Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Kaltes Kalkül im Treibhaus

Lesezeit: 2 min

Extrem unterschiedliche Interessen blockieren weiterhin eine wirksame Politik zum Schutz des Klimas.

Von Wolfgang Roth

Wenn sich zwei Pfade immer weiter voneinander entfernen; wenn die Belege für einen gefährlichen Klimawandel immer stichhaltiger werden, gleichzeitig aber immer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gepumpt werden; wenn sich die Staaten der Welt trotzdem auf ihren Klimakonferenzen darin erschöpfen, um Zeitpläne zu ringen, um das Jahr, an dem sie die Fakten zur Kenntnis nehmen und über künftige Taten auch nur verhandeln wollen - dann kann das alles tiefe Depression auslösen.

Es bleibt dann nur noch das, was auch in Nairobi als konkretes Resultat zu verkünden war: verstärkte Anpassung an den Klimawandel, der nicht mehr zu verhindern ist.

Allerdings wird den Nationen im Klimaschutz mehr Gemeinsinn abverlangt, als die Menschheit in ihrer ganzen Geschichte je geleistet hat. Industriestaaten sollen just den Weg verlassen, der ihnen bisher stets Wachstum und Wohlstand brachte. Ärmere, aufstrebende Länder sollen ihn gar nicht erst beschreiten.

Ihre Vertreter sitzen im selben Konferenzsaal wie die Minister der erdölfördernden Länder, die am liebsten Schadenersatz fordern würden, wenn ihr Absatz zurückginge, damit Schaden von der Erde abgewendet wird. Sie alle fesselt das kalte Kalkül, auf keinen Fall Zugeständnisse zu machen, die kurzfristig ein Nachteil sein könnten - lieber morgen, nur nicht heute.

Gerechte Lastenverteilung, friedliche Welt

Globaler Klimaschutz funktioniert aber nur, wenn es eine gerechte Lastenverteilung und eine friedliche Welt gibt. Davon sind die nur dem Namen nach Vereinten Nationen auch sonst weit entfernt. Kriege und Bürgerkriege sind längst nicht Vergangenheit.

Kleinwaffen aller Art, in den Industriestaaten produziert, landen massenweise in den Krisengebieten. Der Atomwaffen-Sperrvertrag, ein Markstein des Völkerrechts, hat nicht verhindert, dass einige nach der Bombe strebten und streben, während die anderen auf ihren Arsenalen beharren und die Abrüstung verweigern. Ein einziges Mal ist es der Staatengemeinschaft gelungen, ein schwerwiegendes globales Umwelt-Problem zügig anzupacken.

Das Montreal-Abkommen zum Schutz der Ozonschicht gelang aber nur aus zwei Gründen: Die Zunahme von Hautkrebs war evident, noch dazu in einem reichen Land wie Australien; zweitens waren Ersatzmittel für die ozonschädlichen Stoffe vorhanden, sie versprachen zusätzlichen Profit.

Dass es langfristig auch einen Profit gibt, wenn die Erderwärmung rechtzeitig auf ein halbwegs erträgliches Maß begrenzt wird, sagen viele Ökonomen. Sie haben aber noch keine Chance gegen die Kurzfrist-Ökonomie.

Solange wird man weiterverhandeln müssen wie zuletzt in Nairobi. Immerhin sind diese Konferenzen ein Schaufenster, in dem die Bevölkerung der Blockadestaaten erkennt, dass ihre Repräsentanten in keinem guten Licht stehen. Immerhin bietet das Kyoto-Protokoll trotz all seiner Unzulänglichkeit, der EU-Kommission die Möglichkeit, Druck auf die Klimasünder in ihren Reihen zu entfalten.

Man sollte auch nicht gering schätzen, welche Instrumente dieses Protokoll an die Hand gibt. Die europäischen Staaten sollten alle Chancen zu gemeinsamen Projekten mit Schwellen- und Entwicklungsländern nutzen. Dort ist mit weniger Geld oft mehr zu bewirken, und es bessert nebenbei die eigene Klima-Bilanz auf. Den notwendigen heimischen Ausstieg aus einer auf Öl, Gas und Kohle basierenden Energiewirtschaft kann das nicht ersetzen, nur ergänzen.

In die Schelte auf den größten Klimasünder mischen sich neuerdings nämlich ganz andere Befürchtungen: Es ist die Furcht, die USA könnten unter dem Druck ihrer Bevölkerung irgendwann umschwenken, könnten so viele Mittel in den Klimaschutz investieren, dass sie technologisch die Nase vorn haben. Die Europäer täten gut daran, diesen Wettbewerb zu gewinnen. Wer da zu spät kommt, hinkt lange hinterher.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2006
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