Kunststoffe der Zukunft:Stahlhart und federleicht

Das meiste Plastik erfüllt das Klischee des Billigen, doch Hochleistungskunststoffe erobern die Alltagswelt. Das Kunststoffzeitalter ist in vollem Gange.

Christina Berndt

Der Trabi war das Auto der Zukunft. Nur war er seiner Zeit so weit voraus, dass das kaum jemand erkannt hat. Als Rennpappe war der sozialistische Volkswagen verschrien. Doch das war üble Nachrede, seine Karosserie bestand gar nicht aus Papier, sondern aus einem Baumwoll-Kunststoffgemisch namens Duroplast. Liebhaber blecherner Gefährte lachten über die anhaltenden Schäden, die Unfälle am Duroplastbomber aus Zwickau hinterließen.

Boeing 787 Dreamliner Takes First Test Flight

Die Boeing 787 ist das erste Großraumflugzeug, bei dem sogar der Rumpf zu einem Großteil aus modernen Plastikmixturen besteht.

(Foto: AFP)

Gerade die schnellsten Wagen aber sind heute selbst Plastebomber: Stahl und Aluminium sind fast vollständig aus den Rennautos der Formel1 gewichen, und auch in den Sportwagen der Luxusklasse wird statt Metall zunehmend Kunststoff verbaut. Als nächstes werden in den gewöhnlichen Personenwagen immer mehr Bauteile durch Plastik ersetzt. Schließlich machen Kunststoffe Autos nicht nur sparsamer, sondern häufig auch sicherer. Und von Rost ist keine Rede mehr.

Noch erfüllt das meiste Plastik zwar das Klischee des Billigen, doch zugleich erobern Hochleistungskunststoffe die Alltagswelt. "Das Kunststoffzeitalter ist in vollem Gange", sagt der Materialwissenschaftler Christian Oehr vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart, "ein Ende ist nicht in Sicht."

Seit vor knapp hundert Jahren die ersten Kunststoffe zu Telefonen, Radios und Modeschmuck verarbeitet wurden, hat sich die Vielfalt stets erweitert. Immer neue Materialvarianten werden kreiert. "Heute werden die Standardkunststoffe durch Additive und Beschichtungen an die verschiedensten Anforderungen angepasst", sagt Oehr. So werden steife PVC-Platten biegsam; Stoßstangen lassen sich in allen Farben lackieren, ohne dass der Lack zusammenläuft; und Implantate fügen sich komplikationslos in den menschlichen Körper ein. Nur Kunststoffe vollbringen das Kunststück, zugleich stabil wie Stahl, leicht wie Balsaholz und biegsam wie Gummi zu sein. Mit Flachs, Baumwolle oder Sisal gemischt, wiegen sie bei ähnlicher Festigkeit nur ein Fünftel so viel wie Stahl.

Eckard Foltin schwärmt, wenn er die Anwendungsmöglichkeiten der Polymerforschung aufzählt. Derzeit stellt sein Arbeitgeber Bayer Material Sciences aus modern aufgepepptem Polyurethan zerknautschbare Kotflügel her. Anders als das Duroplast des Trabi splittern diese Kotflügel nicht und beulen sich sogar von selbst wieder aus.

Noch stabiler lassen sich Kunststoffe durch Glasfasern oder winzige Röhrchen aus Kohlenstoff machen. "So halten sie trotz ihres geringen Gewichts eine hohe mechanische Belastung aus", sagt Foltin. Dazu werden die Glasfasern oder Carbonröhrchen zunächst zu einer Art Teppich verwebt, über den dann flüssiger Kunststoff gegossen wird. Die entstehenden Bauteile sind gut formbar - und lassen sich aneinanderkleben, ohne dass Schweißroboter ans Werk müssen.

Ökologische Nachteile

Seit Jahrzehnten schon experimentieren Forscher mit solchen Kunststoffmischungen. Inzwischen sind ihre Kreationen in zahlreichen Produkten enthalten - von Fahrradhelmen bis zu Skiern. Am weitesten verbreitet sind die Hybridkunststoffe freilich im Flugzeugbau, wo Leichtigkeit eine herausragende Rolle spielt. So ist die Boeing 787 das erste Großraumflugzeug, bei dem sogar der Rumpf zu einem Großteil aus modernen Plastikmixturen besteht.

Auch die Rotoren von Windrädern werden aus Faser-Kunststoffen gefertigt. Dadurch können sie einen Radius von 50 Metern erreichen, ohne dass die Ingenieure Angst haben müssen, ihre Flügel könnten verbiegen. Und dass der Wind die Leichtgewichte besser in Gang setzen und mehr Strom erzeugen kann als mit Rotoren aus Stahl, verbessert die Ökobilanz.

Zweifelsohne haben auch die Hybridkunststoffe ökologische Nachteile. Das räumt auch Eckard Foltin ein. Aber die modernen Materialien könnten zugleich helfen, die Umwelt zu schützen, betont er, nicht nur beim Spritsparen in Autos und Flugzeugen, sondern auch bei der Wärmedämmung im Hausbau. Wärmedämmplatten bestehen schon seit den 1970er-Jahren vor allem aus Polyurethan. Bald aber soll es Nanoschaum geben, dessen Porengröße um den Faktor tausend kleiner ist als die der Dämmplatten von früher. Bei gleich dicken Platten lasse sich so eine doppelt so gute Wärmedämmung erreichen, sagt Foltin: "Um energieeffizient zu heizen, muss man also nicht Mauern dick wie bei einer Burg um sein Haus errichten."

Gleichwohl sind die modernen Verbundkunststoffe anders als herkömmliche Plastikprodukte nur schwer recycelbar. Geflecht und Polymer sind allzu eng miteinander verbunden. Weil das Gewebe aber häufig wertvoll ist und die Kunststoffmixturen immer mehr genutzt werden, interessiert sich auch die Recyclingindustrie für sie: In Wischhafen an der Elbe wurde vor kurzem die erste Recyclinganlage für Carbonfaser-Kunststoffe der Welt eingeweiht.

Dort wird der Kunststoff von ausgemusterten Bauteilen heruntergedampft, zurück bleiben die Kohlefasern - "mit 90 bis 95 Prozent der Qualität des Ausgangsmaterials", wie Geschäftsführer Tim Rademacker versichert. So behielten die Fasern auch ihre Zugfestigkeit. Das Interesse an dem deutschen Pionierprojekt ist angesichts des Hybridkunststoff-Booms groß. "Die komplette Automobilbranche ist bei uns schon ein- und ausgegangen", sagt Rademacker.

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