Ladendiebstahl:Die Abkassierer

Ladendiebstahl: Besonders mit wenigen Artikeln soll das Bezahlen an der SB-Kasse schneller gehen.

Besonders mit wenigen Artikeln soll das Bezahlen an der SB-Kasse schneller gehen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Etwa 530 Märkte in Deutschland bieten Kunden die Möglichkeit, den Einkauf an SB-Kassen selbst zu kassieren.
  • Einer britischen Online-Umfrage zufolge hat jeder fünfte schon mal etwas an einer Selbstbedienungs-Kasse gestohlen.
  • Deutsche Kunden liefern ein anderes Bild.

Von Jan Schwenkenbecher

Vier Mal packte ein 58-Jähriger im Dezember eine Portion Kalbsleber in einem Münchner Supermarkt in eine Obsttüte, um an der Selbstbedienungskasse den Preis zu drücken. Drei Mal kam er davon. Weil der Mann im Monat über 24 000 Euro verdient, musste er nun für die vier Stücke Kalbsleber, deren Wert zwischen 13 und 47 Euro rangiert, insgesamt 208 000 Euro Strafe zahlen. Motive für seine Tat konnte der Kalbsleber-Dieb nicht nennen. War ihm fad? Muss für SB-Kassen die volkstümliche Annahme gelten, dass Gelegenheit Diebe macht?

Glaubt man einer Umfrage von Voucher Codes Pro - einer britischen Webseite, die Gutscheine und Rabatt-Codes zum Download bereitstellt - hat jeder fünfte schon mal an einer SB-Kasse etwas gestohlen. Im Netz findet sich gar ein eigenes Glossar für verschiedene Diebstahl-Varianten. Es gibt den "Banana Trick", bei dem der Dieb die teuren Bio-Fairtrade-Bananen mit dem Label der günstigeren Variante etikettiert.

Schmuggelt er etwas an der Waage der Kasse vorbei, macht er einen "pass around". Und klebt jemand das Etikett von 500 Gramm Salz auf ein Pfund Kaffee, ist das ein "switcheroo". Werden Menschen also eher zu Dieben, wenn die Kontrolle fehlt - wie es vermeintlich an SB-Kassen der Fall ist? Und wenn ja, geht es ihnen dabei um den kleinen Kick im sonst gleichförmigen Alltag?

"Die Gruppe der klassisch Dissozialen ist allgemein kriminell"

"Man muss da aufpassen, dass man nicht von einer kleinen Gruppe verallgemeinert", sagt Martin Rettenberger, Rechtspsychologe und Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. Dieses "Sensation Seeking", das Streben nach intensiven Empfindungen, überlappe mit anderen Persönlichkeitsmerkmalen. Die Suche nach dem Kick spielt zum Beispiel bei der Jugendkriminalität eine gewisse Rolle. Ansonsten taucht Nervenkitzel als Motiv gelegentlich bei einer antisozialen Persönlichkeitsstörung auf.

Allerdings gilt hierbei: "Die Gruppe der klassisch Dissozialen ist allgemein kriminell. Die stellen alles Mögliche an und lassen dann natürlich auch mal im Laden etwas mitgehen", sagt Rettenberger. Der "Kick" ist nur eine von vielen möglichen Ursachen. Zudem ist die Gruppe der Menschen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung eher klein. "Personen, die ausschließlich wegen des Nervenkitzels klauen, halte ich für sehr selten", sagt Rettenberger.

Es gibt nicht viele Studien, die untersuchen, ob an SB-Kassen mehr gestohlen wird als sonst. Eine der wenigen stammt aus dem Jahr 2011 von der Universität Leicester. In Großbritannien nutzen Supermarktbetreiber SB-Kassen schon deutlich länger und auch häufiger als in Deutschland. Anhand der Daten von sechs großen Einzelhandels-Ketten zeigten die Ergebnisse der Untersuchung, dass in Läden, in denen Kunden selbst bezahlen, nicht mehr gestohlen wird und dass dort auch insgesamt die Diebstahlrate nicht anstieg.

Der Kassenbereich ist keine menschenleere Zone

Fragt man bei deutschen Supermarktketten nach, scheint Diebstahl kein Problem zu sein. Bei Rewe nicht, bei Kaufland nicht, und auch bei Real nicht, wo solche Kassen schon seit 2002 im Einsatz sind. Real-Pressesprecher Markus Jablonski sagt: "Wir haben uns die Frage schon 2002 gestellt. Nach einem Jahr haben wir festgestellt, dass nicht mehr geklaut wird. Wenn das ein Problem wäre, hätten wir das zurückgebaut."

Macht die Gelegenheit also doch keine Diebe? "Wir wissen", sagt Psychologe Rettenberger, "dass die Wahrscheinlichkeit, aufgedeckt zu werden, ganz entscheidend dazu beiträgt, ob Menschen kriminell werden." Auch bei SB-Kassen wuseln Mitarbeiter zwischen den Geräten umher. Sie helfen den Kunden, das grüne Ding aus dem Korb als Chicorée zu klassifizieren und den dazugehörigen Knopf auf dem Bildschirm zu finden. Nebendran stehen Kassierer an den herkömmlichen Kassenbändern, die es immer noch gibt. Kameras hängen an der Decke. Der Kassenbereich ist keine menschenleere Zone, in der die anarchischen Ausbrüche des Feierabend-Einkäufers unbeobachtet blieben. Und selbst wenn dem so wäre, gilt als wichtigster Punkt: "Die meisten Menschen klauen nicht", sagt Rettenberger.

Es gibt also Diebe und keine Diebe. SB-Kassen ändern daran nichts. Das bestätigt auch der eingangs geschilderte Kalbsleber-Klau: Der Mann war bereits mehrfach vorbestraft.

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