Kolumne "Klimafreitag":Die Jugend von heute

Kolumne "Klimafreitag": Klimaaktivistin Luisa Neubauer im Mai dieses Jahres.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer im Mai dieses Jahres.

(Foto: INA FASSBENDER/AFP)

Die Pandemie hat die ganze Welt erfasst - und hoffentlich unser Bewusstsein verändert für all die Krisen, die mit der Erderwärmung noch auf uns zukommen werden. Die Jüngsten sind da schon lange ein gutes Vorbild.

Von Pia Ratzesberger

In diesem Jahr habe ich ein neues Wort gelernt: Ausnahmezustand. Zwar kannte ich das Wort auch vorher schon, aber nur als Abfolge von fünfzehn Buchstaben, bei denen es immer um Geschichten ging, die auf dem Bildschirm im Wohnzimmer abliefen, aber mich nicht betrafen.

Dann hat uns 2020 in unsere Wohnungen katapultiert und hinein in eine Welt, in der plötzlich jeder gezwungen war zu verstehen, wie sich das anfühlt: Ausnahmezustand, Krise, Katastrophenfall. Meine Eltern wussten das schon, manchmal haben sie mir erzählt, wie das damals war, als in der Tagesschau die Bilder aus Tschernobyl zu sehen waren, wie sich das anfühlte: Angst vor dem Regen. Ich aber, Jahrgang 1990, aufgewachsen in Westdeutschland, kannte das bislang nicht, dass einem eine Krise so nahe kommt, dass man plötzlich die Fenster schließt oder sich nicht mehr nach draußen traut, dass man vor den Nachrichten sitzt und darauf wartet zu erfahren, was morgen schon wieder alles anders sein wird.

Als ich dieses Jahr einem RKI-Bericht nach dem anderen zusah, beschlich mich das Gefühl, dass 2020 wie ein Kammerflimmern ist. Dass dieses Jahr uns eine Vorahnung gibt von all den Krisen, die da erst noch kommen werden, wenn die Permafrostböden schmelzen werden, der Meeresspiegel steigen und die Erde noch wärmer werden wird.

Na gut, dieses Jahr ist im Klimaschutz auch manches vorangegangen. China zum Beispiel hat angekündigt, noch vor 2060 klimaneutral zu werden, die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich vergangene Woche darauf geeinigt, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren (im Vergleich zu den Werten von 1990) und die weltweiten Emissionen von Kohlenstoffdioxid sind während der Pandemie sogar um sieben Prozent zurückgegangen.

Das ist aber nur das Ergebnis des besagten Ausnahmezustands, in den nächsten Jahren wird sich der Wert kaum halten lassen. Vielleicht werden die Emissionen sogar stark ansteigen, wenn ein Teil der Welt alles nachholen will, was man während der Pandemie lassen musste. Fernreisen, Kreuzfahrten, Kurztrips nach Paris und Budapest.

Die Welt wird wärmer werden. Und doch stimmt mich in diesem Jahr, in dem man wirklich nicht viel Anlass zur Hoffnung hat, eine Sache zuversichtlich: Dass so viele Jüngere ganz anders mit diesem Wissen umgehen als vor ihnen meine Generation. Das Bundesumweltministerium hat im Januar eine Studie herausgegeben, für die mehr als tausend Menschen zwischen 14 und 22 Jahren befragt worden waren. Etwa ein Viertel von ihnen war schon einmal bei einem Klimastreik gewesen und mehr als 90 Prozent von ihnen konnten sich vorstellen, wieder hinzugehen. Klar, ein Viertel, das sind nicht alle. Aber das sind mehr als wir je waren.

Wir, die heute 30- bis 40-Jährigen, können leider nicht behaupten, wir hätten von nichts gewusst. Alles war schon berechnet, alles stand schon geschrieben. Wir kannten die Diagramme aus den Erdkundebüchern, hatten von den Warnungen des Weltklimarats zumindest mal gehört, die Filmplakate für die unbequeme Wahrheit von Al Gore im Kino zumindest mal gesehen. Ende der Nullerjahre erhielten der Weltklimarat und der Regisseur zusammen den Friedensnobelpreis. Und wir taten: nichts.

In diesem Jahr sind zwei ziemlich gute Filme über die Klimabewegung erschienen. Einer folgt Greta Thunberg, mit der vor zwei Jahren alles begann, ein anderer Luisa Neubauer auf ihrem Weg von der Studentin zur bekanntesten Klimaaktivistin Deutschlands. In letzterem Film gibt es eine Szene, in der Neubauer auf dem Boden liegt, fertig vom Tag, aber noch immer das Handy in der Hand. Ihr wird Wasser gebracht, sie steht nicht auf, Menschen kommen, Menschen gehen, sie bleibt liegen und telefoniert doch immer weiter. Wiederholt stoisch, was sie zu sagen hat.

Dieses Bild passt vielleicht ganz gut in eine Zeit, in der 2020 fast schon hinter uns und 2021 noch vor uns liegt: Viele mögen sich nach diesem Jahr ähnlich fühlen wie die Frau am Boden, fertig mit der Welt, niedergestreckt von den vergangenen Monaten. Aber gerade jetzt gilt es weiterzumachen, alle gemeinsam. Die Großeltern, Eltern, die Jungen und die ganz Jungen.

Letztere nämlich haben im Gegensatz zu etwa meiner Generation schon lange begriffen, dass gute Vorsätze nicht ausreichen. Weniger Strom verbrauchen, weniger Auto fahren, weniger Kinderriegel aus dem Snackautomaten ziehen - alles richtig, kann gerne auf die Liste für 2021. Aber eines ersetzen diese Vorhaben leider nicht: politisches Engagement. Etwa in den Bezirksausschüssen, wo besprochen wird, wie viele Bäume in welcher Straße gepflanzt werden, in den Stadträten, wo darüber entschieden wird, ob Fahrradwege ausgebaut werden oder doch lieber Parkplätze, in den Vereinen, in den Nachbarschaftsgruppen, eben überall dort, wo es um die große Frage geht, wie wir leben wollen. Denn die kann niemand für sich alleine beantworten.

2020 war ein einsames, auch ein leises Jahr. 2021 wird anders werden, hoffentlich.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag.de)

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