Auch wer nur Salat isst, kann sich schon schuldig machen. "Was viele nicht wissen, für Lollo Rosso, Tomate und Gurke müssen Moore sterben", sagt Hans Joosten, Moorökologe von der Universität Greifswald. Die Setzlinge von Gemüsepflanzen und Kräutern, von Obstbäumen und Stauden sprießen fast ausnahmslos zunächst in Töpfen mit torfhaltiger Erde. Acht Millionen Kubikmeter verbrauchen die deutschen Garten- und Gemüsebauern deshalb jedes Jahr, zwei weitere Millionen landen in privaten Gärten und Blumenkübeln. Der kleinste Teil dieser enormen Mengen kommt aus Deutschland,die größten Mengen werden aus Mooren auf dem Baltikum gestochen.
Alle Versuche, die kostbare Erde zu ersetzen, scheiterten bisher. Kokosfasern oder Rindenmulch wurden zum Beispiel getestet - einige waren zu teuer, auf fast allen wuchsen die Pflanzen schlechter und keine der Alternative verhält sich im Boden wie Torf. Der lässt sich gleichsam einem Schwamm mit Dünger beladen und so für jede Kultursorte optimieren.
Der wundersame Boden entsteht in Jahrtausenden des Wachsens und Vergehens aus Torfmoosen, die in Mooren gedeihen. Der natürliche Entstehungsprozess lässt sich jedoch nachempfinden. "Wir können Torf anbauen, statt ihn abzubauen", sagt Ökologe Hans Joosten. "Wir wollen dafür Torfmoos als Ackerbaupflanze etablieren." Gemäht, getrocknet und gemahlen ergibt das Moos ein Substrat, das handelsüblichem Torf ebenbürtig ist. In mehreren Projekten hat sein Team das vorgemacht: Auf Sand, auf Ton, sogar auf schwimmenden Inseln wachsen die Moose.
Bisher allerdings gab es kein Saatgut. Für ihre Zuchtversuche mussten Forscher und Unternehmen auf Naturschutzflächen mit Hecken- und Teleskopscheren Moosspitzen kappen und diesen Grünschnitt auf ihren Feldern ausstreuen, damit dort ein neuer Teppich entstand. "Das Moos in der Natur starb dadurch zwar nicht, aber wir mussten wildern. Das war immer der Flaschenhals im Torfmoosanbau", sagt die Biologin Anja Prager aus Joostens Team.
Torfmoos aus dem Bioreaktor soll den Raubbau an den letzten Mooren stoppen
Vor einem Jahr jedoch stellte der Freiburger Biologe Ralf Reski einen Bioreaktor vor, indem sich Torfmoos hundertmal schneller als in der Natur vermehrt. So kann er "Saatgut" - streng genommen: Moosspitzen - herstellen. "Wir sind zuversichtlich, dass wir damit den Moosanbau in Deutschland schneller ausweiten können", sagt Reski. Innerhalb von drei Jahren wollen die Forscher die Produktion des Saatgutes soweit entwickeln, dass es in den Verkauf gehen kann. Kunden für die grüne Saat gäbe es bereits. Die Torfproduzenten Klasmann-Deilmann in Geeste sowie das Torfwerk Moorkultur Ramsloh sind vor kurzem in den Moosanbau eingestiegen. Sie züchten derzeit auf insgesamt vierzehn Hektar Moos.
Zurzeit vermehrt sich das Torfmoos in Reskis Labor in einem knapp einen Meter hohen, gläsernen Bioreaktor, in dem es in einer Nährlösung mit Mineralsalzen schwimmt. Licht für die Fotosynthese spenden im Labor Leuchtstoffröhren. "Es wächst auf diese Weise steril, ist also nicht mit Unkräutern und Bakterien durchsetzt, die später bei der Aussaat Probleme machen würden", erklärt Reski. Achthundert Gramm Moosspitzen produziere sein Team bisher jeden Monat. Damit ließen sich erst ein paar Quadratmeter begrünen - bei weitem nicht genug für die Bestellung hektargroßer Felder. Zusammen mit Biotechnologen vom Karlsruher Institut für Technologie arbeitet Reski deshalb zurzeit an größeren Reaktoren aus Folie, in denen einige Kilogramm pro Monat heranwachsen sollen. Von den Leuchtstofflampen wollen die Forscher auf energiesparende Leuchtdioden umstellen und durch geschickte Auswahl des Leuchtspektrums den Ertrag nochmals steigern.
Um den deutschen Bedarf an Torf auf eine nachwachsende Basis umzustellen, bräuchte man 40 000 Hektar Kultur-Moos, hat Hans Joosten ausgerechnet und dabei die Entwicklungen im Bioreaktor noch außen vor gelassen. Klingt nach viel angesichts der 14 Hektar, die bereits kommerziell beerntet werden, aber sehr wenig, wenn man sich vor Augen führt, dass Raps für die Biodieselproduktion bundesweit auf etwa einer Million Hektar wächst.
Kunst-Torf wird teuerer sein als das Naturprodukt. Über den Erfolg entscheiden die Kunden
Der großflächige Anbau von Torfmoosen könnte jedoch nicht nur die verbliebenen Moore schonen, sondern auch das Klima schützen, argumentiert Joosten. Gegenwärtig bauen die Landwirte auf vielen ehemaligen Torfflächen vor allem in Niedersachsen Mais an. Im Kontakt mit Luft wandelt sich dann die verbliebene Torfschicht, üblicherweise einen Meter dick, in Kohlendioxid um. Die ehemaligen Moorflächen werden so zum Klimaschutzproblem. Sie setzen 29 bis 37 Tonnen Treibhausgas pro Hektar frei, so viel, wie ein Pkw auf 165 000 Kilometern ausstößt. Das summiert sich bundesweit zu rund fünf Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. Würden die abgetorften Flächen dagegen unter Wasser gesetzt und mit Torfmoos bestellt, würde der kohlenstoffhaltige Untergrund bewahrt. Alleine in Niedersachsen gibt es 140 000 Hektar ehemaliger Moorareale und damit weit mehr als für den gesamten Torfbedarf nötig wäre.
Aus Sicht der Obst- und Gemüsezüchter ist aber eine andere Frage viel wichtiger: Wie gut wachsen Setzlinge auf gemahlenem Moos? Schließlich ist es nicht in Jahrtausenden im Moor gereift, sondern eine Art "Turbo-Torf".
Die bisherigen Experimente sind vielversprechend. So ließen Forscher der Humboldt-Universität in Berlin auf dem mit Kompost vermengten Torfersatz, Weihnachtssterne wachsen und züchten nun auch Apfel- und Lebensbäume, Feuerdorn und Rhododendron. "Die wachsen genauso gut wie auf gewöhnlichem Torf", sagt Studienleiter Armin Blievernicht. Dagegen liefern andere Ersatzsubstrate schlechtere Ergebnisse. Das Torfwerk Moorkultur Ramsloh verkaufte bereits einen kleinen Teil seiner Moosernte als Orchideenerde an einen französischen Produzenten. "Die Zimmerpflanzen blühen darauf genauso prächtig wie sonst auch", sagt die Gartenbauingenieurin Silke Kumar vom Unternehmen.
Weil es um ihre eigene Zukunft geht, sind die beiden Torfproduzenten Klasmann-Deilmann und Torfwerk Moorkultur Ramsloh in den Torfmoosanbau eingestiegen. "Wir wollen Erde mit einem sauberen Image", sagt Projektleiter Jan Köbbing von Klassmann-Deilmann. In drei Jahren soll die Moosernte hundert Tonnen betragen. Doch ob sich der nachwachsende Rohstoff durchsetzt, hängt auch davon ab, ob die Verbraucher für eine Tomate, die nie in gestochenem Torf stand, ein paar Cent mehr bezahlen wollen. Der Raubbau im Baltikum wird die billigere Produktionsmethode bleiben.