Landwirtschaft:Astronautennahrung für das liebe Vieh

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Milchkühe und Mastbullen haben einen empfindlichen Magen. Die Wiederkäuer brauchen auch weiterhin Heu und Gras. Von Bakterienpellets allein können sie wahrscheinlich nicht leben. (Foto: Imago/Photocase)
  • Futter aus Bakterien könnte den weltweiten Flächenbedarf der Landwirtschaft um bis zu 109 Millionen Hektar senken.
  • Schon eine Portion Schweinsbraten benötigt umgerechnet 3,12 Quadratmeter Ackerland für den Futteranbau, eine Rostbratwurst immer noch 2,26 Quadratmeter.
  • Der Fleischbedarf nimmt weltweit zu, bis zum Jahr 2050 werden neun Prozent mehr Ackerland benötigt.

Von Kathrin Zinkant

Es gibt Zeiten, in denen sich unangenehme Wahrheiten besonders gut verdrängen lassen. Die Grill- und Biergartensaison gehört unzweifelhaft dazu. Halbe Hendl, Würstel, Holzfällersteaks - es ist doch zu schön, den Grill anzuschmeißen oder sich bei einer kühlen Mass über knuspriges Hähnchen zu beugen. Wer denkt da schon gern darüber nach, wie ressourcenfeindlich der halbe Vogel auf dem Teller aufgezogen wurde? Und wie viele Menschen von dem Land hätten leben können, auf dem das Futter fürs Federtier gewachsen ist?

Forscher treiben solche Themen aber selbst im Hochsommer um. Und manchmal finden sie auch Lösungen: Wie ein Team um den Landnutzungsexperten Alexander Popp vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) jetzt zeigt, könnte der Einsatz von bakteriellen Eiweißen als Futter in der globalen Viehwirtschaft den weltweiten Bedarf an Ackerland bis zum Jahr 2050 um bis zu 109 Millionen Hektar senken - und zudem noch Stickstoffverluste der Böden, Stickoxidausstoß und insbesondere Kohlendioxidemissionen minimieren. Das berichten die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Environmental Science and Technology. Demnach würden schon zwei Prozent Bakterieneiweiß als eine Art "Astronautennahrung" im Futter ausreichen, um bis zu 28 Prozent weniger CO₂ zu erzeugen.

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Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Welternährung und -bevölkerung klingt das durchaus nach einem Knaller: Die Produktion von Fleisch ist nämlich nicht besonders effizient. Schon eine Portion Schweinsbraten benötigt umgerechnet 3,12 Quadratmeter Ackerland für den Futteranbau, eine Rostbratwurst immer noch 2,26 Quadratmeter. Allein für Bratwürste werden in Deutschland pro Jahr also grob 500 000 Hektar Land verbraucht. Und das ist nur der Status quo.

Der Fleischbedarf nimmt weltweit zu, bis zum Jahr 2050 geht die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen, FAO, davon aus, dass dafür neun Prozent mehr Ackerland benötigt werden und der Anbau auf den bereits bestehenden Flächen noch einmal extrem zu intensivieren wäre. Was angesichts der längst inakzeptablen Folgen intensiven Ackerbaus für die Umwelt keine gute Aussicht ist.

Forscher arbeiten deshalb schon lange an Alternativen. Sie wollen das fürs Wachstum der Tiere nötige Nahrungseiweiß auf anderen Wegen beschaffen als durch den Anbau von Soja und Getreide. Kandidaten gibt es dabei nicht mal wenige: Pilze, Algen oder sogar Fliegenlarven, in Mengen gezüchtet, getrocknet, vermahlen und zu Pellets gepresst, sollen den Proteinbedarf von Rindern, Schweinen, Hühnern stillen. Jahrzehnte alt ist aber auch die Idee, die einfachsten aller Organismen für die menschliche Nahrungsproduktion zu kapern.

Bakterien lassen sich in großen Tanks herstellen - wenn man sie mit Erdgas ernährt

"Bakterien haben gegenüber Algen oder auch Maden den Vorteil, dass sie sich sehr viel einfacher herstellen lassen", sagt Benjamin Bodirsky vom PIK, der an der Studie beteiligt war. Während Algen zum Beispiel Sonnenlicht benötigen und Fliegenlarven selbst organisches Futter brauchen, könnten Bakterien in Fermentern kultiviert werden, also in großen Stahltanks.

Als Wachstumsgrundlage kommen dabei verschiedene Stoffe wie Zelluloseabfälle, Wasserstoff, Biogas und sogar Erdgas infrage. Insbesondere die Erdgas- und Wasserstoffnutzung erweist sich in der PIK-Studie als effizient, weil sie landlos funktioniert und das größte Einsparpotenzial für Emissionen von Kohlendioxid besitzt. Der Hunger der Bakterien ist allerdings groß, rund 16 Prozent des Erdgasbedarfs müssten für dieses Szenario aufgewendet werden. Dauerhaft ist das nicht zu machen. Würde man stattdessen Biogas verwenden, entstünde mehr CO₂ als bisher. Und ein Wachstum auf der Grundlage von Zellulose aus Zuckerrohr schmälert den Schonungseffekt fürs Ackerland.

Ideal ist also keines der Szenarien. Trotzdem hat das Mikrobeneiweiß in den Augen Bodirskys eine Zukunft. "Wir denken, dass sich die Technologie unabhängig von Subventionen durchsetzen wird, weil die Kosten nach unseren Berechnungen in der Größenordnung heutiger Futtermittel liegen", sagt der Forscher.

Ob die Rechnung der Potsdamer aufgehen kann, hängt aber nicht nur davon ab, ob die Mastbauern dazu bereit sind, ihren Tieren Bakteriendrops ins Futter zu mischen. Auch die Mägen der Viecher müssen mitspielen, und das ist im Fall von Rindern ein Problem. Die Wiederkäuer benötigen nicht nur weniger Eiweiß fürs Wachstum als Schweine und Hühner. Sie werden krank, wenn ein zu großer Teil des sogenannten Raufutters, sprich Gras und Heu, durch andere Nahrung ersetzt wird.

Ein bisschen Bakterienfutter, ein bisschen Verzicht - und schon geht es dem Ökosystem Erde etwas besser

Als alleinige Lösung der Landnutzungsproblematik kommen die Proteinzusätze aus Bakterien aber ohnehin weder für Bodirsky noch seine Kollegen infrage. "Es ist eine Vielzahl von Maßnahmen nötig, um die Flächen zu entlasten und die Regenwälder zu erhalten", sagt der Agrarökonom. Besonders wichtig sei eine Umstellung der Ernährung, gefördert durch Bildungsprogramme. Das gilt insbesondere für Deutschland.

Derzeit konsumiert ein Bundesbürger pro Tag etwa 240 Gramm Fleisch. Das ist mehr als der europäische Durchschnitt, und mehr als doppelt so viel wie im weltweiten Mittel. Würden die Bewohner in Ländern mit hohem Proteinverzehr ihren Bedarf auf 60 Gramm Eiweiß pro Tag reduzieren und dafür ausschließlich auf tierisches Eiweiß verzichten, bliebe mehr Land verschont, als es ein globaler Einsatz von Bakterienpellets jemals bewerkstelligen könnte. Das hat eine Studie der World Resources Institute in Washington gezeigt.

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Eigentlich ist es also gar nicht so schwierig. Ein bisschen Bakterienfutter, ein bisschen mehr Verantwortung und Verzicht - und schon ist es um das Ökosystem Erde und die Verfügbarkeit von Nahrung für die wachsende Weltbevölkerung etwas besser bestellt. Wäre da nur nicht das Ego der Menschen. Die empfinden es zumindest hierzulande als Bevormundung, wenn sie von ihrem täglichen Fleischberg ein Scheibchen herunternehmen und ein paar Steaks weniger konsumieren sollen. Und das nicht nur in der Grillsaison.

© SZ vom 21.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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