Landung auf dem Mond:Die Eroberung des Nichts

Wie alle große Kunst war die Mondlandung wunderschön, aber vollkommen nutzlos. Doch die Amerikaner wollten damit ihre Überlegenheit im Kampf der Systeme beweisen.

Willi Winkler

"Dunkel, Genossen, ist der Weltraum, sehr dunkel." (Funkspruch, den der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin 1961 an die Kontrollstation sandte)

Landung auf dem Mond: Präsident Richard Nixon begrüßt die Astronauten bei ihrer Heimkehr vom Mond.

Präsident Richard Nixon begrüßt die Astronauten bei ihrer Heimkehr vom Mond.

(Foto: Foto: AP)

Sogar die Zukunft war früher besser. Im dritten Jahrhundert vor Christus berechnete Archimedes die Kreiszahl p und konnte mit seinen physikalischen Erkenntnissen ganze Flotten in Brand stecken. Aber das genügte ihm noch immer nicht, er wollte mehr.

Für die anderen war die Welt vor dem Hafen von Syrakus oder spätestens jenseits der Säulen des Herakles unbekannt und deshalb gefährlich. Der große Ingenieur und Kriegstechniker mochte aber nicht auf diesem kleinen Ball festsitzen, sondern wünschte sich, vorübergehend wenigstens, weit, weit weg.

Er wollte Allmacht. "Gebt mir einen festen Punkt außerhalb", soll er gesagt haben, "und ich bewege die Erde." Vor vierzig Jahren, am 20. Juli 1969, als die Fähre Eagle auf dem Mond landete, war der archimedische Punkt gefunden.

Dieser Punkt, dieser Mond hatte die Erde schon immer bewegt. Eines Tages, heißt es, habe sich ein Teil der Erde von dieser gelöst und sich selbständig gemacht. Wenn es so etwas wie eine Menschheitsanalyse gäbe, käme dabei wahrscheinlich heraus, dass die Erde nie über den Schmerz hinweggekommen ist, den sie fühlte, als sich der heutige Mond mit Gewalt von ihr losriss. Unwiderbringlich verloren ist er und kommt doch nicht los, muss, ob er will oder nicht, immerfort um sie kreisen, immer kreisen.

Guter Mond, du gehst so stille: Der Phantomschmerz ließ die Dichter sehnsüchtig von seinem bleichen Licht singen. "Nie ging einem die Ferne so nah", seufzte César Vallejo, doch sollte des Menschen Geist nicht in der Lage sein, die Trennung zu überwinden?

Der erste Mensch im Weltraum - ein Russe

In den Zwanzigern, dem Jahrzehnt der großen Technikbegeisterung, erschien es zum ersten Mal möglich, dass modernste Technik die alte Leidenschaft stillen könnte. Dass diese Technik dann horizontal und nicht vertikal ausgerichtet wurde und vor allem Verwendung im Massenmord an Zivilisten fand, ist ein Systemfehler, der Wernher von Braun so wenig störte wie später das amerikanische Militär.

In den USA erhielt er seine zweite Chance, weil inzwischen der Rüstungswettlauf zwischen Ost und West losgebrochen war. Die Signale, die der blecherne Sputnik im Oktober 1957 zur Erde sandte, haben die Amerikaner wahrscheinlich mehr erschüttert als Elvis Presleys "Hound Dog".

Jahrelang schien es, als hätten die Russen und nicht die Amerikaner die besseren Raketenexperten aus Nazi-Deutschland geholt: Amerika war zu spät, zu schlecht, zu rückständig. Nach Sputnik schickten die Russen die Hündin Laika ins All und 1961 sogar einen leibhaftigen Offizier. Juri Gagarin war der erste Mensch im Weltraum, aber vor allem war er ein Russe.

Nach China und dem Ostblock drohte der ganze Weltraum kommunistisch zu werden. Deshalb verkündete John F. Kennedy nur einen Monat nach Gargarins Weltumrundung seine Absicht, "noch vor Ablauf des Jahrzehnts einen Menschen zum Mond und wieder sicher zurück" zu bringen.

Ein Weltbild wie im James-Bond-Roman

Kennedys Weltbild war durch die James-Bond-Romane Ian Flemings geprägt; der Mondflug musste beweisen, dass die USA der Sowjetunion im Wettkampf der Systeme überlegen waren. Da der Präsident bereits zweieinhalb Jahre später ermordet wurde, verwandelte sich sein hochgemutes Versprechen in ein nationales Erbe, ein Testament, dem schon aus Respekt vor dem großen Toten Folge zu leisten war.

Milliarden Dollar wurden investiert, in fast mörderischer Eile ein Zukunftsprogramm entwickelt, wie es die Welt davor und danach nicht erlebte. Zum Mond und wieder zurück: Das klang 1961 noch unglaublich, aber mit einem ungeheuren finanziellen Einsatz gelang es der Nasa, das Versprechen des Präsidenten termingerecht einzulösen.

Zeit der großen Gesten

Wie eine absurde Pointe wirkt es daher, dass Edward Kennedy, der nach seinen ermordeten Brüdern John und Robert als Präsident vorgesehen war, zwei Tage vor der Mondlandung in Chappaquiddick mit seinem Wagen in den Fluss fuhr, wobei seine Sekretärin starb.

Nur wenige Wochen zuvor hatte er gefordert, die Mittel, die bisher für das Apollo-Programm zur Verfügung standen, für ein irdisches Programm zur Bekämpfung der Armut umzuwidmen. Doch brauchte Amerika im Systemvergleich diesen propagandistischen Erfolg, der die Armut, die Rassenunruhen und vor allem den unseligen Vietnamkrieg überblendete.

Die Mondlandung war, wie alle große Kunst, vollkommen unnütz, aber dafür schön anzuschauen. Nur in den unverschämt optimistischen Sechzigern konnte ein so absurdes Unternehmen überhaupt geplant werden und auch noch erfolgreich sein.

Es war die große Zeit für große Gesten: Der gottlose Russe Gagarin hatte den Genossen zu Hause erklärt, dass er draußen im All keinen Gott gesehen hatte; die amerikanischen Astronauten der Apollo 8 verlasen im Weltall die Genesis über eine vorzeitliche Erde, die "wüst und leer" war.

Eritis sicut deus, hatte die gleißnerische Schlange einst Adam und Eva versprochen, ihr werdet sein wie Gott. Die frommen Amerikaner erfüllten den maßlosen Traum des Archimedes, und vom All aus gesehen erstand die Welt aufs Neue.

Der göttliche Funke

Nicht der Rüstungswettlauf, sondern ein göttlicher Funke zündete das Apollo-Programm. Der Hit des Sommers 1969 hieß "In the Year 2525". In den Versen des schrammelnden Duos Zager und Evans schwangen die Grundfragen menschlicher Existenz, das quasiheideggerische Geworfensein in das Dunkel des Alls, aus dem der Mensch 5332 Jahre vor Christi Geburt um vier Uhr nachmittags geschaffen wurde.

Nach anderen, kaum verlässlicheren Berichten war es etliche Millionen Jahre früher, und wahrscheinlich war es bereits nach fünf. Der märchenhafte Sommer 1969 endete mit den düsteren Riffs von "Bad Moon Rising". Das Ende, drohten Creedence Clearwater Revival im apokalyptischen Ton eines Predigers aus den Südstaaten, das Ende ist nahe.

Das Ende der bemannten Mondfahrten war schon vor der ersten Landung auf dem Trabanten beschlossen. Der Westen hatte unzweifelhaft gesiegt; die amerikanische Flagge im Mare Tranquillitatis zeigte es allen. Nachdem die Amerikaner sie überholt hatten, gaben die Russen den Versuch, wenigstens als Zweite auf dem Mond zu stehen, lieber gleich ganz auf.

Heute streben China, Japan und Indien mit neuem Elan zum Mond. Inzwischen liegt er wieder da wie vor dem ersten Schöpfungstag, wüst und leer und von all den Jahren, in denen er unbehelligt blieb, fast so jungfräulich bleich wie früher.

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