Süddeutsche Zeitung

SZ-Klimakolumne:Es läuft noch nicht rund

Von wegen Kreislaufwirtschaft: In Deutschland wird zu wenig recycelt und zu viel Neukunststoff verbraucht. Dabei gibt es Ansätze, wie sich das ändern ließe.

Von Vivien Timmler

Waren Sie schon einmal in einem Unverpacktladen? Einem Geschäft, in dem man sich haltbare Produkte wie Reis, Nudeln, Nüsse oder Mehl aus großen Behältern an der Wand in seine eigenen Behälter abfüllen kann? Und in das man folglich mit vielen leeren Glas- und Plastikboxen hineingeht und wenig später mit sehr schweren Taschen und einem sehr guten Gefühl wieder herauskommt?

Ich war vor Kurzem mal wieder in so einem Laden. Die Tochter (10) einer guten Freundin hatte in der Grundschule von dem Konzept gehört, und da in Bayern ja Ferien sind und man tagsüber plötzlich ganz viel Zeit hat, wollte sie mit dem Rad in die Münchner Innenstadt fahren und einkaufen gehen. Der Ausflug war ein voller Erfolg: Statt der aufgetragenen Nudeln, Linsen und Haferflocken hat sie Familienvorräte an Knuspermüsli, Schokodrops und gefriergetrockneten Himbeeren mit nach Hause gebracht. Und viele Fragen.

Warum nicht alle Menschen in München in solchen Läden einkaufen, wollte sie bei einer Schale Knuspermüsli mit Schokodrops und gefriergetrockneten Himbeeren anschließend wissen. Wieso man lieber in den Supermarkt geht, wo alles doppelt und dreifach verpackt ist. Und überhaupt: Wann hätten die Menschen eigentlich angefangen, alles in Plastik zu verpacken? Und die Verpackung danach einfach in den Müll zu schmeißen?

Wäre sie schon in einem Alter, in dem man sie für Lektüre begeistern könnte, auf der nicht in Großbuchstaben "Cornelia Funke" steht, ich hätte ihr diese Woche wohl die neue Studie des WWF geschickt. Die beschäftigt sich ausführlich mit der Frage, wie in Deutschland der Wandel hin zu einer Kreislaufwirtschaft gelingen kann. Sie ist vor allem deswegen beachtenswert, weil viele Deutsche ja nach wie vor der Auffassung sind, dass wir eine solche längst hätten und sogar Vorreiter seien, wenn es um Mülltrennung und die Wiederverwendung diverser Materialien geht.

Mehrwegkonzepte können die deutschen Kunststoffabfälle bis 2040 um ein Viertel reduzieren

Um zu zeigen, dass das nur die halbe Wahrheit ist, benötigen die Studienautoren gerade einmal eine Zahl: 89. So viel Prozent aller Kunststoffverpackungen bestehen nach wie vor aus Neumaterial. Zwar steigen hierzulande die Recyclingquoten und man sieht im Supermarkt immer mehr Verpackungen, auf denen ein "Recyclinganteil" ausgewiesen ist. Davon, dass aus einer alten Käseverpackung mal eine neue wird, sind wir aber weit entfernt: Ungefähr die Hälfte aller Verpackungsabfälle wird nach wie vor "energetisch verwendet", sprich verbrannt. Und wenn recycelt wird, landen zwei Drittel der Rezyklate in der Automobilbranche oder am Bau, weil ihre Qualität nicht genügt, um neue Verpackungen daraus zu machen.

So weit zur Bestandsaufnahme. Die Studie zeigt aber auch auf, wie es anders gehen kann. Durch einen Systemwandel hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft sei es möglich, die Nachfrage nach Neuplastik um 64 Prozent und die Verbrennungsrate sogar um 73 Prozent zu senken, so die Autoren. Bis 2040 könne man so mehr als 68 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen und 20 Millionen Tonnen Neuplastik einsparen. Das entspreche mehr als sechs Jahren Kunststoff-Verpackungsverbrauch insgesamt.

Wie das funktionieren soll? Grundlage ist das Konzept der Müllvermeidung, der Wiederverwendung und des Recycelns, das auch in den Lehrplänen der Grundschulen schon vorkommt, wie ich von der Tochter meiner Freundin weiß. Die Studie macht gute Vorschläge, wie Industrie und Politik das System verändern könnten, um es dem Verbraucher leichter zu machen, im Alltag nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. Eine andere Maßnahme zielt auf das Design von Verpackungen ab, das noch viel recyclinggerechter werden könnte. Und es geht natürlich um Mehrwegkonzepte, einen zentralen Punkt der Kreislaufwirtschaft: Sie allein können demnach die deutschen Kunststoffabfälle bis 2040 um ein gutes Viertel reduzieren - wenn man es denn richtig macht.

Das größte Potenzial hat demnach die Ausweitung des Mehrwegsystems mit Einheitsflaschen aus Glas und PET, um den immer noch hohen Einsatz von Einweggetränkeflaschen zu reduzieren. Ebenfalls große Möglichkeiten sehen die Autoren in der Maßnahme, Einwegplastik im Online-Versandhandel durch Mehrwegsysteme zu ersetzen. Der dritte Punkt: Die Supermärkte sollen Mehrweg- und Nachfüllkonzepte entwickeln, um direkt in der Filiale eine Alternative zu verpackten Produkten anzubieten. Kleine Unverpackt-Abteilungen im Supermarkt - der Tochter meiner Freundin würde es gefallen.

Glauben Sie, dass diese Maßnahmen funktionieren können? Welche Ideen haben Sie, um in Deutschland eine echte Kreislaufwirtschaft zu etablieren? Und was halten Sie von Unverpacktläden? Schreiben Sie uns gerne an klimafreitag@sz.de. Ich esse so lange noch ein paar Schokodrops und gefriergetrocknete Himbeeren.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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