Kommentar:Endlager für die Atomgemeinschaft

Kommentar: Christoph von Eichhorn würde gern einmal den Amazonas besuchen.

Christoph von Eichhorn würde gern einmal den Amazonas besuchen.

Der Euratom-Vertrag feiert 60-jähriges Bestehen. Noch immer räumt er der Kernenergie in Europa eine herausgehobene Stellung ein. Für dieses Relikt gibt es keine Rechtfertigung mehr.

Von Christoph Behrens

Wenn die EU an diesem Wochenende den 60. Jahrestag der Römischen Verträge feiert, wird ein Jubilar fehlen: Euratom, die mächtige Europäische Atomgemeinschaft. Mit keinem Wort erinnern die Internetseiten der EU daran, dass mit der europäischen Integration auch die Kernkraft zur Herzensangelegenheit der EU wurde.

Aus gutem Grund bleibt die Organisation dem Rampenlicht fern, denn sie ist überholt. Seit 1957 hat sich der Euratom-Vertrag praktisch nicht verändert. Damals erschien die Kernkraft so verheißungsvoll, dass man ernsthaft erwog, sie in Küchen einzusetzen. In sechs Jahrzehnten haben sich aber so gut wie alle Versprechen aufgelöst. Die Risiken sind höher als gedacht, moderne Kernkraftwerke teuer, die Entsorgung des radioaktiven Mülls ungeklärt. Und es gibt heute saubere Alternativen wie Erdwärme, Windkraft oder Photovoltaik. Durch nichts lässt sich mehr die herausgehobene Stellung rechtfertigen, die der Euratom-Vertrag der Kernenergie einräumt: Rechtlich gesehen ist Euratom keine Institution der EU, sondern mit ihr gleichgestellt.

Euratom hält die Nuklearenergie künstlich am Leben. Der Vertrag ist vollkommen überholt

Dieses Relikt muss beseitigt werden. 60 Jahre sind ein gutes Alter, um zu überlegen, wo man steht. Doch Euratom verweigert jede Debatte. Noch immer fordert der Vertrag, eine "mächtige Kernindustrie" zu schaffen, was mit 129 aktiven Reaktoren längst übererfüllt ist. Er verpflichtet die Mitgliedsstaaten, große Summen zur Kernforschung beizutragen, auch für die Entwicklung neuer Reaktoren, an denen etwa Deutschland kein Interesse mehr hat. In Großbritannien diente Euratom als Ausrede, um den Neubau des Meilers Hinkley Point C mit Steuergeldern anzuschieben, was nach EU-Recht verboten wäre. So hält Euratom die Nuklearenergie künstlich am Leben. Die Rechnung zahlen die Bürger: Bis 2050 schätzt die EU den Investitionsbedarf im Nuklearbereich auf mindestens 650 Milliarden Euro. Besonders paradox ist, dass Euratom eigentlich gemeinsame Sicherheitsstandards etablieren sollte. In der Praxis sorgt der Vertrag dafür, dass Nachbarstaaten zu Meilern an ihren Grenzen keinerlei Mitsprache haben, weil hier die Souveränität der Staaten gilt.

Umso wichtiger ist es, dass Europa den 1950er-Jahre-Mief unter den Reaktorhauben endlich lüftet. Am Ende könnte ein Umbau von Euratom stehen, hin zu einer Organisation, die sämtliche sauberen Energietechnologien erforscht und fördert. Eine gemeinsame europäische Energieforschung ergibt heute angesichts des Klimawandels mehr denn je Sinn. Die herausgehobene Stellung einer einzigen Uralttechnik nicht mehr.

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