Süddeutsche Zeitung

Kosmische Strahlung:Fliegender Drilling untersucht das Erdmagnetfeld

Das Erdmagnetfeld polt sich immer wieder um. Seit einigen Hunderttausend Jahren wäre es mal wieder an der Zeit. Das kann Folgen haben, da das Feld die Menschheit vor kosmischer Strahlung und Sonnenstürmen schützt. Deshalb nimmt Europa es nun mit den drei Satelliten der "Swarm"-Mission unter die Lupe.

Von Astrid Ludwig

Das Denkmal für Flavio Gioia steht im Hafen von Amalfi. Der italienische Seefahrer soll im 13. Jahrhundert den Kompass erfunden haben - das Instrument mit der magnetisierten, auf einem Stift balancierenden Nadel, die durch unsichtbare Kräfte ausgerichtet stets nach Norden zeigt. Zum magnetischen Pol, muss man sagen, an dem sich die Menschheit noch immer orientiert, obwohl hochmoderne Navigationstechnologie ohne Magnetfeld auskommt. Doch was wäre, wenn die Kompassnadel plötzlich nicht mehr nach Norden, sondern nach Süden zeigt?

Tatsächlich ist eine solche Umpolung im Lauf der Erdgeschichte häufig vorgekommen, im Mittel alle 200.000 bis 300.000 Jahre. Das Magnetfeld der Erde schwankt ständig und derzeit schwächelt es sogar erheblich. Was dahinter steckt, möchte die europäische Weltraumagentur Esa mit der aus gleich drei Satelliten bestehenden Swarm-Mission erforschen.

Das Trio startet am kommenden Freitag mit einer Rockot-Rakete vom russischen Plesetsk aus in eine polare Umlaufbahn. So kann der Schwarm immer wieder die ganze Oberfläche der Erde vermessen.

"Längst überfällig"

"Eigentlich ist eine Umkehr des Magnetfeldes auf der Erde längst überfällig", sagt Roger Haagmans von der europäischen Weltraumagentur Esa im niederländischen Noordwijk. Bereits seit 780.000 Jahren liegt der Magnetpol, zu dem die Kompassnadeln zeigen, im Norden. 1831 wurde er erstmals vermessen, seither ist er 2000 Kilometer nach Süden gewandert. Rutscht er eines Tages ganz nach Süden, wäre es zwar kein Wechsel über Nacht, aber einer, der Teile der modernen Zivilisation buchstäblich auf den Kopf stellen würde.

Die Polumkehrungen der Vergangenheit haben deutliche Spuren zum Beispiel auf dem Meeresboden hinterlassen: "Fingerabdrücke des Magnetfelds", nennt Haagmans sie. An den Nahtlinien von Erdplatten dringt Magma aus der Tiefe und erstarrt; dabei schiebt sie die vorhandene Erdkruste nach außen weg. Beim Erstarren richten sich die eisenhaltigen Minerale in der Magma nach dem Erdmagnetfeld aus. So sind Streifen am Meeresboden entstanden, die den Wechsel der Magnetpole dokumentieren.

Dieses Muster wollen die Wissenschaftler mit Hilfe von Swarm erforschen. "Eine Vermessung per Schiff oder Flugzeug würde viel länger dauern", sagt der Esa-Forscher, der leitender Wissenschaftler bei der Mission ist und diese seit zehn Jahren mitentwickelt hat. "Wir können bisher die Richtung bestimmen, in die sich der magnetische Pol in der Arktis bewegt, aber viel mehr wissen wir nicht darüber."

Ein Blick in die Zukunft wäre aber wichtig, denn "der magnetische Nordpol könnte ja irgendwann einmal unter Deutschland liegen", sagt Haagmans. An den Polen ist das Magnetfeld aber schwächer - und damit auch der Schutzschild, der die Erde vor Strahlung aus dem All bewahrt.

Das Magnetfeld schützt die Menschheit vor kosmischer Strahlung und Sonnenstürmen. Haagmans vergleicht es mit einer gigantischen Blase, in deren Innern die Erde liegt. Angriffe in Form energiereicher Partikel prallen an dieser Hülle ab, sie werden am Planeten vorbei abgeleitet - meistens jedenfalls. Wenn doch heftige Störungen zur Erde durchkommen, wird es ungemütlich. 1989 zum Beispiel legte eine heftige Sonneneruption die Stromversorgung im kanadischen Quebec lahm. Ein Blackout, ausgelöst durch einen geomagnetischen Sonnensturm, traf 2003 auch Schweden und das Europäische Flugradar. In den USA mussten Flüge verschoben werden, ein Forschungssatellit ging verloren.

Erzeugt wird das Magnetfeld zu 95 Prozent im Innern der Erde, wo eine glühend heiße eisen- und nickelhaltige Schmelze rund 3000 Kilometer unter der Erdoberfläche rotiert. "Das ist der Dynamo des Magnetfelds", sagt Haagmans. Die restlichen Prozente entstehen durch Mineralien und eisenhaltige Gesteine in der Erdkruste sowie in Iono-und Magnetosphäre in 85 bis 600 Kilometer und 60.000 bis 120.000 Kilometer Höhe im Weltraum.

Wie genau der Dynamo arbeitet, gibt Wissenschaftlern bis heute Rätsel auf. Die Intensität des Magnetfeldes schwankt. Sie ist nicht nur an den Polen geringer, sondern auch in einer Zone über dem südamerikanischen Kontinent, die South-Atlantic Anomaly (SAA) genannt wird. Dort ist das Schutzschild nur halb so stark wie über Europa. Deutlich bemerkbar macht sich das, so Haagmans, wenn Erdbeobachtungs-Satelliten das Gebiet überfliegen. "Die meisten technischen Fehler treten dort auf."

Die Schwankungen sind ein natürlicher Prozess; von Swarm erhofft sich die Forschung, diese Vorgänge besser zu verstehen. Die Satelliten messen nicht nur die Richtung und absolute Stärke des Magnetfeldes unter ihnen, sondern auch die Beiträge dazu, die von oben kommen und liefern Daten über die Elektrostatik der Erde.

Doch dafür müssen die Satelliten erst einmal ins All gebracht werden. Seit Wochen simuliert Frank-Jürgen Diekmann, Flugleiter im Esa-Kontrollzentrum im hessischen Darmstadt, mit seinem Team die Phase vor dem Start und die kritischen 48 Stunden danach. Die Darmstädter werden die Sonden auch im für vier Jahre geplanten vierjährigen Routinebetrieb steuern. Der 57-Jährige war bereits bei vielen Missionen dabei. Drei Satelliten auf einmal in ihre Umlaufbahnen zu manövrieren, ist jedoch auch für ihn knifflig. "Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben." Drei Teams werden daher an diesem Freitag gleichzeitig die Startphase der 200 Millionen Euro teuren Mission betreuen.

Wie in einer Konservendose drängen sich die baugleichen, trapezförmigen Sonden in der Spitze der Rakete. Jede einzelne ist 1,5 Meter schmal und fünf Meter lang; ein vier Meter langer Baum mit Instrumenten wird erst im Weltraum ausgeklappt. Alle drei lösen sich gleichzeitig von der Oberstufe und driften auseinander. "Wir müssen nicht nur einen Kollisionskurs vermeiden, sondern die Satelliten später auf unterschiedlichen Umlaufbahnen positionieren", erklärt Diekmann.

Alle diese Bahnen führen die Drillinge über die Polarregionen, während sich die Erde unter ihnen dreht. Der versetzte Flug des Schwarms soll einen möglichst detaillierten 3D-Blick auf das Magnetfeld ermöglichen und den Wissenschaftlern helfen, die verschiedenen Beiträge zum Schutzschild auseinander zu halten. Einer der drei Satelliten wird auf eine Höhe von 530 Kilometern gehoben. Die beiden anderen bleiben die ganze Mission über nahe beieinander auf zunächst 460 Kilometern Höhe. Sie müssen leicht versetzt voneinander fliegen, in einem Abstand von vier bis zehn Sekunden. "Und das konstant für die gesamte Dauer der Mission", sagt Diekmann. Eine Herausforderung, selbst für weltraumerfahrene Profis.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2013/mcs
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