Evolution:Hilfe, ich habe die Lachse geschrumpft

Evolution: Im finnischen Fluss Teno gibt es besonders viele Lachse.

Im finnischen Fluss Teno gibt es besonders viele Lachse.

(Foto: Pekka Tuuri)

Lachse in einem finnischen Fluss werden kleiner, wenn Menschen weit weg das Meer überfischen. Wie kann das sein?

Von Tina Baier

Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen? Diese Frage stellte einst der US-amerikanische Meteorologe Edward Lorenz, um zu veranschaulichen, dass winzige Eingriffe in komplexe Systeme unabsehbare Auswirkungen haben können.

Dieses als Schmetterlingseffekt bekannte Phänomen gilt auch für die Netzwerke der Natur, deren Zusammenhänge kaum bekannt sind. Trotzdem greift der Mensch an vielen Stellen ein, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was er damit auslösen könnte.

Ein interessantes Beispiel dafür beschreiben finnische Biologen in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Science. In ihrer Studie weisen sie nach, wie die Überfischung der Lodde, eines kleinen Schwarmfisches in der Barentssee, dazu führt, dass Lachse, die andere Fischer viele Kilometer entfernt im finnischen Fluss Teno aus dem Wasser ziehen, kleiner werden.

Für die Untersuchung wertete das Team um den Biologen Yann Czorlich von der finnischen Turku-Universität Daten aus 40 Jahren Fischerei aus und kombinierte diese mit den Ergebnissen genetischer Analysen von Lachsen. Dabei stellten die Biologen fest, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Populationsgröße der Lodde in der Barentssee und der Häufigkeit einer bestimmten Genvariante im Erbgut der Teno-Lachse, die bewirkt, dass die Fische früher geschlechtsreif werden und kleiner sind. Immer wenn die Population der Lodden wegen Überfischung zusammenbrach - was im Untersuchungszeitraum mehrmals vorkam - häufte sich bei den Lachsen diese Genvariante an.

Um zu überleben, müssen sich Tiere und Pflanzen im Anthropozän schneller anpassen

Dieser auf den ersten Blick überraschende Zusammenhang hat den Autoren zufolge mit dem komplizierten Lebenszyklus der Lachse zu tun. Die Fische werden im Süßwasser von Flüssen geboren und wandern dann ins Meer. Dort verbringen sie sozusagen ihre Kindheit und Jugend. Sobald sie geschlechtsreif werden, wandern sie dann zurück in den Fluss, in dem sie geboren wurden, um dort zu laichen.

In der Barentssee sind die - in guten Zeiten riesigen - Schwärme von Lodden eine der Hauptnahrungsquellen für die dort lebenden jungen Lachse. Wenn die Fangflotten zu viele Lodden aus dem Meer ziehen, finden die Raubfische nur wenig zu fressen. Der Mangel hat offenbar eine Veränderung in ihrem Erbgut zur Folge, die bewirkt, dass die Lachse früher geschlechtsreif werden und kleiner bleiben. "Menschliche Aktivitäten können einen mächtigen Selektionsdruck ausüben, der schnelle evolutionäre Veränderungen bei wildlebenden Arten zur Folge hat", schreiben die Autoren der Studie in Science. Biologen sprechen auch von "Evolution im Zeitraffer".

Charles Darwin, der in seinem Buch "Die Entstehung der Arten" vor mehr als 160 Jahren die Evolutionstheorie begründete, hatte noch angenommen, dass Evolution ein langsamer Prozess ist. Jahrtausende oder sogar Jahrmillionen sollte es dauern, bis sich durch Mutation und Selektion neue Arten bilden (Makroevolution) oder sich existierende Spezies verändern (Mikroevolution).

Im Anthropozän - also im vom Menschen geprägten Zeitalter - verändert die Art Homo sapiens ihre Umwelt und damit die Bedingungen für andere Tiere und Pflanzen allerdings mit viel höherer Geschwindigkeit, als das wohl jemals zuvor in der Geschichte der Erde der Fall war. In diesem unfreiwilligen Großexperiment müssen sich Tiere und Pflanzen rasant verändern, um überhaupt eine Überlebenschance zu haben.

Dass der Mensch als Selektionsfaktor die Evolution von Tieren und Pflanzen direkt beeinflussen und beschleunigen kann, ist schon länger bekannt. Beispiele dafür sind Elefanten in Mosambik, die ihre Stoßzähne verloren haben, weil sie dadurch für Wilderer uninteressant werden und überleben. Aus einem ähnlichen Grund haben viele Dickhornschafe in den USA mittlerweile keine dicken Hörner mehr, sondern eher mickrige. Und der Kabeljau ist in den vergangenen Jahrzehnten nachweislich dünner und kürzer geworden, weil kleine Exemplare durch die Netze der Fangflotten rutschen.

Die aktuelle Studie ist eines der wenigen verstandenen Beispiele dafür, wie der Mensch die Evolution nicht nur direkt, sondern auch indirekt beeinflusst: Die Lachse schrumpfen, weil Menschen einen ganz anderen Fisch an einem ganz anderen Ort fangen. Ironischerweise werden die Lodden in der Barentssee auch deshalb in großem Maßstab gefischt, um sie an Lachse in Aquakultur zu verfüttern.

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