Landwirtschaft:Soja für alle

Soja-Anbau in Thüringen weiterhin verschwindend gering

Die EU hat 2014 eine Direktive herausgegeben, mehr Eiweißpflanzen anzubauen, die vielversprechendste: Soja.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

In einem gigantischen Zuchtexperiment suchen Tausende Hobbygärtner und Genetiker nach neuen Arten von Sojapflanzen. Sie sollen künftig überall in Deutschland wachsen können.

Von Fabian Federl

Am Rande der Bamberger Gärtnerstadt führt ein Pfad an Eisenbahnschienen entlang zu einem kleinen, bunt und dicht bewachsenen Fleck mitten auf einer Wiese. Gelbe Zwiebeln, rote Paprika, Eichblatt und Pak Choi, daneben pralle Tomaten und oberarmdicke Zucchini. Felix Schmidling, ein 30-jähriger Hobbygärtner, läuft barfuß durch den Mittelgang des Selbsterntegartens, sammelt Gemüse für das Abendessen, eine Zucchini, einen Salat, drei Tomaten.

Der Bamberger Selbsterntegarten ist einer von Tausenden solcher Projekte in Deutschland, Menschen bewirtschaften gemeinsam ein Stück Land. Doch dieser ist besonders: Am Rande des Gartens stechen zehn mal zehn kniehohe Pflanzen heraus, eine Reihe dicht bewachsen, eine andere gelb und verdörrt, eine weitere umgeknickt unter dem Gewicht ihrer Früchte, kleinen länglichen Hülsen, wie Stangenbohnen, nur haariger. Schmidling pflückt eine Schote, drückt drei erbsengroße harte Bohnen heraus und legt sie auf seine Handfläche. Es sind Sojabohnen.

Es ist seltsam, diese Pflanze hier zu sehen, man kennt sie sonst aus Dokumentationen oder Umweltschutzkampagnen - neben gerodetem Regenwald, in riesigen Monokulturen, in Gentechniklaboren oder in der Massentierhaltung. Die Sojabohne hat, wie die Ölpalme, nicht den besten Ruf. Seit 2013 ist Soja die meistgehandelte Nutzpflanze der Welt. In Brasilien wird für sie der Regenwald gerodet, in den USA werden gigantische, gentechnisch veränderte Monokulturen angebaut. Der Sojakonsum weltweit steigt ebenso wie der Anbau. Soja enthält bestes pflanzliches Protein, und viel davon: 40 Prozent. Aus Soja wird vor allem Tierfutter und Öl gemacht, zu einem verschwindend geringen Teil auch Nahrungsmittel für Menschen, Tofu oder Sojamilch.

Schmidling, studierter Ökoagrarmanager, wirft die drei Bohnen an den Gartenrand, sie sind nicht zum Essen da, sondern für die Wissenschaft. "Saatgutforschung ist teuer", sagt er, "das können sich oft nur Unternehmen wie Bayer oder Monsanto leisten". Sein Sojagarten ist Teil des wohl größten Pflanzenzuchtexperiments Deutschlands. Er ist einer von Tausenden Laien, die in Schulen, Kleingartenvereinen und Gemeinschaftsgärten zusammen mit Biologen und Genetikern daran arbeiten, die Sojabohne in Deutschland heimisch zu machen.

Die dicken Bohnen sind groß, haben wenig Haare, sind leicht zu öffnen

Willmar Leiser, Agrarwissenschaftler an der Landessaatzuchtanstalt Baden-Württemberg, steht in Sneakers und Karohemd am Rande eines Sojagartens. Daneben leuchten UV-Lichter in Gewächshäusern, Belüftungen brummen. Es sind Semesterferien, das Institut für Pflanzenzüchtung der Uni Hohenheim ist nahezu menschenleer. Leiser, Mitte Dreißig, spricht mit schwäbischem Einschlag, überlegt und strukturiert. "Wir wollen, dass Soja bei uns heimisch wird", sagt er. "Dafür brauchen wir besser angepasste Sorten." Er fährt mit der Hand durch die Sojareihen, einige überreif und gelb, andere unterentwickelt, andere im Trockenstress zusammengeklappt.

Er zieht eine Schote der Sorte Edamame heraus. Sie ist groß, hat wenig Haare, lässt sich leicht öffnen, darin liegen dicke Bohnen. Unreif geerntet und gekocht gibt es sie in japanischen Restaurants zur Vorspeise. Daneben hängen verkümmerte, kleinere, dickere, längere oder gelbere Schoten, zehn bisher ungetestete Kreuzungsnachkommen der Sojabohne. Bislang wird nur ein Prozent des in Deutschland verbrauchten Sojas auch hier angebaut. Der Sojaförderring, ein Förderverband, schätzt, rund 40 Prozent des Sojabedarfs könnten aus heimischem Anbau gedeckt werden.

Bislang klappt der Anbau nur in Süddeutschland - und dort wird der Platz eng

Die EU hat 2014 eine Direktive herausgegeben, mehr Eiweißpflanzen anzubauen, die vielversprechendste: Soja. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat im selben Jahr 27 Millionen Euro für die Förderung von Eiweißpflanzen bereitgestellt, auch das Experiment der Landessaatzuchtanstalt ist so finanziert. Die sogenannte Eiweißstrategie findet sich selbst im Koalitionsvertrag wieder: "Wir wollen Agrarforschung besser verzahnen und in den Bereichen Tierwohl, nachhaltige Pflanzenschutzverfahren, Eiweißstrategie und klimaschonende Landwirtschaft stärken".

Bisher klappt der Anbau aber fast ausschließlich in Bayern und Baden-Württemberg. Und dort wird der Platz eng. In Ost- und Norddeutschland, wo große Flächen bereitstünden, wächst die Pflanze nicht. Willmar Leiser und seine Kollegen wollen die Sojabohne durch gezielte Kreuzung für diese Regionen fit machen.

Leiser hält eine Sojablüte zwischen den Fingern, drückt die pickelgroße Knospe, öffnet sie und legt eine Art weißen Fluff frei. "Das muss man mit der Pinzette alles entfernen, bis man die Stigma sieht", das weibliche Blühorgan. Daneben liegen die Antheren, die männlichen Gegenstücke, vier davon sind gut zu sehen, eine fünfte versteckt. Alle fünf müssen entfernt werden, die Pflanze also kastriert, damit sie sich nicht selbst befruchten kann. Dann werden Pollen aus den Antheren einer anderen Sojapflanze auf die Stigma gelegt. Und abgewartet. Der Vorgang ist extrem selten erfolgreich. Hat er geklappt, muss man fünf oder sechs Inzuchtgenerationen abwarten, erst dann kann man sie für Testzwecke nutzen.

Von den 1300 Genotypen, die Leiser so gezüchtet und an die Gärtner verschickt hat, ertragen einige besonders gut Kälte, andere Wind, Trockenheit oder Hitze besser. Es gibt Sorten, die haben einen zu frühen Reifezeitpunkt, sie würden sehr trocken werden, beim Dreschen Haarrisse bekommen und die Lagerung nicht überstehen. Andere sind zu nass und faulen. Einige haben kaum Ertrag, andere so viel, dass sie umknicken und nicht mehr maschinell gepflückt werden können. In Deutschland kann man nur Sorten anbauen, die nicht auf Tageslicht reagieren, weil die Tage im Sommer zu lang sind für die tropische Pflanze.

"Ziel ist, Genotypen zu finden, damit der Sojaanbau in der gesamten Region Deutschland möglich wird", sagt Leiser. Darunter auch Ost- und Norddeutschland. Denn da sind die großen Betriebe. Im Osten, mit schlechtem Boden und relativ kaltem Klima, bräuchte man eine Sorte, die kälteresistent ist, die früh blüht und bis in die kälteren Herbsttage ausreift, unsensibel für Tageslicht und Trockenheit im Hochsommer. Das würde lediglich sicherstellen, dass die Pflanze überhaupt wächst.

"Es gibt für jeden Flecken in Deutschland irgendeine Sojasorte, die wächst", sagt Willmar Leiser. "Eine, die zudem noch gute Tofueigenschaften hat, eher nicht." Tofuqualität wäre: hoher Proteingehalt, gute Aminosäuren, viel Öl. Guter Geschmack, Körnigkeit, Festigkeit, Wasseraufnahmevermögen. Zudem will man bestehende schlechte Eigenschaften herauszüchten. Die meisten für Tofu genutzten Genotypen enthalten einen Zucker, der bei manchen Menschen Flatulenz verursacht. Das Ziel für den Tofusojaanbau wäre also, zum Beispiel, einen Genotypen zu finden, der in Ostdeutschland wächst, der dort einen guten Ertrag erzielt und Tofuqualität hat, minus das Darmproblem. Deshalb die vielen Kreuzungen. "Ein großer Vorteil von Soja", sagt Leiser: "nur wenige Hülsenfrüchte sind wissenschaftlich so ausführlich untersucht."

Soja ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt, seit 1700 vor Christus in Ostasien angebaut. Im 19. Jahrhundert bringt sie der Wiener Agronom Friedrich Haberlandt nach Europa und macht Tausende Versuche in Südeuropa. 1878 veröffentlicht er "Die Sojabohne - Ergebnisse der Studien und Versuche über die Anbauwürdigkeit dieser neu einzuführenden Culturpflanze". Darin befindet er, Soja sei "sowohl einfach gekocht, ganz oder als Purée sowie mit Essig und Oel äusserst schmackhaft".

"Der Boden ist dadurch besser geworden"

Wenig später wird die Sojapflanze für ganz andere Zwecke in den USA entdeckt. Henry Ford nutzt sie zur Kunststoffherstellung und zur Ölproduktion. In den 30er-Jahren werden ihre Proteineigenschaften untersucht, ihr Reichtum an Aminosäuren entdeckt, Soja von nun an als Futtermittel genutzt, für die Margarineproduktion und als Bratöl. Während der Weltkriege werden Suppen für die hungernde Bevölkerung mit Sojamehl verdickt, Konrad Adenauer erfindet 1916 die Kölner Wurst, eine Sojawurst, und fördert den Sojaanbau auf öffentlichen Flächen. Die Nationalsozialisten entdecken Soja für sich, um die Eiweißlücke zu schließen, die der Nahrungsmittelautarkie des Dritten Reichs im Weg steht. In den 60er-Jahren kreuzt der Schwede Sven Holmberg erstmals eine Sojabohne, die Kälte und langen Tagen standhält, Soja verbreitet sich in kälteren Klimaten, in Kanada, der Ukraine und Argentinien.

Die Nachfrage für Bio-Tofu explodiert derzeit im Land

In den 80er-Jahren beginnen die ersten deutschen Betriebe Soja anzubauen, vor allem für Tofu und Sojamilch. Im Rheingraben, von Freiburg bis Mannheim, finden sie optimale Bedingungen. Ende der 90er-Jahre überzeugt der Freiburger Tofu-Hersteller Taifun Bauern am Oberrhein ihre Tofu-Sojabohne Primus anzubauen. Konsumenten beginnen sich für Soja zu interessieren, fragen bei Taifun an, ob Soja auch in Gärten wachse. Taifun bestellt daraufhin bei der Landessaatzuchtanstalt Saatgut zum Testen für die interessierten Hobbygärtner. Wenig später kommen säckeweise Sojasaat in Freiburg an, mit der Bitte, Merkmale zu Wachstum, Reife, Ernte zu notieren und einzusenden.

Aus diesem informellen Austausch entwickelt sich 2016 das größte Pflanzenzuchtexperiment Deutschlands. Der Tofuhersteller und die Landessaatzuchtanstalt beginnen das Projekt "1000 Gärten", werben in Magazinen und Zeitungen, in Newslettern von Kleingärten und Schulen, an Universitäten und in Bioläden, auf der Suche nach 1000 Gärtnern, die einen kleinen Teil ihres Gartens mit den verschiedensten Kreuzungsnachkommen von Soja bepflanzen würden.

Es melden sich 2300, am Ende bleiben 1730 übrig, von Garmisch Partenkirchen bis Kiel, vom warmen Rheingraben bis hoch in die Mittelgebirge. Sie bekommen je zwölf Säckchen mit rund 100 Samen, aus 1710 verschiedenen Genotypen, ein Impfmittel für den Boden und ein Thermometer, das automatisch alle 15 Minuten die Temperatur misst. Die Gärtner bauen die Pflanzen in vier Zentimeter Abstand voneinander, in zwei Meter Reihenlänge an. Eine Checkliste von 16 Punkten wird mitgeschickt, morphologische und physiologische Eigenschaften, Ertrag, Reife, Höhe. Ein einmaliger Datensatz für die Pflanzenzüchtung.

Am Rande von Berlin-Zehlendorf, zwischen Einfamilienhäusern, führt ein kleiner, unauffälliger Querweg, an holzverkleideten Lauben vorbei in einen typisch Berliner Kleingarten, am Eingang ein ungewohnt freundliches Schild: "Vorsicht! Spielende Kinder!" Bernhard Langner, ein großer, schlanker 43-Jähriger, sitzt in Sandalen und Freizeitkleidung, in seiner Hollywoodschaukel. Er war schon bei der ersten Runde von "1000 Gärten" dabei. Er hat im Gartenfreund davon gelesen, einer Zeitschrift für Kleingärtner. Es wachsen Kürbisse, Blumenkohl, Rhabarber, in Hochbeeten, wegen der sandigen Erde hier, Wasser versickert, der Boden hat wenig Nährstoffe. Am Rande des Gartens, zwischen dem Zaun und der Gartenlaube, wachsen in Reihen, wie vorgeschrieben, die Sojapflanzen. "Der Boden ist dadurch besser geworden", sagt Langner. Er zieht eine der umgeknickten Schoten heraus und fährt mit dem Finger darüber. Zuhause steht noch ein ganzer Kübel mit den Bohnen vom Vorjahr. Langners Plan ist, Tofu daraus zu machen.

334,9 Millionen Tonnen

Soja wurden 2016 auf der Welt produziert, 1960 waren es nur 17 Millionen Tonnen. Sie ist damit zu einer der wichtigsten Nutzpflanzen der Welt geworden, die auf sechs Prozent der globalen landwirtschaftlichen Nutzfläche angebaut wird. Die wichtigsten Produzenten sind die USA, Brasilien und Argentinien. Der größte Teil der Sojaernte wird zu Mehl gepresst, das als Zusatzfutter für Geflügel, Rinder und Schweine verwendet wird.

Tofuherstellung ist für den Sojaanbau, gemessen an der Menge, vernachlässigbar. Für die Forschung ist aber gerade diese Nische ein bedeutender Antrieb. Taifun nutzt, wie andere Bio-Tofuhersteller, zu großen Teilen Tofu aus mitteleuropäischem Anbau. Aus praktischen Gründen: In den USA und Brasilien ist Soja nahezu immer gentechnisch verändert. Das müsste in Deutschland gekennzeichnet werden. Die Nachfrage für gentechnisch verändertes Tofu ist aber ziemlich klein. Die für Bio-Tofu hingegen explodiert. Also müssen die Hersteller Anbauflächen finden, in denen Bio-Standards eingehalten werden. Daher die Suche nach einer Tofu-Sojasorte, die in Ostdeutschland wächst.

Alle gewinnen. Die Landessaatzuchtanstalt bekommt einzigartig genaue Daten, der Tofuhersteller neue Tofusorten und vielleicht Interessenten für heimischen Sojaanbau. Die Landwirte bekommen eine rentable Feldfrucht, die mit ihrer Stickstoffbindeeigenschaften den Boden düngerfrei bereichert. Und Konsumenten bekommen gentechnikfreies Soja, nach europäischen Umweltauflagen angebaut, ohne Abholzung des Regenwalds.

Zur SZ-Startseite
Kühe auf Weide

Ernährung
:Landwirtschaft ohne Tiere?

Die Kritik an der Massentierhaltung nimmt zu. Eine der radikalsten Forderungen ist der komplett tierfreie Bauernhof. Erste Projekte zeigen, dass eine "biovegane" Landwirtschaft prinzipiell funktionieren kann.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: