Krebstherapie:Teurer Strahl

Für Hunderte Millionen Euro werden Protonentherapiezentren gebaut. Ihr Nutzen für Patienten ist jedoch ungeklärt.

Evelyn Hauenstein

Stahl, Strahl und Chemie: Die Krebsbehandlung steht auf diesen drei Säulen. Bereits jeder zweite deutsche Krebskranke wird bestrahlt, meist in Kombination mit einer Operation oder einer Chemotherapie. Nun soll eine neue Bestrahlungsart diese Zahlen noch steigern. Protonen sollen bösartige Geschwulste effektiver als bisher zerstören. Glaubt man der Broschüre des von Privatinvestoren gebauten "Rinecker Proton Therapy Center" in München, steht gar eine neue Ära der Krebstherapie vor der Tür: "Die Heilungschancen werden verbessert, die Nebenwirkungen verringern sich, die Behandlungsmöglichkeiten wachsen, die Behandlungszeit wird kürzer" - gleich vier Versprechungen auf einmal.

Krebstherapie: Im Münchner Rinecker-Zentrum für Protonen-therapie sollen jährlich 4000 Krebspatienten behandelt werden

Im Münchner Rinecker-Zentrum für Protonen-therapie sollen jährlich 4000 Krebspatienten behandelt werden

(Foto: Foto: SZ)

Der Preis dafür ist hoch: Rund 150 Millionen Euro hat der Bau verschlungen. 4000 Patienten pro Jahr sollen in dem Münchner Zentrum behandelt werden, dessen Start allerdings aufgrund technischer Probleme immer wieder verschoben werden musste. Überall in Deutschland werden weitere gigantische Anlagen gebaut. Auch in Heidelberg, Berlin, Marburg, Kiel und Erlangen entstehen Protonenzentren - zum Großteil finanziert durch Privatinvestoren. Momentan kostet die Behandlung mit Protonenstrahlen rund 18 000 Euro pro Patient, neunmal so viel wie eine konventionelle Strahlentherapie. Ob sich der enorme finanzielle Mehraufwand medizinisch rechtfertigen lässt, darüber sind sich Experten jedoch uneins.

Momentan wird noch mit Röntgen- und Gammastrahlen bestrahlt. Diese geben masselose Energiequanten (Photonen) ab. Die Photonen dringen in den Körper ein und zerstören den Tumor. Ihr Nachteil: Sie geben einen Großteil ihrer Energie schon auf den ersten drei Zentimetern ab. Bei tiefer im Körperinneren liegenden Geschwulsten zerstören sie also auch gesundes Gewebe. Besonders heikel ist dies, wenn strahlenempfindliche Organe neben dem Tumor liegen, etwa Herz und Lunge bei Brustkrebs oder Blase und Darm bei Prostatakrebs. Die Folgen können heftig sein: Von Hautverbrennungen über chronische Entzündungen bis hin zu einem neuen Krebs.

"Mit Kanonen auf Spatzen schießen"

Protonenstrahlen bestehen aus Wasserstoff-Atomkernen, die auf 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Sie können ihre maximale Energie genau an der Stelle entlassen, an der der Tumor liegt. Das dahinter und daneben liegende gesunde Gewebe bekommt praktisch keine Strahlung ab. Protonen lassen sich mit Magnetfeldern so genau steuern, dass sie die Konturen des Tumors exakt abfahren. Dazu sind sie biologisch wirksamer als Photonen: Sie lösen mehr Doppelstrangbrüche in der Erbsubstanz aus und zerstören das Erbgut des Tumors so nachhaltiger. Die Kerne von Kohlenstoff- oder Sauerstoffmolekülen (so genannte Schwerionen) lassen sich ebenfalls für die Bestrahlung verwenden. Weil sie so groß sind, wirken sie auf Zellen im Inneren des Tumors, die auch Protonen kaum erreichen.

Die Vorteile von Protonen und Schwerionen erscheinen also zunächst eingängig: "Protonen sind immer dann besser, wenn gesundes Gewebe im Strahlengang liegt - also bei fast allen Tumorarten", meint Hans Rinecker, der Betreiber des Münchner Therapiezentrums. Kritiker mahnen jedoch zur Vorsicht. Auf die Frage, ob Protonen Krebs wirklich effektiver bekämpfen, antwortet der Heidelberger Strahlentherapeut Peter Huber "mit einem ganz klaren Nein".

Auch Horst Sack, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), sagt: "Die geladenen Teilchen können die bisherigen Möglichkeiten der Strahlentherapie nicht ersetzen." Noch sei einfach unbekannt, ob die Protonentherapie das halten kann, was ihre Verfechter versprechen. So ist unklar, ob sich das Tumorwachstum bei Patienten wirklich länger stoppen lässt. Und die geladenen Teilchen könnten sogar eine neue, zweite Krebserkrankung auslösen. "Möglicherweise wird da bei manchen Krebsarten mit Kanonen auf Spatzen geschossen", befürchtet Huber.

Höheres Risiko fraglich

Jeden Krebskranken aufs Geratewohl mit Protonen zu behandeln, hält der Radiologe angesichts der hohen Kosten nicht nur für "Luxus", sondern auch für wissenschaftlich fragwürdig. Neue Arzneien gegen Krebs müssen in kontrollierten Studien an Patienten überprüft werden - das Gleiche fordern Mediziner auch für die neue Strahlenart. Vergleichende Studien zwischen Protonen und Photonen fehlen bisher aber völlig. Zwar sind weltweit seit den 50er Jahren etwa 40 000 Krebspatienten mit Protonen bestrahlt worden - allerdings in physikalischen Forschungseinrichtungen, die nur bestimmte Tumoren und wenige Patienten behandelten. Die DEGRO nennt bisher nur zwei etablierte Anwendungsgebiete für die Protonentherapie: Lediglich bei bösartigen Tumoren von Iris und Aderhaut im Auge und bei Knorpeltumoren der Schädelbasis sind Protonen nachgewiesenermaßen der konventionellen Strahlentherapie überlegen. Diese Tumorarten sind jedoch extrem selten. In Deutschland erkranken pro Jahr nur einige hundert Patienten daran.

Vergleichende Studien sind auch deshalb wichtig, weil Vorteile, die zunächst auf der Hand zu liegen scheinen, bei genauerer Betrachtung nicht unbedingt welche sind. So können Ärzte zwar mit Protonen und Schwerionen besser zielen als mit Photonen. Manchmal sollen die Grenzen der Bestrahlung aber gar nicht so exakt sein, zum Beispiel wenn sich der Tumor in das Nachbargewebe hineinfrisst. "Möglicherweise wirkt gerade die extreme Genauigkeit der Protonen schädlich", sagt Horst Sack von der DEGRO - dann nämlich, wenn der Strahl vereinzelte Tumorzellen, die sich in Nachbarorgane ausgedehnt haben, nicht erreicht.

Ob deshalb ein höheres Risiko besteht, dass der Krebs nach der Bestrahlung erneut an seiner ursprünglichen Stelle auftritt, ist noch offen. Hans Rinecker vom Münchner Protonenzentrum verweist auf die neue "Scanning-Technik", mit der seine Anlage ausgestattet ist. Durch zwei je fünf Tonnen schwere Magnete könne der Protonenstrahl seitlich abgelenkt werden, damit er mit dem Tumor verzahntes gesundes Gewebe in einer "Kompromissdosis" erreicht: "Damit können wir die Bestrahlungsgrenzen um den Tumor herum beliebig scharf oder unscharf machen", verspricht Rinecker.

Teurer Strahl

Allerdings sind die Versprechen seines Zentrums nicht immer klar zum Vorteil der Patienten. Zum Beispiel die kürzere Bestrahlungsdauer, mit der die Klinik wirbt: Gewöhnliche Bestrahlungen dauern mehrere Wochen, in denen der Patient täglich eine kleine Strahlendosis erhält. Dadurch wird nicht nur das umliegende Gewebe geschont, der Tumor erhält über die Zeit auch mehr Sauerstoff und wird so empfindlicher für die Strahlung.

Krebstherapie: Befürworter der Therapie glauben, die Behandlung eines Hirntumors (dunkelrot auf dem Bild) mit Protonen habe weniger Nebenwirkungen als herkömmliche Ansätze

Befürworter der Therapie glauben, die Behandlung eines Hirntumors (dunkelrot auf dem Bild) mit Protonen habe weniger Nebenwirkungen als herkömmliche Ansätze

(Foto: Foto: SZ)

Horst Sack argwöhnt, dass die hohen Kosten die Betreiber der Protonenanlagen dazu motivieren, die Bestrahlungen höher zu dosieren und damit Zeit zu sparen: "Einen biologischen Grund dafür gibt es nicht." Rinecker entgegnet, dass die Protonen das gesunde Gewebe ohnehin weniger stark angreifen würden, weshalb kleinere Fraktionen nicht nötig seien. Wie viele Sitzungen aber notwendig sind und ob sich die Anzahl der Behandlungen bei jeder Krebsart reduzieren lässt, ist unbekannt.

Nicht heilen, sondern Leid lindern

Bei welchen Krebsarten die Teilchentherapie wirklich wirksamer ist, will das Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrum (HIT) klären, das im nächsten Jahr seinen Betrieb aufnehmen soll. Dann werden in dem zur Hälfte vom Bund finanzierten Zentrum auch klinische Studien mit verschiedenen Krebsarten beginnen. "Den Auftakt macht Prostatakrebs", verrät der künftige Leiter des Zentrums, Jürgen Debus.

Die DEGRO hat einen ganzen Katalog von Krebsarten herausgegeben, bei denen die Protonenbestrahlung möglicherweise Sinn ergibt. In diesen Fällen deuten die biologischen Eigenschaften der Tumoren darauf hin, dass die Patienten von der neuen Bestrahlungsart profitieren könnten. Allen voran stehen Tumoren im Kindes- und Jugendalter - eine Gruppe, bei der Mediziner eine zweite Krebserkrankung, die erst durch Bestrahlung entsteht, unbedingt vermeiden wollen. Solche durch die ionisierende Kraft der Röntgenstrahlen erzeugten Tumoren treten im Allgemeinen erst 15 bis 25 Jahre nach der Therapie auf.

Dieses Risiko ist der Hälfte aller Krebspatienten gleichgültig. Sie werden ohnehin nicht in heilender Absicht bestrahlt, sondern nur noch, um ihr Leid zu lindern, und haben keine lange Lebenserwartung mehr. Bei Kindern und Jugendlichen jedoch ist es besonders wichtig, diese Nebenwirkung konventioneller Bestrahlung zu verhindern, die etwa drei Prozent aller Patienten bedroht.

4000 Euro pro Behandlung

Weiter aufgelistet in dem Katalog der Krankheiten, die nach Ansicht der DEGRO für eine Protonentherapie prädestiniert sind, sind Lungenkrebs im Frühstadium, Gefäßknäuel im Gehirn ("arteriovenöse Malformationen") oder Magenkrebs, der vom Chirurgen nicht ganz entfernt werden konnte. "Für bestimmte Krankheiten ist die Protonentherapie die Zukunft", meint Jürgen Debus. Ziel seines Zentrums müsse sein, die harten Beweise dafür zu erbringen. Dann könnten sich die teuren Teilchen in Zukunft auch rechnen, glaubt der Arzt: "Krebstherapie ist extrem kostspielig, wenn man alle Komplikationen mit einrechnet, zu denen es im Laufe der Erkrankung kommt. Ließen sich solche Folgeschäden vermeiden, könnte die Protonentherapie sogar günstiger kommen als ein herkömmliches Behandlungsschema."

Allerdings bemühen sich derweil auch die konventionellen Strahlentherapeuten um neue, schonendere Methoden. Erst seit wenigen Jahren gibt es die Intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT). Dabei werden Intensität und Kontur des Photonenstrahls während der Bestrahlung laufend verändert, um möglichst nur den Tumor zu treffen. In Studien wurde nachgewiesen, dass die IMRT Nebenwirkungen vermindert und die Chancen auf Heilung steigert. Zwar kostet sie mit rund 4000 Euro pro Behandlung mindestens doppelt so viel wie eine konventionelle Strahlentherapie, doch sie ist immer noch wesentlich günstiger als der Beschuss mit Protonen und Schwerionen. "Die Fokussierung der Strahlen ist bei der IMRT schon so perfektioniert worden, dass die Körperschichten vor dem Tumor kaum mehr getroffen werden", sagt Peter Huber. "So werden die akuten Nebenwirkungen auf ein Minimum reduziert."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: