Lebenstriebe:Sprühen vor Lust

Streiflicht-Autor Hilmar Klute wundert sich über Menschen, die mit chemischen Botenstoffen aus dem Deodorant statt mit Worten Sexualpartner anlocken wollen. Aber war die Liebe in Zeiten des romantischen Gequassels besser?

Vor zehn oder zwanzig Jahren, als es deutlich mehr Leute gab, die noch alle Tassen im Schrank hatten, galt es als ausgemacht, dass man sich wusch, bevor man zu einer Verabredung ging - besonders wenn das Treffen erotisch relevant werden sollte. Damit das frische Gefühl noch eine Weile anhielt, sprühte man sich Deo unter die Achseln, achtete aber genau darauf, dass das Zeug frei von FCKW war, schon damit es nicht irgendwelche lusttötenden Diskussionen wegen des Ozonlochs gab.

Lebenstriebe: Wer liebt, der sprüht - so zumindest suggeriert es das Werbeplakat an einer Hauswand.

Wer liebt, der sprüht - so zumindest suggeriert es das Werbeplakat an einer Hauswand.

Diese Deodorants dufteten nicht besonders spektakulär, die meisten nach Seife und die ganz billigen rochen so wie heute die Duftzerstäuber, die man in ungelüftete Kinderzimmer stellt. Aber es gab damals so etwas wie einen Common Sense des Wohlgeruchs oder zumindest der olfaktorischen Neutralität. Wer nach Achselschweiß roch, war für eine spontane erotische Begegnung von vornherein disqualifiziert. Ihm haftete das Image des ungepflegten Schichtarbeiters an, der keinen Unterschied mehr kennt zwischen den staubigen Anforderungen des Alltags und den sensiblen Lockungen der Sinnlichkeit.

Der Sex duftete nach Nivea oder Maiglöckchen und trug trocken geföhnte Gelfrisuren, aber das ist, wie gesagt, schon lange vorbei. Wer heute ernsthaft mit Erotik zu tun hat, ist längst wieder dort angekommen, wo die großen Schnüffelnasen des späten 18. Jahrhunderts besonders entdeckerfreudig waren: bei den körpereigenen Gerüchen.

Der sehr verschrobene französische Dichter und Alchimist Tiphaigne de la Roche hatte immer das Gefühl, etwas wabere so lange zwischen Mann und Frau, bis sie sich aufeinanderstürzen wie nichts Gutes. Tiphaigne nannte das ein bisschen scientologyhaft "sympathische Materie", meinte aber nichts anderes als Ausdünstungen.

Heute gibt es auch wieder Liebende, die sich eher wenig um das Emotionale scheren und mehr das Basisbiologische in der Beziehung suchen. Wenn sich ein Schwede in eine Schwedin verliebt, macht er es zum Beispiel so: Er sucht sich einen knackigen Apfel, steckt die Frucht in seine Achselhöhle und läuft erst einmal ein paar Tage damit herum. Beim ersten Date schenkt der Schwede der Schwedin den Achselapfel, und gegen das, was dann kommt, sind Ikea-Schlussverkauf und Knut langweilige Kurkonzerte.

Eigentlich könnte man jetzt mit dem Thema Schluss machen, schnell duschen, für sich und die Freundin ein paar Äpfel waschen und demonstrativ alle Fenster öffnen. Aber das nützt ja alles nichts, weil dieser Geruchsirrsinn bereits durch eine seriöse wissenschaftliche Studie geadelt worden ist, deren erstes Kapitel ein bisschen klingt wie der Titel eines Science-Fiction-Pornos: "The Neuroscience of Love".

Nach den Joggern, die sich den Tod mit Dopamin und Serotonin schönlaufen, fangen jetzt die Liebenden an, sich mit Pheromonen interessant zu machen - hallo? - Volksseuche Botenstoff! Wobei man mit dem Wort Liebe hier vorsichtig arbeiten muss. Das Pheromon ist der kleine Teufel des One-Night-Stands, der rauschhaften Begierde, wie wir Opernfreunde sagen.

Wer sich länger binden will, sollte auf schlechte Gerüche verzichten oder Folgendes tun: Mit seiner Gefährtin zu einem Pheromon-Parfümeur gehen und sich einen passenden Körperduft aus Botenstoffen zusammenschneidern lassen. Oder bei pheromone.de ein Flakon P6 Super Gail bestellen, denn "mit diesem wunderbaren After-shave können Sie mehr erreichen als mit Worten".

Was soll man groß reden: Früher hat man sich totgelabert, um eine Frau ins Bett zu kriegen, heute muss man nur stinken wie ein Iltis. "Verloren im Zorn der Düfte", hat Leonard Cohen mal gesungen, "verloren in den Lumpen der Reue." Zwischen diesen beiden Lagern wabern sie und stürzen uns ins Liebeskoma, die Pheromone.

Der Kolumnist Hilmar Klute, geboren 1967 in Bochum, ist SZ-Redakteur und Buchautor.

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