Krebsmedikament Avastin:Pharmakonzern zahlt Kliniken Geld bei Misserfolg

Der Pharmakonzern Roche will Krankenhäusern künftig Geld erstatten, falls sein Krebsmedikament Avastin versagt. Das würde heißen: Wenn es dem Patienten schlecht ergeht, profitiert die Klinik. Als "Skandal" und "eindeutig gesetzeswidrig" beurteilen Kritiker das Geschäftsmodell mit einem Medikament, dessen Nutzen ohnehin als zweifelhaft gilt.

Christina Berndt

Wenn es dem Patienten gutgeht, freut sich sein Arzt. Von einem solchen Gleichklang der Interessen sollte jeder Kranke ausgehen können. Doch neue Pläne des Pharmakonzerns Roche sind geeignet, die gemeinsamen Ziele von Krebskranken und deren behandelnden Ärzten zu erschüttern und sogar einen Interessenkonflikt zu schüren: Wenn sich Krankenhäuser auf einen Vertragsentwurf des Konzerns einlassen, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, dann heißt es künftig: Wenn es dem Patienten schlecht ergeht, profitiert die Klinik.

Pharmakonzern Roche mit Rekordgewinn 2007

Die US-Arzneimittelaufsicht erwägt, die Zulassung des Roche-Medikaments Avastin für Bruskrebs zurückzuziehen. In dieser kritischen Situation unterbreitet der Konzern ein zweifelhaftes Angebot.

(Foto: dpa)

Mit einem neuartigen "Pay for Performance"-Vertrag unterbreitet Roche derzeit deutschen Krankenhäusern folgendes Angebot: Die Kliniken sollen das Geld für Roches Krebsmedikament Bevacizumab (Handelsname Avastin) zurückerhalten, wenn es versagt und der Krebs weiterwuchert. Das Angebot gilt für die Erstbehandlung bei fortgeschrittenen Tumoren von Darm, Brust, Lunge oder Nieren; pro Monat kostet die Behandlung eines Patienten mit Avastin in Deutschland etwa 3300 Euro.

"Es ist ein echter Skandal", sagt Wolfgang Becker-Brüser vom Arznei-Telegramm, das sich in seiner aktuellen Ausgabe mit dem Thema befasst. "Die Regelung lädt geradezu dazu ein, auch Patienten mit Bevacizumab zu behandeln, bei denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass es ihnen nützt." Womöglich würden den Kranken deshalb sogar wirksamere Therapien vorenthalten. "Wir stehen zu dem Vertrag", entgegnet Roche-Sprecher Hans-Ulrich Jelitto. Er sei auch ein Beitrag, um Kosten im Gesundheitswesen zu sparen.

Die Frage ist nur, ob es nicht vor allem ein Beitrag ist, um das Medikament auf dem Markt zu halten. Denn sein Nutzen für Patienten gilt als zweifelhaft. Zwar scheinen Tumoren mit dieser Arznei nicht so schnell weiterzuwachsen, doch leben die Kranken kaum oder nicht länger als mit einer herkömmlichen Krebstherapie. Beim Brustkrebs gehen die Zweifel inzwischen so weit, dass die US-Arzneimittelaufsicht die Zulassung komplett zurückziehen will.

Konzern spricht von "Rechtsunsicherheit"

In dieser kritischen Situation macht Roche den Kliniken ein Angebot: Unterschreiben sie den Vertrag, werden ihnen Kosten erstattet, die ihnen nicht entstehen. Schließlich wird die Krebsbehandlung von den Kassen bezahlt. Roches Angebot sei daher nicht nur ethisch verwerflich, sondern auch rechtlich fragwürdig, sagt Becker-Brüser. Andreas Heeke von der AOK Nordwest hält es für "eindeutig gesetzeswidrig". Kliniken müssten ihnen gewährte Preisvorteile an die Kassen weiterreichen, so der Leiter des Geschäftsbereichs Pharmakologie.

An die rechtliche Seite hat auch Roche gedacht. Mit dem Vertrag bietet der Konzern den Kliniken ein Rechtsgutachten an, das eine "Rechtsunsicherheit" einräumt. Es sei aber "rechtlich überzeugend und legitim", wenn die Kliniken das Geld einstreichen. Eine Begründung: Sie erhielten Medikamenten-Entgelte von den Kassen nicht für tatsächlich entstandene Kosten, sondern dafür, dass sie die Arznei verabreichen. Und das täten sie ja in jedem Fall.

Bevacizumab jedenfalls hat sehr unangenehme Seiten. Bei jedem zweiten Krebspatienten löst die Arznei Erbrechen aus, drei von vier Behandelten erleiden Schwächezustände, und bei jedem fünften kommt es zu Magen-Darm-Blutungen, um nur einige Nebenwirkungen zu nennen. So mag Roche zwar Geld zurückgeben, wenn seine Arznei versagt; das Leid der Patienten aber nimmt niemand zurück.

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