Süddeutsche Zeitung

Kohleabbau:Der Spielverderber

Nach dem Klimaabkommen von Paris hört er nicht auf zu mahnen: Der Ökonom Ottmar Edenhofer will die Welt überzeugen, dass der Abbau von Kohle schleunigst aufhören muss.

Von Michael Bauchmüller

Die Sonne scheint durch die Fenster des Hörsaals, ein wunderbares Wochenende steht vor der Tür. Doch am Freitagnachmittag sind Ottmar Edenhofer gut 100 Studenten wichtiger als der Frühsommer. In Hörsaal 2013 der Technischen Uni Berlin erklärt er, warum es einigen Weltgegenden bis heute schlecht geht, wenn sie zu Zeiten der Kolonialisierung eine höhere Sterblichkeit aufwiesen. Im Hintergrund flimmert eine Tabelle auf der Leinwand, links die Sterblichkeit der Siedler von einst, rechts die Wirtschaftsleistung viele Jahrzehnte später. Wie soll das zusammenhängen?

Die Antwort führt weit hinein in ein Fach, das Gelehrte wie der Ökonom Edenhofer erst in die Hörsäle gebracht haben, die "climate economics". Und sie führt hinein in eine Welt, die den einstigen Jesuiten schier verzweifeln lässt, ihn zu einer Art Spielverderber seiner Zunft macht.

Die Antwort also hat auch etwas mit dem Klima zu tun, denn das Klima war meist rau, wenn die Siedler früh starben. "In solchen Gegenden haben Siedler meist schlechte Institutionen geschaffen", erklärt der Professor. Dort sei das Ziel gewesen, die indigene Bevölkerung auszubeuten. Wo die Sterblichkeit aber niedrig war, ließen sich die Siedler dauerhaft nieder - und gestalteten die Infrastruktur so, dass sie ein gutes Zusammenleben ermöglichte. Noch Jahrzehnte und Jahrhunderte später prosperieren die Regionen deshalb. Der Hörsaal lauscht gebannt, an einem sonnigen Freitag um Viertel nach drei.

Dabei ist das Beispiel nur Vorrede, eine Einführung in das weite, faszinierende Reich ökonomischer Zusammenhänge. Die Vorlesungsreihe wird weiterführen, wird die Versuche streifen, das Problem Erderwärmung mit ökonomischen Instrumenten in den Griff zu bekommen, und es wird ganz zwangsläufig bei jenen 15 000 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ankommen, die noch in der Atmosphäre landen, sollte die Menschheit weiter unbeirrt Kohle, Öl und Gas aus dem Erdboden holen und verbrennen.

Edenhofer, Professor an der Technischen Uni Berlin, stellvertretender Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Kopf des Mercator-Instituts für Globale Gemeinschaftsgüter, ist so etwas wie der Schwarzseher der Klimapolitik. Wann immer sich alle auf die Schulter klopfen, die Energiewende preisen oder, wie im Dezember in Paris, ein neues Abkommen bejubeln, dann taucht Edenhofer auf - und verweist auf die globalen Kohlevorräte. So auch nach der Vorlesung, auf dem Weg ins Café neben der TU. "Die Antwort, wie wir damit umgehen, die steht noch aus", sagt er düster. "Vielen kommt das erst langsam ins Bewusstsein."

Draußen vor dem Hauptgebäude hängen an einem Bauzaun noch Plakate, sie rufen zum Protest in der Lausitz. "Ende Gelände", steht da, und: "Kohle stoppen, Klima schützen!" Das passt zu Edenhofers Agenda, aber dummerweise beschreibt es auch das Dilemma. Während in der Lausitz, nicht weit von Berlin, Aktivisten die Tagebaue besetzen und Deutschland über einen Kohleausstieg debattiert, laufen nebenan in Polen die Planungen für neue Kraftwerke und Braunkohlereviere. Für einen, der seit Jahren vor einer Renaissance der Kohle warnt, ist das bitter.

Edenhofer ist ein Niederbayer mit einem runden, freundlichen Gesicht. Seit Jahren reist er durch die Welt und redet über die Kohle. Über jene Gigatonnen an Vorräten, die niemals aus dem Boden geholt werden sollten. Nach seinen Berechnungen sind derzeit Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1400 Gigawatt in Planung, das ist das 15-Fache der deutschen Kraftwerksleistung. "Krachend", sagt Edenhofer mit rollendem r, "krachend hauen wir die Tür zum Zwei-Grad-Ziel zu, wenn die Anlagen in den nächsten zehn, 15 Jahren gebaut werden."

Noch nicht lange ist es her, da propagierte auch der Ökonom Edenhofer als Lösung den Handel mit Emissionsrechten. Unter Ökonomen galt das als elegante und effiziente Lösung, um den Ausstoß von Treibhausgasen einzudämmen. Dabei wird eine Gesamtmenge an Emissionen festgelegt und per Auktion oder anteilig an die Verursacher vergeben. Wer mehr emittieren will, muss von anderen die entsprechenden Rechte zukaufen. Deren Gesamtzahl wird Jahr für Jahr verringert. Werden sie knapper, so das Kalkül, steigt auch der Preis und damit der Anreiz zur Abkehr. 2005 führte die EU das System für Kohlendioxid-Emissionen ein. Edenhofer war zufrieden. Europa hatte scheinbar Werkzeuge und Institutionen geschaffen, um den CO₂-Ausstoß in den Griff zu bekommen.

2008 wird Edenhofer zum Chef der Arbeitsgruppe 3 des Weltklimarats. Es ist jenes Gremium, dass Lösungen finden soll, um den Klimawandel zu bremsen. Und ausgerechnet über den Emissionsrechtehandel entbrennt heftiger Streit, einige Forscher halten das Instrument für zu schwach. Die Knappheit schlage kaum auf die Preise durch. Deshalb tauge es allein nicht dazu, den Umbau der Industrieländer anzustoßen. Für Edenhofer beginnt eine Kehrtwende, wie sie Wissenschaftler selten so konsequent nehmen.

Gemeinsam mit Kollegen prüft er empirisch die Folgen des Emissionshandels. "Das Ergebnis war vernichtend", sagt Edenhofer heute. "90 Prozent des Preises ließen sich nicht durch die Fundamentaldaten von Angebot und Nachfrage erklären." Anders gesagt: Preisschwankungen sind oft das Ergebnis von Spekulation und Politik. "Wenn mir das vorher einer gesagt hätte, hätte ich gesagt: So ein Schmarrn." Standardregeln der Ökonomie in der Praxis anzuwenden, sei eben das eine. Die Wirkung aber manchmal etwas ganz anderes.

Edenhofer hat seine Konsequenzen gezogen. "Der Emissionshandel", sagt er mittlerweile, "ist zu einem Wettbüro für politische Entscheidungen geworden." Er fordert nun, was viele Ökonomen hassen: einen staatlich festgelegten Mindestpreis für Emissionsrechte. Nicht mehr dem Markt allein wären die Preise überlassen, sondern auch den Regierungen. "Nur so bekommen wir Preissignale, die Unternehmen beeindrucken", sagt Edenhofer. Finanzminister umgarnt er mit der Aussicht auf Einnahmen. Zudem ließe sich mit den Mitteln auch der Klimaschutz in Entwicklungsländern stärken - vorausgesetzt, diese ziehen mit beim Mindestpreis.

Wieder geht es um Infrastruktur, Lebenserwartung und Wirtschaftswachstum - nur ganz anders als bei den Siedlern von einst. "Was mich erzürnt, ist, wenn sich Klimadiplomatie in einer Parallelwelt entwickelt, in der gar nicht mehr klar ist, was am Boden passiert", sagt Edenhofer. "Und wo man als Spielverderber dasteht, nur weil man eine schlichte Wahrheit ausspricht." Doch Edenhofer wird gehört. Auch der Papst ließ sich von dem Jesuiten beraten, ehe er seine Umwelt-Enzyklika "Laudato sí" verfasste. Und von den Studenten, die einst bei Professor Edenhofer die Tücken der Klimaökonomie kennenlernten, sind die ersten mittlerweile selbst Professoren.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2016
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