Lebensmitteltechnologie:Schnitzel 2.0

Pilzkulturen

In aus Zucker und Pilzkulturen gewonnenen Eiweißen sollen dieselben Aminosäuren wie in Rind- oder Hähnchenfleisch stecken.

(Foto: Philipp Hympendahl)

Mit Hilfe von Mikroben lassen sich Proteine und Kohlenhydrate in Industrieanlagen herstellen. Nur: Werden Verbraucher so etwas essen?

Von Andrea Hoferichter

Weltraummissionen sind eher keine ökologischen Vorzeigeprojekte. Doch offenbar taugen sie als Inspiration dafür. John Reed und Lisa Dyson vom kalifornischen Startup Kiverdi jedenfalls fanden in etwa 50 Jahre alten Nasa-Publikationen einen Ansatz für eine umweltfreundliche Alternative zur Landwirtschaft: "Wasserstoffbakterien", die das Stoffwechselprodukt Kohlendioxid aus dem Atem von Astronauten wieder in nahrhafte Proteine, Fette und Kohlenhydrate verwandeln können, platzsparend und effektiver als Pflanzen oder Algen. Dieses Recyclingprinzip wollen sie nun auf irdische Herausforderungen übertragen - und damit die Produktion von Lebensmitteln auf eine vollkommen neue Grundlage stellen. Eines Tages, so die Vision, könnten Bakterien Teller und Mägen füllen.

"Wie ein Raumschiff hat auch die Erde nur begrenzte Ressourcen", sagt Reed. Es sei praktisch unmöglich, die für 2050 prognostizierten knapp zehn Milliarden Menschen der Welt ausschließlich mit Getreide, Soja und Fleisch zu versorgen. Die Landwirtschaft brauche zu viel Fläche und Wasser, belaste die Umwelt durch Pestizide und Dünger und produziere weltweit mehr Treibhausgase als Autos, Laster und Flugzeuge zusammen. Regenwaldrodungen etwa für Soja- oder Palmölplantagen schaden dem Klima ebenfalls, und sie gefährden viele Tier- und Pflanzenarten.

Stahlkessel voller Wasserstoffbakterien in mehrstöckigen Biofabriken könnten bald Abhilfe schaffen, glauben Reed und Dyson. Schließlich vermehren sich diese Einzeller auch in dunklen Fermentern, platzsparend und unabhängig von Wetter und Klima. In der Natur kommen sie etwa in heißen Quellen oder Seeschlamm vor.

Proteinmehl aus Bakterien könnte tierisches Eiweiß oder etwa Palmöl ersetzen

Gespeist werden die Mikroben mit Wasserstoff und Kohlendioxid, das für das Verfahren konzentriert werden muss, ähnlich wie für die Produktion von Sprudelwasser oder Cola. "Die Gase können zum Beispiel Industrieabgasen entnommen werden ", berichtet Reed. Wasserstoff lasse sich zudem aus Wasser mithilfe von überschüssigem Solar- oder Windstrom herstellen. Zusätzlich geben die Forscher noch eine Spur Sauerstoff und eine Art Mineraldünger in die Fermenter. Für die Ernte trocknen sie die Mikroben und bereiten die enthaltenen Proteine, Öle und Kohlenhydrate auf. Das Wasser für den Prozess wird immer wieder recycelt. Proteinmehle, die tierischen Eiweißen ebenbürtig sind, und einen Ersatz für das Palmöl, das unter anderem in Schokocremes und Keksen steckt, wollen sie mit zum Teil patentierten Verfahren schon hergestellt haben. Jetzt geht es darum, das Ganze auf industriellen Maßstab hoch zu skalieren. "Dazu arbeiten wir mit verschiedenen Partnern zusammen", berichtet Reed.

"Ethisch-moralisch ist es natürlich begrüßenswert, wenn Nahrung ohne hohe Treibhausgasemissionen und ohne Tierleid produziert wird", sagt Rudolf Hausmann von der Universität Hohenheim in Stuttgart. Bakterien seien dafür besonders gut geeignet, weil sie Kohlendioxid einige Hunderte Male so schnell umsetzten wie Pflanzen. Hausmann forscht an Bakterien, die den pflanzlichen Abfallstoff Lignozellulose mit industriell hergestelltem Ammoniak in hochwertige Proteine verwandeln.

Im Grunde ist Nahrungsmittelproduktion über Mikroorganismen nichts Neues. So wurden in Deutschland schon im ersten Weltkrieg Hefeabfälle aus Brauereien an Tiere verfüttert. Im Zweiten Weltkrieg seien sogar 60 Prozent des deutschen Proteinbedarfs durch Hefen gedeckt worden, heißt es in einem Review-Artikel des Fachblatts International Journal of Current Microbiology and Applied Science. In den 1960ern machten getrocknete Algen, Hefen und Bakterien unter dem Namen "Einzellerprotein" als mögliche Lösung für die Hungersnöte der Welt von sich reden. Wissenschaftler testeten die unterschiedlichsten Ausgangsstoffe, von Bananenschalen über Kakteen bis zu Tierhaaren. Und BP arbeitete an Proteinmehlen aus Erdöl, sozusagen ein Erdölsteak. Doch als die "Grüne Revolution" mit neuen Hochleistungssorten deutlich höhere Ernteerträge klassischer Ackerfrüchte möglich machte, gerieten diese Ansätze in Vergessenheit.

Fischmehl aus Erdgas? Klingt komisch, lässt sich aber mithilfe von Mikroben herstellen

"Heute ist das Thema wieder brandaktuell", sagt Hausmann. Ein Treiber ist der Trend zur vegetarischen Ernährung. Fleischersatzprodukte, wie "Quorn" aus Mikrobenproteinen haben den Einzug in die Supermarktregale längst geschafft. In den aus Zucker und Pilzkulturen gewonnenen Eiweißen stecken nach Unternehmensangaben die gleichen Aminosäuren wie in Rind- oder Hähnchenfleisch. Auch das Startup "Perfect Day" aus San Francisco setzt auf Einzeller statt auf Tiere oder Soja. Mit Hefekulturen stellen sie aus Zucker Eiweiße und Fettsäuren her, die auch in Kuhmilch enthalten sind. Die kuhfreie Milchproduktion verbrauche etwa 90 Prozent weniger Platz und Wasser und produziere nicht einmal ein Fünftel an Treibhausgasen, heißt es auf der Internetseite.

Auch an Algen wird wieder geforscht. Ein Team des Karlsruher Instituts für Technologie arbeitet an Bioreaktoren, in denen sich nahrhafte Mikroalgen vermehren und die etwa in Wüstengebieten ihren Dienst tun könnten. Und sogar die Idee des Erdölsteaks erlebt eine Art Renaissance: Der kalifornische Futtermittelhersteller Calysta produziert mit Bakterienhilfe Fischmehl aus Erdgas. Eine Industrieanlage in Nordengland wurde gerade eingeweiht.

Bislang wird nur der Fleischersatz Quorn in größerem Umfang verkauft. Ob sich andere Mikroben-Produkte durchsetzen, ist ungewiss. Technologisch gibt es laut dem Stuttgarter Forscher Hausmann kaum Herausforderungen, doch befürchtet er Akzeptanzprobleme: "Es gilt das alte Sprichwort: Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. Da muss noch eine Menge Überzeugungsarbeit geleistet werden."

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