Süddeutsche Zeitung

Krise der russischen Raumfahrt:Marslos

Das Mond-Programm ist eingedampft, ferne Planeten bleiben außer Reichweite, und Glamour-Kosmonautin Sarah Brightman hat ihren Abflug verschoben. Was ist los mit der einst so stolzen russischen Raumfahrt?

Von Julian Hans, Moskau

Sarah Brightman wartet erst einmal ab, und der Mars muss wohl auch warten. Die britische Sängerin -"Time to Say Goodbye"- hat familiäre Gründe dafür genannt, dass sie nicht wie geplant am 1. September ein russisches Sojus-Raumschiff besteigt und zur internationalen Raumstation ISS fliegt. Der Mars indes bekommt erst einmal keinen Besuch aus Russland, bis klar ist, ob in den nächsten Jahren überhaupt noch genug Geld da ist für Ausflüge in die Tiefen des Alls.

Es steht derzeit nicht gut um Russlands Raumfahrt. Dabei war der Kosmos einst ein überaus wichtiger Teil der sowjetischen Identität. Als von Baikonur am 4. Oktober 1957 der erste Satellit ins All geschossen wurde, hatte die Sowjetunion erstmals den Westen technisch überholt und damit scheinbar bewiesen, was die Ideologie versprach: die Überlegenheit des sozialistischen Modells. In Washington verstand man: Wer Satelliten ins All schießen kann, der kann auch Interkontinentalraketen bauen. Raumfahrt und Militärmacht Hand in Hand. Und Juri Gagarin flog 1961 als erster Mensch ins All.

Doch mit zu vielen Großprojekten habe sich die Sowjetunion schließlich übernommen, sagt heute der Raumfahrt-Experte Marinin. Allein am Programm für das Buran-Shuttle arbeiteten zwischenzeitlich 30 000 Menschen. "Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die russische Raumfahrt über Jahre nur dank internationalen Kooperationen überlebt."

Und so läuft das letzte Zehnjahresprogramm zur Entwicklung der russischen Raumfahrt in diesem Jahr aus. Das neue, das bis 2026 gelten soll, hätte längst beschlossen werden sollen. Den ersten Entwurf hat die Regierung Ende vergangenen Jahres abgelehnt - viel zu ambitioniert. Eine neue, zusammengestrichene Version liegt seit Februar vor. Wegen der Wirtschaftskrise ist unklar, wie viel Weltraum sich das Land noch leisten kann. Ein Mars-Programm jedenfalls werde es wohl auf absehbare Zeit nicht geben, sagt Igor Marinen, Chefredakteur der Zeitschrift Nowosti Kosmonawtiki ("Neues aus der Raumfahrt"). "Und das Mond-Programm kommt wahrscheinlich auch in einer sehr gekürzten Form. Ohne den Bau einer früher geplanten Mondstation".

"Retten Sie die Arbeiter"

Erst in der vergangenen Woche haben 80 Arbeiter auf der Baustelle für den künftigen Weltraumbahnhof Wostotschny wieder gestreikt, nachdem sie vier Monate lang auf ihren Lohn warten mussten. Eigentlich soll noch in diesem Jahr die erste Trägerrakete von dort ins All starten, 2018 dann das erste bemannte Raumschiff. Aber auf der prestigeträchtigsten Baustelle des Landes geht es nicht recht voran.

Im April sandten die Arbeiter ihren Zorn dort hin, wohin eigentlich einmal die Raketen fliegen sollen: in den Himmel. In riesigen Buchstaben schrieben sie "Putin. Retten Sie die Arbeiter" auf die Dächer ihrer Wohncontainer, sodass man den Hilferuf, wenn auch nicht vom All aus, so doch aus einem Flugzeug lesen konnte. Der Präsident erhörte die Bitte - auch weil die Arbeiter bei seiner jährlichen Call-in-Sendung im Fernsehen durchgestellt wurden. Es gab ein paar Verhaftungen bei Subunternehmern, aber trotzdem stocken die Arbeiten.

Der Weltraumbahnhof unweit der chinesischen Grenze soll das Kosmodrom Baikonur in Kasachstan zunächst ergänzen und später ersetzen. Russland hat das Gelände im Nachbarstaat noch bis 2050 gemietet. Aber in den vergangenen Jahren gab es regelmäßig Ärger mit den kasachischen Behörden, die keine Starterlaubnis erteilten.

Noch vor einem Jahr hatte Vize-Premier Dmitrij Rogosin die Zukunft des Landes vom Erfolg der Raumfahrt abhängig gemacht. In einem Artikel, den die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta im April 2014 veröffentlichte, schrieb der für Rüstung zuständige Minister: Die Sanktionen - die ja gerade den Bereich der militärisch nutzbaren Güter betreffen - könnten einen wissenschaftlichen und technischen "Durchbruch" in Russland bringen. Weil Güter, die man früher einfach importieren konnte, nun selbst produziert werden müssen - die Krise als Chance.

Geplatzte Träume von der Kolonialisierung des Mondes

Im Folgenden entwarf er ein fantastisches Szenario zur "Erforschung der Tiefen des Weltraums" mit drei strategischen Zielen: Ausbau der russischen Präsenz in niedrigen Umlaufbahnen, Kolonialisierung des Mondes und Erschließung seiner Umgebung und schließlich Eroberung des Mars und weiterer Körper im Sonnensystem. Eine erste Reise in Richtung Mars war indes 2011 gescheitert, als die Sonde Fobos-Grunt in der Erdumlaufbahn hängen blieb. Die US-Sonde Curiosity ist derweil seit drei Jahren auf dem Mars unterwegs. Im Mai musste Rogosin vor dem Parlament bekennen: Russland drohe seinen Marktanteil von 40 Prozent zu verlieren.

Ein bisschen Publicity durch Sarah Brightman hätte die Weltraumbehörde Roskosmos, die demnächst in ein staatliches Unternehmen umgewandelt wird, gut gebrauchen können. Zehn Tage wollte sie auf der ISS verbringen. In der Hoffnung, die erste Sängerin zu sein, die ein Konzert im All gibt, hatte die einstige Ehefrau des Komponisten Andrew Lloyd Webber bereits 52 Millionen Dollar (fast 47 Millionen Euro) bezahlt, Russisch gelernt und im Sternenstädtchen bei Moskau trainiert. Alles, was über ihr Weltraumtraining bekannt wurde, war indes, dass die 54-Jährige im Winter in einem Wald bei Moskau gelernt habe, ein Feuer anzuzünden.

Brightmans Rückzieher war nicht der schlimmste Dämpfer für die russische Raumfahrt. Mitte Mai verglühte eine Proton-M-Rakete mitsamt einem mexikanischen Satelliten im Gepäck in der Atmosphäre, weil ein Steuerungselement nicht funktionierte. Da bereits der letzte Start einer Proton-M - auf den Tag genau ein Jahr zuvor - missglückt war, werden vorerst keine Raketen dieses Typs mehr losgeschickt.

Dabei ist die Zustimmung zum teuren Raumfahrtprogramm gestiegen, seit Russland wieder militärische Stärke zeigt. 45 Prozent der Befragten gaben im März bei einer Studie des Levada-Zentrums an, das Programm solle weiter ausgebaut werden. 41 Prozent sind dafür, es auf dem aktuellen Stand zu behalten. Trotz der aktuellen Wirtschaftskrise würden nur 4 Prozent lieber sparen. Immerhin gibt es im All nach der Meinung einer Mehrheit auch etwas zu entdecken - jeder Zweite glaubt an intelligentes Leben jenseits der Erde.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2015
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