedankt sich dafür, dass dieser den brutalen Achtundsechzigern den Sex aus der Hand genommen und wieder entpolitisiert hat.

Eines der Wörter, denen man aus dem Bauch heraus den Sexyfaktor Nummer eins geben müsste, ist "Ehehygiene". Es stammt von Beate Uhse und hat die Generation unserer Eltern geprägt wie Rudi Dutschke die Podiumsdiskussionen. Wenn man so will, sind wir heute 40-Jährigen allesamt stolze Produkte früher bundesdeutscher Ehehygiene.

Lebenstriebe: Filmplakat zu einem Kolle-Film.

Filmplakat zu einem Kolle-Film.

Natürlich war die Ehehygiene - mal gespannt, wie oft wir uns das kecke Wort hier noch genüsslich auf der Zunge zergehen lassen werden - in ihren besten Zeiten eine streng geheime Sache. Ihr solides Handwerk fand hinter geschlossenen Schlafzimmertüren statt, und wenn man ganz ehrlich ist, war das gar nicht mal der schlechteste Ort für die sexy Ehehygiene.

Aber Anfang der Siebzigerjahre kam dann plötzlich Oswalt Kolle angelaufen und erklärte die Ehehygiene kurzerhand zur Performance. Kolle krachte wie Bolle in die Schlafzimmer der Deutschen, riss ihnen die Bettdecke weg und erzählte jedem Mann, dass seine Frau ein unbekanntes Wesen sei, und dass man sie nur an den richtigen Stellen richtig anfassen müsse - und zack! geht das Liebesleben mit Schmackes ab bis zur goldenen Hochzeit.

Oswalt Kolle ist kürzlich 80 Jahre geworden und hat seine Memoiren veröffentlicht, in denen noch einmal genau nachzulesen ist, weshalb er diese seltsamen Filme gedreht hat, in denen junge, verhuschte Paare nur deshalb sexuell glücklich wurden, weil sie endlich mal offen vor dem Sex über den Sex reden konnten - eine ziemlich verschrobene Vorgehensweise, aber egal.

Jetzt hätten wir nur noch gern von Herrn Kolle gewusst, wieso die Leute die Filmchen so begeistert angeschaut haben, und was denn genau der Ansatz ... ach, so: "Es gelang mir, meinen Ansatz, dass man Sexualität lernen muss, mein Eintreten für Toleranz und Freizügigkeit, mein Plädoyer für Zärtlichkeit und Verständnis mit filmischen Spielhandlungen zu kombinieren."

Das haben wir uns nämlich fast schon gedacht, Herr Kolle, dass Sie von Anfang an vorgehabt hatten, die Deutschen auf eine erotische Blümchenwiese zu führen, um erst mal kräftig Supervision zu machen. Kolles "Das Wunder der Liebe", "Dein Mann, das unbekannte Wesen" und "Liebe als Gesellschaftsspiel" waren wie diese antiseptischen Filme aus dem Biounterricht, nur dass es bei Kolle nicht um Flusspferde und Heuschrecken ging, sondern um Architekten und Sachbearbeiterinnen und was sie so miteinander anstellen können, wenn sie es vorher genau durchsprechen.

Oswalt Kolle hat den Leuten erklärt, wie sie Sex gewissermaßen selber machen können. Im Grunde so ähnlich wie Jean Pütz, wenn er uns zeigt, wie man einen Komposthaufen anlegt oder eine Kommode zusammenzimmert.

Und noch etwas hat Kolle hingekriegt: Er hat den brutalen Achtundsechzigern den Sex aus der Hand genommen und wieder entpolitisiert. Der Oswalt hat den Rainer und die Uschi einfach gegen die Petra und den Jürgen ausgetauscht - so heißen die Helden in "Das Wunder der Liebe".

Und heute? Was ist in Deutschland denn geblieben von Kolle und seiner zärtlichen Aufklärung?

Zwei sehr unangenehme Phänomene: zum einen Senioren, die nackt in Weihern baden und beim Abtrocknen knutschen und so. Und auf der anderen Seite Jugendliche, die Gruppensex auf Spielplätzen pflegen und das Ereignis mit der Handykamera filmen. Dazu hören sie den analfixierten Soundtrack von Sido und sind überrascht, dass das, was sonst auf www.youporn.de kommt, auch mit richtigen Mädchen funktioniert.

Aber am Ende sitzen sie da in ihren Bollerhosen und Trainingsjacken, glotzen auf die Schaukeln und fühlen sich ganz leer vom vielen Pornofilmen und Sidohören. Und abends schleichen sie sich verschämt zur Oma und fragen sie, was es damals noch mal genau auf sich hatte mit dieser Ehehygiene.

Der Kolumnist Hilmar Klute, geboren 1967 in Bochum, ist SZ-Redakteur und Buchautor.

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