Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Landwirte im Datenrausch

  • Mit "Smart Farming" suchen Landwirte Antworten auf die Klimakrise, die ihre Böden verändert.
  • Auch die Bauernverbände setzen verstärkt auf Digitalisierung, um mit weniger Ressourcen mehr Ertrag einzufahren.
  • Herbizide könnten um bis zu 80 Prozent, Nitratrückstände durch Überdüngung im Boden um 30 bis 50 Prozent reduziert werden.

Von Kathrin Burger

Im Jahr 1950 hat ein Bauer in Deutschland gerade mal zehn Menschen ernährt, heute sind es 155. Doch hat die gesteigerte Produktivität ihren Preis: Die Böden sind vielerorts ausgelaugt, die Artenvielfalt schwindet. Die Klimakrise macht Dürren wie im vergangenen Sommer in Zukunft wahrscheinlicher. Und gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung weiter. Die Landwirtschaft steht also vor immensen Herausforderungen. Josef Bosch, Landwirt und Unternehmer südlich von Regensburg setzt darum auf die Digitalisierung der Landwirtschaft, auch "Smart Farming" genannt.

Dafür hat er seinen Traktor mit GPS-Antennen ausgerüstet und nutzt Daten von Sentinel-2-Satelliten, die im Rahmen des Erdbeobachtungsprogramms "Copernicus" von der Europäischen Weltraumorganisation Esa ins All gesandt wurden. Aus 790 Kilometern Höhe machen die Satelliten Luftaufnahmen von jedem Quadratzentimeter der Erde. Die Münchner Firma Vista hat sich in seinem Auftrag die Daten seiner 93 Hektar großen Felder heruntergeladen und berechnet daraus sogenannte "Düngekarten". Damit kann Bosch den Traktor füttern. "Denn ein Acker ist nicht homogen", sagt Bosch. "Es gibt Stellen, die sind fruchtbarer, andere weniger."

Neue Feldroboter versenken Unkraut einfach im Boden - und sparen damit Glyphosat

Mit dem Schlepper kann er nun ganz präzise düngen, dabei lenkt die Maschine von selber. Wo der Boden bereits viele Nährstoffe hat, braucht der Landwirt nun weniger Stickstoffdünger, um den gleichen Ertrag für seine Zuckerrüben oder den Winterweizen einzufahren. Während Bosch früher durchschnittlich 240 Kilogramm Stickstoff pro Hektar benötigte, sind es heute 30 bis 45 Kilogramm weniger. Davon profitiert die Umwelt. Überdüngung schadet den Gewässern sowie der Artenvielfalt. Wegen der hohen Nitratbelastung des Grundwassers droht die EU-Kommission Deutschland derzeit sogar mit einer Klage.

Der Regensburger Landwirt spart nicht nur Dünger, auch Pflanzenschutzmittel werden dank einer automatischen Steuerung der Spritze nur dort aufgetragen, wo es nötig ist. Früher wurden einige Stellen immer doppelt behandelt, weil sich die Fahrspuren überlappten. Und auch das Saatgut kann effizienter gepflanzt werden. All das senkt natürlich auch Kosten.

Wie Bosch, der mit der Firma Farm Facts digitale Lösungen verkauft, setzen auch Bauernverbände verstärkt auf die Digitalisierung, um mit weniger Ressourcen mehr Ertrag einzufahren. In Deutschland nutzt laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom einer von fünf landwirtschaftlichen Betrieben solche Technologien, bei großen Höfen mit mehr als 100 Mitarbeitern ist es jeder Dritte. Die EU-Kommission und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördern derzeit massiv entsprechende Forschungsprojekte.

Laut einem wissenschaftlichen Gutachten des EU-Parlaments ließen sich auf den europäischen Äckern mit Informationstechnologie zehn Prozent Dieselkraftstoffe einsparen, auch die Bodenerosion könnte begrenzt werden, von derzeit 17 Tonnen Erdreich pro Hektar auf eine Tonne. Herbizide könnten um bis zu 80 Prozent, Nitratrückstände durch Überdüngung im Boden um 30 bis 50 Prozent reduziert werden.

Neben der Digitalisierung großer Landmaschinen wie Schleppern und Mähdreschern werden völlig neue Drohnen und Feldroboter entwickelt. Jens Karl Wegener, Ingenieur am Julius-Kühn-Institut in Braunschweig, erforscht, wie man schwere Landmaschinen durch kleine, autonome Roboter ersetzen kann. Diese sollen einen neuen Typ Feld bewirtschaften, auf dem verschiedene Pflanzen in amorphen "Spots" wachsen, anstatt in Reih und Glied als Monokultur. Beim "Spot-Farming" werden Rüben, Mais oder Getreide gezielt dort angepflanzt, wo sie die besten Bedingungen zum Gedeihen vorfinden.

"Kleine, wendige Feldroboter, die über GPS navigieren und sich mit Sensoren Umweltinformationen beschaffen, können eine Einzelpflanzenbetreuung realisieren, wie man es aus dem Gewächshaus kennt", erklärt Wegener. "Sie versorgen jede einzelne Pflanze nach Bedarf mit Nährstoffen und schützen diese vor Krankheiten und Schädlingen." Ressourcenschonend arbeitet auch Boni Rob, ein Feldroboter auf Rädern, entwickelt von der deutschen Firma Deepfield Robotics. Der kann Unkraut mithilfe eines Rammstabes im Boden versenken - und damit Herbizide wie Glyphosat ersetzen.

Zudem wird an Drohnen geforscht, die einmal die Bestäubungsarbeit der Bienen verrichten können, falls es nicht gelingt, das massenhafte Bienensterben einzudämmen. Auf dem Markt sind bereits Drohnen, die Schlupfwespen-Eier tragen und diese in Kapselform über einem Maisfeld abwerfen, das etwa vom Zünsler befallen ist. Die Wespen schlüpfen und legen ihre Eier in die des Maiszünslers, was den Schädling bekämpft und Ernteverluste begrenzt. Die Drohne fliegt autonom und wirft alle zehn Meter eine Kapsel ab.

"Ob ich als Landwirt eine Beziehung zur Kuh habe, ist aus tierethischer Sicht nicht wichtig"

Im Tierstall eröffnet insbesondere das "Internet der Dinge" Chancen. So sorgen etwa Klimaanlagen für ein besseres Wohlbefinden von Hühnern oder Schweinen, indem sie automatisch lüften oder heizen. Mit Sensoren ausgestattete Halsbänder können Kühe erkennen, die auffällig viel liegen oder wenig trinken und fressen. Sie alarmieren den Bauern über das Smartphone. Das klingt zwar nicht nach bäuerlichem Idyll, aber: "Ob ich als Landwirt eine Beziehung zur Kuh habe, ist aus tierethischer Sicht nicht wichtig", sagt Armin Grunwald vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse in Karlsruhe. "Wichtig ist vielmehr, dass das Tier ordentlich gehalten wird - egal ob mit oder ohne Digitalisierung im Stall."

Ein weiterer Vorteil: Die gesammelten Informationen können geteilt werden. So könnten auch benachbarte Betriebe von einem drohenden Schädlingsbefall erfahren. Zwar wird das Smart Farming derzeit vor allem von großen Höfen genutzt, allerdings können auch kleine Betriebe profitieren. Laut dem Bayerischen Bauernverband könnten etwa teure Maschinen gemeinschaftlich genutzt werden. Ein Hindernis für die zügige Verbreitung ist derzeit jedoch die oft mangelnde Anbindung an schnelles Internet auf dem Land.

Doch die weitreichende Vernetzung auf dem Feld zieht auch große Agrar-Firmen an. Bayer, John Deere, aber auch Amazon und Google sammeln derzeit immense Mengen an Agrar-Daten. Der Grund für das Interesse: Goldman Sachs prognostizierte vor zwei Jahren für das Smart Farming ein Marktpotenzial von 240 Milliarden Dollar, bei 70 Prozent mehr Erträgen bis 2050. "Durch die Eigentumsverhältnisse an Daten können jedoch rasch Machtverhältnisse entstehen", warnt Grunwald.

Dass eine Abhängigkeit von großen Unternehmen nicht ratsam ist, meinen auch die Wissenschaftler der "Innovationsinitiative Landwirtschaft 4.0". Die Forscher der Leibniz-Institute fordern in einem Positionspapier, die Vernetzung öffentlich zu fördern, um einen monopolisierten Zugriff auf die Daten zu verhindern. "Diese großen Konzerne halten dann möglicherweise eines Tages die Daten der Landwirte in der Hand", meinte der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck auf der "Digital Farming Conference" im Frühjahr. Da stelle sich die Frage, wie sehr Bauern dann noch eigenständig wirtschaften könnten.

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Quelle:
SZ vom 12.09.2019/fehu
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