Kostenreaktor Iter:7,2 Milliarden statt 2,7 Milliarden

Die Europäische Union muss weitere 1,3 Milliarden Euro für die ausufernd teure Fusionsanlage aufbringen, die in Frankreich gebaut werden soll. Ziel des Reaktors ist es, aus der Verschmelzung von Wasserstoffatomen zu Helium Wärme zu erzeugen, die in Strom verwandelt wird.

Christopher Schrader

Die Finanzierung des internationalen Forschungsreaktors Iter macht der EU große Schwierigkeiten. Nach einem neuen Vorschlag der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, der der SZ vorliegt, sollen für das löchrige Iter-Budget die Fördermittel für andere Forschungsprojekte in den kommenden zwei Jahren womöglich um 660 Millionen Euro gekürzt werden.

ITER-Fusionsreaktor

Schnitt durch den geplanten Fusionsreaktor Iter. Mit der kontrollierten Kernfusion von Wasserstoffatomen nach dem Vorbild der Sonne wollen die Ingenieure eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle erschließen. Das Fusionsplasma (pink) kann mehrere Millionen Grad heiß werden und soll dem Reaktor seine Nutzenergie liefern.

(Foto: dpa)

Das EU-Parlament hingegen hatte sich vor zwei Wochen strikt dagegen ausgesprochen, den Forschungsetat zugunsten der Fusionsanlage zu kürzen. Dieser Konflikt könnte nun sogar den Zeitplan der Gespräche über den EU-Haushalt 2012 verzögern. Gegner des Iter-Projekts fordern ein Moratorium für den riesigen Experimentalreaktor. Die Bundesregierung hat aber immer wieder ihre Unterstützung für die Anlage bekräftigt.

Der Reaktor soll im südfranzösischen Cadarache gebaut werden und frühestens 2020 seinen Forschungsbetrieb aufnehmen. Ziel ist es, aus der Fusion von Wasserstoffatomen zu Helium Wärme zu erzeugen, die in Strom verwandelt wird. Die Kostensteigerungen des Iter-Projekts sind jedoch enorm.

Ursprünglich waren die Baukosten von Iter auf 2,7 Milliarden Euro taxiert worden, nun ist die Rede von 7,2 Milliarden Euro. Für den europäischen Anteil von 45 Prozent sind deshalb zusätzliche 1,3 Milliarden Euro fällig - und die Zusage soll bis zum nächsten Treffen des Iter-Rats am 18. November vorliegen, sonst drohen internen Dokumenten zufolge weitere Kostensteigerungen.

All diese Probleme sind seit zwei Jahren bekannt. "Dass es noch nichts Neues gibt, ist der eigentliche Skandal", sagt Sylvia Kotting-Uhl, Bundestagsabgeordnete der Grünen. "Bei diesem Projekt ist alles falsch: eine Kostenexplosion, Intransparenz und Probleme mit dem Zeitplan." Ihre Fraktion hat darum bereits Ende Juni 2011 im Bundestag den Antrag gestellt, Deutschland solle für ein Moratorium eintreten. Am heutigen Mittwoch befasst sich der zuständige Ausschuss für Bildung und Forschung damit. Zuvor hat der ebenfalls befragte Haushaltsausschuss den Antrag bereits mit der Koalitionsmehrheit abgelehnt.

Die Entscheidung fällt ohnehin eher in Brüssel. Dort hatte die Kommission im April vorgeschlagen, 460 Millionen Euro aus dem Etat der Rubrik 1a für Iter umzuwidmen. Dieser Haushaltstitel soll die "Wettbewerbsfähigkeit für Wachstum und Beschäftigung" fördern; sein größter Posten ist der Forschungsrahmenplan 7, er macht im Jahr 2011 immerhin 8,6 der 11,6 Milliarden Euro des Titels aus. Das restliche Geld für Iter soll aus übriggebliebenen Mitteln für die Verwaltung (190 Millionen Euro) und aus dem Landwirtschaftstopf kommen (650 Millionen Euro).

Der Vorschlag der Ratspräsidentschaft verteilt die Gewichte nun anders: Weitere 200 Millionen Euro sollen aus dem Forschungstopf abgezweigt, und der Agrar-Bereich um die entsprechende Summe geschont werden.

Erfolg von Lobbyarbeit

Offenbar haben hier einige EU-Staaten Lobbyarbeit betrieben. Eigentlich sind in dem Agrar-Topf im laufenden Jahr fast 1,68 Milliarden Euro übrig. Solche Überschüsse fließen an die Mitgliedsstaaten zurück, erklärt der für den EU-Haushalt zuständige Sprecher, Patrizio Fiorilli. Deutschland als größter Beitragszahler hätte also großes Interesse, das Iter-Problem zu lösen, ohne die Agrarüberschüsse zu stark zu reduzieren.

Tatsächlich heißt es in einem internen Bericht, die deutsche Bundesregierung wolle sich dafür einsetzen, "dass die benötigten Mittel in erster Linie durch Umschichtungen innerhalb der Rubrik 1 a erwirtschaftet werden", also innerhalb der Forschungsmittel. Als Quelle nennt das Dokument einen Bericht des Bundesfinanzministeriums. Die Beratungen über die Iter-Frage sind bereits von den regulären Haushaltsgesprächen abgekoppelt worden, um diese nicht zu gefährden.

Eine um 460 Millionen Euro gekürzte Forschungsförderung, wie es die EU-Kommission vorschlägt, erlaube es weiterhin die "Prioritäten des Rahmenplans 7 zu erfüllen", sagt Michael Jennings, Sprecher der Wissenschafts-Kommissarin Máire Geoghegan-Quinn. Ob das auch für eine weitere Kürzung um 200 Millionen Euro gilt, ist offen.

Aus dem Rahmenplan werden sehr viele Projekte gefördert, auch an deutschen Universitäten. Die Statistik verzeichnet gut 52.000 Teilnehmer am Programm zwischen 2007 und 2011, davon 1844 aus Deutschland. Zum Beispiel bekommen französische Forscher Geld, um zu untersuchen, wie die zunehmende CO2-Aufnahme den arktischen Ozean verändert. In Spanien wird das erste kommerzielle solarthermische Kraftwerk bezuschusst, und in Rumänien Methoden beforscht, die Belastung durch Fluglärm zu reduzieren.

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