Darunter leidet die Regulierung der Stoffe. Zwar gibt es seit 2004 das "Stockholmer Übereinkommen", das den Einsatz von 23 Pops weltweit verbietet. Die Politiker einigten sich in Stockholm jedoch nur auf das Verbot alter Schadstoffe, das sogenannte "dreckige Dutzend", an denen keiner mehr ein wirtschaftliches Interesse hatte. Die meisten Pops sind dagegen unreguliert: Mit Kollegen hat Martin Scheringer abgeschätzt, wie viele Chemikalien in der EU wirklich als langlebige Umweltgifte gelten müssten. Sie kommen auf über 500, die "langlebig", "anreichernd" und "toxisch" sind - also eigentlich nicht in die Umwelt gelangen sollten.
An viele davon wie etwa bromierte Flammschutzmittel wagen sich Politiker nicht heran; denn die Stoffe stecken zu tausenden von Tonnen in Elektronik und Gebäuden, um Kurzschlüsse zu vermeiden. Landen die Elektrogeräte auf dem Müll, entweichen die Stoffe unkontrolliert.
Experten beobachten noch einen gefährlichen Trend: Sobald ein Giftstoff reguliert ist, schwenkt die Industrie auf einen ganz ähnlichen Stoff um, der aber anders heißt. Die Gefahr bleibt, rechtlich gesehen ist die neue Chemikalie aber ein unbeschriebenes Blatt. "Auf dem Papier hat man zwar einen Erfolg", sagt Scheringer. "Aber in Wahrheit ändert sich nichts."
Umweltdaten fehlen
Die Politik sieht auch vor, alle rund 140 000 in der EU verwendeten Chemikalien zu registrieren - ein ehrgeiziges Ziel, das die EU unter dem Schlagwort "Reach" verfolgt. Rund sieben Jahre nach dem Start werden jedoch große Probleme sichtbar: 70 Prozent der 20 000 von der Industrie eingereichten Dossiers seien fehlerhaft, musste die Europäische Chemikalienagentur ECHA jüngst einräumen. Sie enthielten teils falsche Daten, wichtige Studien fehlten in der Bewertung. Schlimmer noch: Die Prüfer testeten die Dossiers nur stichprobenartig - über den Großteil der Dossiers lässt sich daher gar nicht sagen, wie gut sie sind. Alles halb so schlimm, wehrt sich die ECHA: Man habe sich bewusst auf die schwierigen Fälle konzentriert, die Stichprobe sei nicht repräsentativ für die ganze Datenbank.
Wissenschaftler sehen das anders. "Die Datenbank ist durchsetzt mit Fehlern", sagt Martin Scheringer von der ETH Zürich. Das eigentliche Problem sei, dass man überhaupt nicht wisse, wie viele falsch seien. Wie solle man dann als Wissenschaftler damit arbeiten? Bei den 36 bromierten Flammschutzmitteln waren etwa nur bei sieben umweltrelevante Daten überhaupt hinterlegt. Das Umweltbundesamt (UBA) teilt die Kritik: Durch fehlerhafte Daten werde eins der wichtigsten Ziele von Reach gefährdet - die Risiken für Mensch und Umwelt zuverlässig einzuschätzen. "Die ECHA müsste viel mehr Daten überprüfen", sagt Christoph Schulte vom UBA. "Das würde die Gefahr für die Unternehmen erhöhen, erwischt zu werden."
Bei der Echa gibt man den Schwarzen Peter weiter. Eine höhere Quote könne nur die Politik festlegen, heißt es dort.
Derweil plant das UBA eine eigene Initiative: Auf der Plattform www.reach-info.de können Verbraucher bereits Anfragen zu Produkten stellen, die möglicherweise besorgniserregende Stoffe enthalten. Dazu geben Konsumenten einfach den Barcode des Produkts ein. Das UBA erstellt daraus automatisierte Anfragen an die Hersteller, diese sind gesetzlich verpflichtet, Auskunft zu geben. Das Tool nutzen Verbraucher bereits rund 2000 Mal im Monat, schätzt Schulte. 2014 möchte das UBA auch eine Smartphone-App vorstellen, mit der die Abfrage der Stoffdaten auch unterwegs klappt.
Die Sache hat nur einen Haken: Die Firmen haben 45 Tage Zeit zu antworten - für den spontanen Einkauf ist das etwas unpraktisch.