"Mann der Arbeit, aufgewacht, und erkenne deine Macht, alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will", heißt es im Gründungslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, aus dem später die SPD hervorging. Was in den Fabrikhallen des 19. Jahrhunderts galt, scheint auch für die moderne Agrarindustrie Bedeutung zu haben: Bleiben fleißige Bienen den Anbauflächen fern, werden die Pollen nicht verteilt, Früchte reifen nicht heran, und die Erntemaschinen stehen genauso still wie die Dampfmaschinen vor 150 Jahren. Die fliegenden Proletarier der Felder treten allerdings nicht aus freien Stücken in den Generalstreik - es gibt schlicht immer weniger. Das Insektensterben hat die industrielle Landwirtschaft dabei größtenteils selbst zu verantworten; Dünger, Pestizide und der Verlust natürlicher Lebensräume haben die Bestände weltweit dezimiert.
Welch schwerwiegende Folgen das Aussterben vieler Insekten für Flora und Fauna hat, ist schon länger bekannt. Wie sehr jedoch auch die Landwirtschaft selbst unter dem hausgemachten Insektensterben leidet, zeigt eine neue Studie US-amerikanischer und kanadischer Forscher: In den großen Anbaugebieten Nordamerikas bestäuben Insekten mittlerweile Apfel-, Heidelbeer- und Kirschblüten nicht mehr ausreichend, was die Ernten merklich schrumpfen lässt. Das berichten die 31 Wissenschaftler um den Biologen James Reilly in ihrer Studie, die an diesem Mittwoch im Fachjournal Proceedings of the Royal Society B erschienen ist.
Je weniger Insekten über die Obstwiesen flogen, desto weniger Früchte wuchsen an Bäumen und Sträuchern
Die Forscher haben systematisch untersucht, welche beliebten und deshalb massenhaft angebauten Früchte in Nordamerika unter fehlenden Bienen und anderen Bestäubern leiden. Dazu besuchten sie 131 Anbauflächen und zählten Honigbienen, Wildbienen sowie andere Insekten, die dort Blüten anflogen. Diese Zahlen verglichen die Forscher mit den Ernteerträgen der besuchten Farmen. Bei Apfel-, Kirsch- und Heidelbeerfarmen stellten sie einen deutlichen Zusammenhang fest: Je weniger Insekten über die Obstwiesen flogen, desto weniger Früchte wuchsen an Bäumen und Sträuchern. Melonen, Mandeln und Kürbisse sind bislang hingegen kaum vom Insektensterben betroffen.
Damit ausbleibende Bienen die Ernten substanziell schrumpfen lassen, müssen die Früchte vor allem gesund sein. Denn wenn Krankheiten, Schädlinge, Trockenheit oder Nährstoffmangel dazu führen, dass ohnehin weniger Blüten wachsen, fallen die fehlenden Bestäuber kaum ins Gewicht: Selbst stark dezimierte Bienenschwärme werden dann mit den vergleichsweise wenigen Blüten fertig.
Die Biologen schätzen den Wert der Wildbienenarbeit auf knapp 1,3 Milliarden Euro
Die Forscher stellten zudem fest, dass sich Wildbienen - von denen sehr viele Arten vom Aussterben bedroht sind - und Honigbienen die Arbeit einigermaßen gerecht aufteilen. Selbst in intensiv bewirtschafteten Anbaugebieten bestäubten die Wildbienen fast genauso viele Pflanzen wie Honigbienen, die von Imkern gezüchtet werden. Lange ging man davon aus, dass Honigbienen für die landwirtschaftliche Produktion bedeutender als Wildbienen sind. Doch schon vor einigen Jahren deuteten Studien darauf hin, dass Wildbienen mindestens ebenso viel leisten. Honigbienen fliegen laut den Wissenschaftlern zwar häufiger, Wildbienen transportieren pro Flug jedoch mehr Pollen. Andere bestäubende Insekten wie Fliegen oder Schmetterlinge beobachteten die Forscher auf den untersuchten Plantagen indes nur selten. Andernorts spielen auch sie eine wichtige Rolle.
Bienen und Beats:So klingt der Sommer
Edward Obika ist DJ und Imker. Wenn es wärmer wird, nimmt er seinen Bienenstock und stellt ihn dort auf, wo es blüht. Später komponiert er Töne zu seinem Honig. Über Synästhesie und die Frage, wie Wald und Sommerbrise klingen.
Klar ist: Das Insektensterben verursacht einen immensen wirtschaftlichen Schaden. Die Biologen schätzen den ökonomischen Wert der Wildbienenarbeit auf knapp 1,3 Milliarden Euro - allein für den untersuchten Heidelbeer-, Apfel, Kirsch-, Mandel-, Melonen- und Kürbisanbau in Nordamerika. Wissenschaftler versuchen immer wieder, den Wert sogenannter Ökodienstleistungen wie der Bestäubungsarbeit monetär zu erfassen. Einer Schätzung aus dem Jahr 2008 zufolge schuldet die gesamte Menschheit den Bienen, Hummeln und anderen Bestäubern mehr als 150 Milliarden Euro für ihre weltweiten Dienste auf Feldern und Obstwiesen.
Die Autoren der Studie empfehlen an erster Stelle, die Wildbienenbestände besser zu schützen - vor allem durch den Anbau von Wildblumen. Sie erwähnen aber auch, dass mittlerweile einige Landwirte ihre Pflanzen künstlich bestäuben, sei es mithilfe von Drohnen oder menschlichen Arbeitern. Vor wenigen Wochen vermeldeten japanische Forscher gar, mit pollenhaltigen Seifenblasen Obstblüten bestäubt zu haben. Auch die Vordenker der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert sahen voraus, dass das Kapital die Arbeiter ersetzen wird, sobald der technische Fortschritt dies zulässt. Anders als für Fabrikarbeiter gibt es jedoch für Wildbienen keine neuen Jobs - ihr Aussterben wäre irreversibel, der Schaden für die Natur beträchtlich.