ÖkologieWie der Mensch dem Lachs die Angst wegtherapiert

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Atlantische Lachse, die wie hier flussaufwärts springend zu den Brutgebieten wandern, müssen vorher als Jungfische den gleichen Weg in der anderen Richtung überlebt haben.
Atlantische Lachse, die wie hier flussaufwärts springend zu den Brutgebieten wandern, müssen vorher als Jungfische den gleichen Weg in der anderen Richtung überlebt haben. (Foto: imago stock&people)

Anders als Menschen haben Lachse keine Angststörungen, werden aber durch weltweit verbreitete Medikamenten-Rückstände in Gewässern mitbehandelt. Nun zeigen Forscher einen überraschenden Effekt auf ihr Verhalten.

Von Christian Weber

So ein Wasserkraftwerk im Flussverlauf ist für Fische keine angenehme Sache, die Turbinen können sie das Leben kosten, die Strudel machen ihnen Angst. Ausgerechnet ein menschengemachtes Medikament scheint nun zumindest bei einigen diese Angst zu dämpfen und ihnen in der Folge zu höheren Erfolgsraten bei der Passage zu verhelfen. Wie ein Team um Jack Brand von der schwedischen Universität Umeå im Fachmagazin Science berichtet, kann das weit verbreitete Psychoparmakon Clobazam – ein Mittel gegen Angststörungen – das Risikoverhalten von Atlantischen Lachsen so ändern, dass mehr von ihnen den Weg von ihren Brutstätten an den Oberläufen von Flüssen zum Ozean bewältigen. Die Forscher und Forscherinnen weisen allerdings darauf hin, dass man ihre Studie nicht als Erfolgsmeldung sehen sollte.

Ihre neuen Daten seien vielmehr ein Beleg dafür, dass von Menschen entsorgte Medikamente nicht nur die globalen Wasserkreisläufe belasten, sondern tatsächlich auch von den Tieren aufgenommen werden und deren Verhalten ändern können, mit noch unabsehbaren Risiken für die aquatischen Ökosysteme. So zeigten neuere Übersichtsarbeiten, dass weltweit bis zu 1000 pharmakologische Substanzen in Flüssen, Seen und Meeren nachweisbar seien. Diese könnten offensichtlich lange überdauern und auch in starker Verdünnung noch bis in die Gehirne von Tieren gelangen und dort wirken. Besonders relevant seien dabei die am häufigsten verschriebenen Psychopharmaka gegen Angst und Depression.

Die pharmazeutisch gedopten Lachse erwiesen sich als schnelle und risikobereite Solo-Schwimmer. Ein Überlebensvorteil?

Die bisherigen Untersuchungen krankten allerdings daran, dass sie meist nur im Labor stattfanden. Dort lassen sich zwar leicht Medikamentenrückstände in Gehirn und Gewebe identifizieren, doch im Aquarium können nur basale Verhaltensänderungen beobachtet werden. Reale Ökosysteme sind viel komplexer. Nur im Feld lasse sich zuverlässig erkunden, ob ein durch Medikamente induziertes Verhalten sich auf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Fische auswirke, schreiben die Autoren. Außerdem sei zu beachten, dass in realen Gewässern womöglich unterschiedliche Pharmarückstände im Gehirn interagieren.

Aus diesem Grund starteten die Forscher ein Feldexperiment mit insgesamt 279 Junglachsen, die sie in vier Gruppen aufteilten. Ihnen wurden Implantate eingesetzt, die sie kontinuierlich entweder mit Clobazam, dem synthetischen Opioid Tramadol oder einem Mix beider Wirkstoffe versorgten. Die Dosierung war so gewählt, dass im Gewebe der Fische in etwa Konzentrationen erreicht wurden, wie sie auch in wild lebenden Fischen beobachtet wurden sowie in Fischen, die im Labor belastetem Wasser ausgesetzt waren. Die vierte Gruppe diente als Kontrolle und erhielt gar nichts. Dann wurden sie schwarmweise in den Fluss Dal in Mittelschweden gesetzt, dem sie 26 Kilometer lang bis zur Mündung in die Ostsee folgen sollten. Dabei mussten sie unter anderem mehrere Stromschnellen sowie zwei Staustufen an Wasserkraftwerken bewältigen. Ihren Weg verfolgten die Forscher mit telemetrischen Sendern. Um saisonale Schwankungen etwa der Wasserverhältnisse zu berücksichtigen, wurde der Versuch zweimal gemacht, 2020 und 2021.

Interessanterweise zeigten die mit Clobazam versorgten Lachse die beste Performance. In dieser Gruppe erreichten die meisten Fische das offene Meer, vermutlich weil sie sich dank größerer Risikobereitschaft eher von ihrem Schwarm lösten und schneller durch die kritischen Kraftwerkspassagen schwammen. Allerdings sollte man deshalb das Angstmittel nicht für unbedenklich halten, warnen die Forscher. So biete etwa die gemeinsame Fortbewegung im Schwarm üblicherweise einen Schutz gegen Fressfeinde, der beim mutigen Solo-Schwimmen entfalle.

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