Konfliktforschung:Der berechnete Krieg

Konfliktforschung: Die Demokratische Republik Kongo gehört zu den wahrscheinlichsten Schauplätzen von Gewalt.

Die Demokratische Republik Kongo gehört zu den wahrscheinlichsten Schauplätzen von Gewalt.

(Foto: AFP)
  • Computer können bewaffnete Auseinandersetzungen immer besser vorhersagen.
  • Sie nutzen dazu Echtzeitdaten wie Lebensmittelpreise, Umweltereignisse aber auch Stimmungen in den sozialen Netzwerken.
  • Diese Art der Prognose birgt auch Gefahren, warnen Forscher.

Von Karl Urban

Für Håvard Hegre war es keine Überraschung, als Ende August eine bewaffnete Auseinandersetzung in Kamerun ausbrach. Der Konfliktforscher von der Universität Uppsala in Schweden hatte bereits im Juli eine "hohe Wahrscheinlichkeit für vom Staat ausgehende Konflikte" in dem Land vorausgesagt. Nur knapp vier Wochen später mussten dann gleich drei große Kakaoproduzenten in dem westzentralafrikanischen Land Mitarbeiter in Sicherheit bringen, weil Vertreter der englischsprachigen Minderheit gegen die Unterdrückung durch die französischsprachige Mehrheit aufbegehrten.

Hegre und sein Team haben im Juni das "Violence Early Warning System" (ViEWS) gestartet, das für ganz Afrika eine detaillierte Konflikt-Vorhersage des jeweils kommenden Monats macht. Möglich ist das aufgrund eines Algorithmus, der ähnlich gelagerte Fälle der jüngeren Geschichte analysiert und dann auf Basis der aktuellen Entwicklung einen Blick in die Zukunft wagt.

Die Vorhersage ist räumlich hoch aufgelöst: Der afrikanische Kontinent wird in ein Raster aus zehntausend Quadraten eingeteilt, jeweils 50 mal 50 Kilometer groß. In der errechneten Konfliktvorhersage gibt die Farbe dieser Quadrate an, wie wahrscheinlich bewaffnete Konflikte in einer bestimmten Gegend sind: Die Palette reicht von blau für gering- bis rot für sehr konflikt-gefährdet. Es ist eine Art Wettervorhersage für gesellschaftliche Verhältnisse, die Hegre zufolge schon ziemlich gut funktioniert - teilweise sind sogar Vorhersagen auf Jahre in die Zukunft möglich. Aktuell gehören die Demokratische Republik Kongo und Nigeria zu den wahrscheinlichsten Schauplätzen von Gewalt, aber auch viele deutlich kleinere Regionen. "Unsere Analyse hat gezeigt, dass sich die Muster der wichtigsten Konflikte in Afrika erschreckend wenig ändern", sagt Hegre.

Ausgewertet wird auch, was Menschen in den sozialen Netzwerken schreiben

Die internationale Politik basiert seit jeher auf dem Urteil von Experten, die sich sehr genau in bestimmten Weltregionen auskennen. "Wenn Sie gute politische Entscheidungen treffen wollen, brauchen Sie auch gute Vorhersagen", sagt Håvard Hegre. Was neu ist, sind die technischen Möglichkeiten. Alle Daten aus einer Region, die deren soziale Stabilität beeinflussen, lassen sich von Algorithmen in Echtzeit erfassen und auswerten: von Marktpreisen für Lebensmittel, über vergangene Umweltkatastrophen bis hin zu in den Medien gespiegelten ethnischen Konflikten. Dazu kommen die sozialen Netzwerke, in denen Menschen über ihre Stimmung, ihre Probleme oder ihren Unmut gegenüber staatlichen Institutionen schreiben. Seit dem Arabischen Frühling sind Facebook und Twitter und aus ihnen abgeleitete soziale Prognosen immer wichtiger geworden.

Im Jahr 2012 versuchte der Zürcher Soziophysiker Dirk Helbing eine Plattform namens FuturICT zu einem Flaggschiffprojekt der europäischen Forschungsförderung zu machen. Ziel des verwegenen Vorhabens war, eine Art Flugsimulator für die Gesellschaft zu entwickeln. Aber FuturICT verlor gegen andere Mitbewerber um die EU-Fördermittel. Trotzdem verwenden mittlerweile viele Forscher Daten aus den sozialen Netzwerken als Lerndatensatz für immer bessere Vorhersagen.

Wissenschaftler der Universität Miami fanden beispielsweise Hinweise dafür, dass sich einzelne Offensiven des "Islamischen Staats" in Syrien vorab in diesen Daten ankündigten. Die IARPA (Intelligence Advanced Research Projects Activity), eine Forschungsagentur der US-Geheimdienste, schreibt regelmäßig Wettbewerbe aus, bei denen Wissenschaftler eingeladen werden, möglichst zuverlässig zukünftige Ereignisse der Weltgeschichte zu prognostizieren.

Auch in Deutschland wird an Programmen gearbeitet, die Krisen vorhersagen können

Einige Forscher mahnen aber, dass Vorhersagen sozialer Ereignisse, wie Demonstrationen oder gewaltsame Proteste in falsche Hände geraten und gegen die Zivilgesellschaft eingesetzt werden könnten. Dirk Helbing veröffentlichte im Jahr 2015 gemeinsam mit mehreren Kollegen ein Manifest, das solche im Geheimen ausgewerteten Daten als Gefahr für demokratische Prozesse brandmarkt. "Die meisten dieser Systeme sind proprietär, sodass die Wissenschaft normalerweise keinen Zugriff darauf hat", sagt auch Nils Weidmann, der seit mehr als acht Jahren über die Vorhersage von Konflikten forscht. Wissenschaftler können sich bei heimlich entwickelten Prognosesystemen also oft nicht gegenseitig auf Fehler hinweisen; die Qualität von Vorhersagen und Algorithmen bleibt dann im Dunkeln.

Das politische Interesse an den sozialen Vorhersagen nimmt dennoch immer weiter zu, vor allem, um rechtzeitig auf sich entwickelnde Krisen in verschiedenen Regionen der Welt reagieren zu können. Auch die deutsche Bundeswehr soll planen, ein "Kompetenzzentrum Krisenfrüherkennung" zu schaffen, um beispielsweise Ressourcen-Engpässe, Unruhen und gewaltsame Auseinandersetzungen frühzeitig zu erkennen. Die IT-erfahrenen Experten dafür stellt aktuell noch eine externe Unternehmensberatung. Künftig sollen sie aber an der Münchener Bundeswehr-Universität ausgebildet werden.

Das Auswärtige Amt arbeitet an einem Projekt namens PreView: 41 öffentliche Datenquellen sollen ausgewählt werden, um diese laut Projektbeschreibung "automatisch aufzufinden, aufzubereiten und zu visualisieren". Damit solle eine belastbare Basis für politische und strategische Entscheidungen geliefert werden, um "das Bauchgefühl" einzelner Experten "zu widerlegen". Nils Weidmann ist Mitglied des wissenschaftlichen Beratergremiums hinter PreView und spricht von einem Kulturwandel beim Erkennen von Konflikten.

Anders als beim amerikanischen Militär oder in deutschen Behörden geht einzig das schwedische System ViEWS mit seinen Vorhersagen einen bewusst offenen und transparenten Weg: Das System verwendet zwar bislang noch keine sozialen Netzwerke, da nur öffentlich zugängliche Quellen genutzt werden sollen. Dafür sind alle Eingabedaten, der Programmcode selbst sowie dessen Ergebnisse für jedermann abrufbar und durch andere Forscher verifizierbar.

Einmal im Monat errechnet ViEWS für ganz Afrika, wie wahrscheinlich bewaffnete Zwischenfälle sind, die entweder vom Staat ausgehen, die sich zwischen verschiedenen nicht staatlichen Gruppen entladen oder die von Terrormilizen geplant sind. All diese Möglichkeiten sollten aber nicht über die Grenzen solcher Systeme hinwegtäuschen: "Natürlich beruhen alle Vorhersagen dieser Art auf der Prämisse, dass man ähnlich gelagerte Fälle schon mal irgendwann beobachtet hat", sagt Nils Weidmann.

ViEWS-Projektleiter Håvard Hegre ist sich dieser Einschränkungen durchaus bewusst. Sein Ziel sei es ohnehin, mit anderen Konfliktforschern über Nutzen und Grenzen solcher Vorhersagemodelle zu diskutieren, um sie künftig weiter zu verfeinern, sagt er. "Und das können wir mit einem offenen Projekt viel besser als die Geheimdienste."

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise geschrieben, dass "Vertreter der französischsprachigen Minderheit gegen die Unterdrückung durch die englischsprachige Mehrheit aufbegehrten". Es ist jedoch genau umgekehrt: die englischsprachigen Kameruner sind in der Minderheit.

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