SZ-Klimakolumne:Vom Nutzen der Katastrophe

SZ-Klimakolumne: Ein Waldbrand im spanischen Verin Anfang August.

Ein Waldbrand im spanischen Verin Anfang August.

(Foto: Felipe Carnotto/Felipe Carnotto via REUTERS)

Könnte die Erderwärmung die menschliche Zivilisation zusammenbrechen lassen? Warum es mehr "Worst-Case-Szenarien" in der Klimaforschung braucht.

Von Christoph von Eichhorn

Was könnte schlimmstenfalls passieren? Das ist eine Frage, die sich beispielsweise Ingenieurinnen und Ingenieure ziemlich häufig stellen - diese Planung gehört zu ihrem Beruf. Deshalb sind viele Atomkraftwerke heute auch für Flugzeugabstürze und Erdbeben ausgelegt. Mag das Eintreten solcher Ereignisse auch unwahrscheinlich sein, der Schaden wäre einfach zu groß, um sie guten Gewissens außer Acht zu lassen.

In Bezug auf den Klimawandel seien solche "Worst-Case-Szenarien" dagegen kaum erforscht, beklagten diese Woche zahlreiche Klimaforscher in einem Meinungsbeitrag im Fachjournal PNAS. Ein schweres Versäumnis, schreiben die Autoren um Luke Kemp von der Universität Cambridge. Schließlich gebe es durchaus Hinweise, dass eine Erderwärmung von mehr als drei Grad katastrophale Folgen für die Ökosysteme und den Menschen haben könne - von einem Massensterben in den Ozeanen bis hin zum Zusammenbruch von Staaten und Kriegen um knappe Ressourcen. Mein Kollege Benjamin von Brackel hat hier ausführlich über die Studie berichtet.

Was soll man von diesem düsteren Zukunftsentwurf halten? Ihn nur als weitere Mahnung vor den gefährlichen Folgen der Erderwärmung zu sehen, wäre wohl ein Missverständnis. Zentral ist vielmehr die Forderung der Autoren nach systematischer Forschung: "Umsichtiges Risikomanagement erfordert, dass wir Worst-Case-Szenarien gründlich untersuchen." Wo sind menschliche Gesellschaften besonders verwundbar gegenüber Klimarisiken? Ab wann könnte die Erderwärmung zu einem Massensterben führen, bis hin zum Aussterben des Menschen? Was bedeutet ein höherer CO₂-Gehalt langfristig für das Leben auf der Erde? Wie sehr kann das Erreichen von Kipppunkten wie das Abtauen des arktischen Permafrosts den Klimawandel weiter beschleunigen? Diese und weitere Fragen müssten dringend beantwortet werden, möglicherweise sogar in einem Sonderbericht des Weltklimarats zu "katastrophalem Klimawandel".

Kaum von der Hand zu weisen ist, dass die Publikationen immer spärlicher werden, je extremer das betrachtete Klimaszenario ist. Die meisten Studien zu den Folgen der Erderwärmung beschäftigen sich mit einer um 1,5 oder 2 Grad wärmeren Welt oder etwas darüber. Jenseits von 3 oder 4 Grad wird die Luft schon dünn, dabei wären die Auswirkungen etwa auf die Nahrungsmittelversorgung in diesem Temperaturbereich wohl schon katastrophal. Und zu einer fast schon apokalyptischen 6-Grad-Zukunft lägen nur sehr wenige Studien vor, beklagt etwa der britische Wissenschaftsjournalist Mark Lynas im Buch "Our Final Warning", in dem er den Stand des Wissens zu den Folgen unterschiedlicher Temperaturszenarien auswertet. "Der Grund für dieses ziemlich ungewöhnliche Versäumnis könnte darin liegen, dass auch Klimatologinnen und Klimatologen letztlich Menschen sind und als Wissenschaftler lieber nicht über Worst-Case-Szenarien nachdenken", schreibt Lynas. Oder sie wollten nicht als "Alarmisten" und "Untergangspropheten" gelten.

Zwar würde eine Erwärmung um 6 Grad nach derzeitigem Wissensstand erfordern, dass die Emissionen praktisch ungebremst weiter steigen, was eher unwahrscheinlich ist. Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit eben doch deutlich höher als etwa ein Flugzeugabsturz, argumentiert Lynas - und in die Verhinderung solcher Unglücke werde beständig investiert, um das Risiko noch weiter zu senken. "Aber im Fall des Planeten sind wir alle zusammen an Bord und haben keine andere Wahl."

Die schlimmste Zukunft zu kennen, könne dagegen zum Handeln ermutigen, so die Autoren des aktuellen PNAS-Papiers. So habe die Erkenntnis, dass ein Atomkrieg zu einem "nuklearen Winter" führen könnte, in den 1980ern zu mehr Anstrengungen für Abrüstung und Frieden geführt.

Ich persönlich finde ja, es braucht beides: einerseits mehr Wissen darüber, was der Welt bei einem ungezügelten Klimawandel droht. Andererseits aber auch positive Gegenentwürfe, Utopien, die aufzeigen, wie sich die Lebensqualität verbessern kann, wenn die Erderwärmung so gering wie möglich gehalten wird.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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