Kontrolle durch Kleinkrebse:Flohwalzer bedeutet Gefahr

Lesezeit: 3 min

Kleinkrebse reagieren besser als jedes Messgerät auf Veränderungen der Wassergüte. Sie warnen nicht nur vor Verunreinigungen, sondern auch vor Terror-Angriffen.

G. Purtul

Wäre da nicht der Zaun, man könnte das kleine Fachwerkhaus für eine öffentliche Toilette halten. Am Ufer des Flusses Bille gegenüber dem Bergedorfer Schloss in Hamburg gelegen, beherbergt es jedoch etwas anderes: eine automatische Wassergütemessstation. In einem Gewirr aus Rohren zirkuliert Wasser aus der Bille. In der Mitte befindet sich ein Kasten, in dem feine Schläuche das Wasser in die richtigen Bahnen lenken. Eine grün leuchtende Algenzucht ist zu erkennen, doch der eigentliche Clou des Gerätes liegt in einem unscheinbaren Metallgehäuse verborgen.

Um vor Verunreinigungen im Wasser zu schützen, werden biologische Messsysteme eingesetzt (Foto: Foto: dpa)

"Hier leben unsere kleinsten Mitarbeiter'', sagt Werner Blohm vom Institut für Hygiene und Umwelt der Stadt Hamburg. In einem zigarettenschachtelgroßen Wasserbassin zappeln Daphnien, im Volksmund auch als Wasserflöhe bezeichnet. Sie schlagen Saltos und schwimmen im Zickzack umher. Neben ihrem ausgeprägten Bewegungstrieb zeichnet die Wasserkrebse (Daphnia magna) vor allem eine sehr hohe Empfindlichkeit gegen Giftstoffe verschiedener Art aus. Schon bei der kleinsten Verunreinigung ändern sie ihr Verhalten. Ihre Aufgabe: Sie testen die Wasserqualität rund um die Uhr.

Laufende Kontrolle der Wasserqualität

Unmittelbar hinter der Messstation fließt ein Teil des Billewassers über eine Rohrleitung nach Curslack/Altengamme, wo Hamburgs größtes Wasserwerk steht. Dessen mehr als 200 Brunnen sind meist nur wenige Meter tief und fördern oberflächennahes Grundwasser, das sich ständig neu bildet. Auf keinen Fall dürfen hier Giftstoffe versickern, da sonst das Grundwasser leiden könnte. "Die Wasserqualität der Bille muss daher laufend überwacht werden'', sagt Blohm.

Aufwändige Laboranalysen würden aber lange dauern und zudem nur wenige Gifte erfassen. Schon heute sind Millionen chemischer Verbindungen bekannt und jährlich kommen Zigtausende hinzu. "Eine Überprüfung auf eine solche Vielzahl von Einzelstoffen ist nicht machbar'', sagt Blohm. Schneller und genauer lässt sich die Wassergüte mit biologischen Messsystemen kontrollieren. Sie arbeiten mit Algen, Muscheln, Fischen, Leuchtbakterien oder eben Daphnien. Letztere sind wahre Sensibelchen, die auf kleinste Veränderungen der Wasserqualität reagieren.

Das von der Kieler Firma BBE-Moldaenke entwickelte Daphnien-Toximeter erfasst diese Verhaltensänderungen und wertet sie aus. "Das ist das technisch am weitesten entwickelte Biomonitoring'', sagt Blohm. In seinem Wassergütemessnetz betreibt das Institut für Hygiene und Umwelt vier Messstationen mit Daphnien-Toximetern.

Geklonter Nachwuchs

In ihnen strömt das Wasser kontinuierlich durch zwei kleine Glasgefäße, in denen jeweils zehn der Kleinkrebse wie in einem Big-Brother-Container leben. Während eine Kamera jede ihrer Bewegungen aufzeichnet, registriert ein Programm Schwimmhöhe, mittlere Geschwindigkeit sowie Anzahl und Reichweite ihrer Schwimmstöße. Auf seinem PC-Monitor kann Blohm den Tieren live zusehen. Außerdem ordnet die Software jeder der zehn Daphnien eine Farbe zu und stellt ihre Schwimmstrecke in einem zweiten Fenster dar.

Die Auswertung erfolgt automatisch durch ein integriertes Expertensystem. Es wurde seit 1995 laufend weiter entwickelt, wie Detlev Lohse von Moldaenke betont. "Zeigen mehrere Messgrößen statistisch signifikante Abweichungen löst das Gerät einen Alarm aus.'' Die Tiere schwimmen erst schneller, dann langsamer, kreiseln und sinken schließlich zu Boden.

In diesem Fall erhält Blohm eine E-Mail und eine SMS auf sein Handy. Dann schließt er zunächst eine Funktionsstörung des Gerätes aus. "Bei einem ernsten Zwischenfall würden wir die Zuleitung von Bille-Wasser nach Curslack sofort stoppen'', sagt er. Danach können Chemiker Wasserproben analysieren, um die schädlichen Substanzen zu ermitteln und ihre mögliche Quelle festzustellen. In Bayern kontrollieren zwei Daphnien-Toximeter das Wasser der Donau. Willi Kopf vom Bayerischen Landesamt für Umwelt ist mit ihnen sehr zufrieden: "Von allen Biomonitoring-Systemen, die wir einsetzen, ist es das sensitivste und zuverlässigste.''

Verlässlich funktionieren Daphnien-Toximeter nur, wenn alle Kleinkrebse gleich alt sind und die gleichen Gene haben. "Wir züchten die Tiere daher in unserer eigenen Kinderstube'', sagt Blohm. In der laboreigenen Zucht vermehren sich die weiblichen Tiere eines Klons durch Parthenogenese - die Jungfernzeugung. Jede Daphnie ist eine Art Schwester-Klon der anderen.

Prävention terroristischer Attacken

Während Behörden die Daphnien-Toximeter vor allem zur allgemeinen Überwachung der Umweltqualität nutzen, versprechen sich viele Wasserwerke dadurch mehr Sicherheit: Vor drei Jahren gab es einen Anschlag auf die Bodensee-Wasserversorgung, bei der ein Unbekannter vor der Entnahmestelle Sipplingen mehrere Kanister mit giftigem Pflanzenschutzmittel versenkte. Seitdem setzt das Konstanzer Wasserwerk Daphnien-Toximeter ein. Auch der größte israelische Versorger, der sein Wasser aus dem See Genezareth bezieht, ist Kunde bei BBE-Moldaenke.

Als Frühwarnsystem dienen die Geräte auch zur Prävention terroristischer Attacken, denn sie detektieren nicht nur Schwermetalle, Insektizide und Pestizide, sondern auch chemische Kampfstoffe. "Wir haben bereits 200 Daphnien-Toximeter verkauft'', sagt Lohse. Der Stückpreis betrage je nach Ausstattung zwischen 50.000 und 70.000Euro.

Allein sechs Geräte gingen an die Ausrichter der olympischen Winterspiele in Salt Lake City. Da die Stadt im US-Staat Utah ihr gesamtes Trinkwasser aus Flüssen bezieht, waren die Veranstalter besorgt. "Das waren die ersten Spiele nach dem 11. September 2001, da wollte man auf Nummer sicher gehen'', erinnert sich Blohm.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: