Kolumne: Lebenstriebe:Jeans-Hosianna

Auch wenn die Meralgia paraesthetica, die Jeanskrankheit, droht. Zu der blauen Hose gibt es keine gleichwertige Alternative - findet SZ-Wissen-Autor Hilmar Klute.

Wer in den Siebzigerjahren einen älteren Bruder hatte, konnte diesen in den frühen Abendstunden bei folgendem Ritual beobachten: Der Bruder zog sich eine Bluejeans über - damals sprach man die Kulthose noch mit vollem Namen an - und legte sich damit in die volle Badewanne. Anschließend behielt er die nasse Bluejeans an und war glücklich, wenn sich die Hose wie eine Membran um die entscheidenden Körperstellen schmiegte.

Kolumne: Lebenstriebe: Es gibt Dinge im Leben eines Mannes, die sind ohne Jeans kaum vorstellbar.

Es gibt Dinge im Leben eines Mannes, die sind ohne Jeans kaum vorstellbar.

(Foto: Foto: istock)

Eine enge Jeans war zu dieser Zeit wichtiger als eine enge Freundschaft. Oder die Voraussetzung dafür, keine Ahnung. Es gab in jenen Jahren aber auch mahnende Stimmen, die vor dem unsachgemäßen Gebrauch der Jeans warnten.

Zum Beispiel stellte ein Abgeordneter 1977 im Deutschen Bundestag die besorgte Anfrage, ob man die Jeans nicht weniger als Kleidungsstück verherrlichen, sondern vielmehr als Krankheitserreger geißeln solle, denn durch die Jeans, so der Abgeordnete, entstünden bei Jugendlichen hässliche Hautirritationen in der Lendengegend oder, noch schlimmer, irreparable Quetschungen der Geschlechtsorgane.

Kurz zur Aufklärung: Die Meralgia paraesthetica, auch Jeanskrankheit genannt, gibt es zwar wirklich, aber sie ist vollkommen harmlos. Wenn der Jeansliebhaber ein bisschen zu lang mit der Buxe in der Wanne gelegen hat, kann es sein, dass die Leistengegend etwas taub wird.

Priesterbesen gegen die Jeanspest

Ja, und? Muss man denn da gleich den nassen Priesterbesen gegen die Jeanspest schwingen? Das sind natürlich alles Mahnungen aus der Struwwelpeter-Zeit, frühe Verteufelungen und Verleumdungen einer Hose, die es in der Zwischenzeit zur Prêtàporter-Reife geschafft hat und einen unter Umständen 2000 Euro kosten kann, wenn man reich und doof genug ist.

Natürlich war die Jeans von Anfang an für andere Zwecke bestimmt gewesen. Goldgräber in Amerika hatten sich immer ihre Hosen zerrissen, deshalb hat der Schneider Jacob Davis eine Hose mit Nieten erfunden. Davis war nicht so clever wie sein Tuchhändler, Herr Levi Strauss. Denn der hat sich die Hose im Jahr 1873 patentieren lassen, deshalb gilt er heute gemeinhin als Erfinder der Jeans.

Vor 180 Jahren kam Strauss im oberfränkischen Buttenheim bei Bamberg zur Welt, und wir müssen ihn hier natürlich groß feiern und hochleben lassen, dass die Nieten platzen, völlig klar.

Andererseits - manchmal ist die Jeans wirklich ein bisschen zu eng. Besonders wenn man sich nicht eingestehen will, dass man mit 40 einfach nicht mehr 32 Slash 32 tragen kann, sondern besser zu 34 Slash 32 greifen sollte - ehe die Jeans nach einem greift.

Umberto Eco, der dicke Semiotiker, hat das mal sehr schön erklärt: Die Jeans, schreibt Eco, teile den Mann in zwei voneinander ganz unabhängige Zonen. Oben ist alles luftig und frei. Aber unter dem Gürtel wird man organisch eins mit der Kleidung. Allerdings: "Ein Kleidungsstück, das die Testikel einquetscht, lässt einen Mann anders denken."

Also, was sollen wir jetzt machen? Hässliche beigefarbene Stretchhosen tragen wie emeritierte Soziologieprofessoren? Rote Cordhosen anziehen wie die Erdkundelehrer? Nein, wir wollen Jeans tragen bis zum Schluss, bis es nicht mehr geht, bis der Arzt kommt und sagt: "Sie müssen versuchen, schrittweise von der Jeans wegzukommen, wenn Sie Ihre chronische Meralgia paraesthetica in den Griff kriegen wollen." "Aber wie bloß, Herr Doktor?" "Indem Sie vor dem Baden die Bluejeans ablegen." Ja, so könnte es gehen. Vielleicht.

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