Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:"Wir sind an einem Wendepunkt"

Interview mit Dr.Mojib Latif vom Max-Planck-Institut für Meteorologie, über den Zusammenhang von Unwettern und Treibhauseffekt.

(SZ vom 23.07.2002)

SZ: Immer wieder fegen Unwetter übers Land, wie jüngst die Orkane über Berlin und Brandenburg. Sind das bereits die Folgen des Klimawandels?

Latif: Wir beobachten nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine Häufung von solchen extremen Ereignissen. Das ist meiner Meinung nach schon das erste Anzeichen für den globalen Klimawechsel.

SZ: Stürme wie die von Berlin lassen sich also auf den Klimawandel zurückführen?

Latif: Prinzipiell ist es ja so: Man kann nur die Statistik bestimmter Phänomene, nicht einzelne Ereignisse einer bestimmten Ursache zuordnen. Das ist wie mit einem gezinkten Würfel: Da weiß man auch nicht, ob die Sechs nun zufällig fällt oder deswegen, weil der Würfel eben gezinkt ist.

Erst wenn eine Häufung auftritt, weiß man, dass etwas faul ist. Die globale Erwärmung, der Anstieg der Durchschnittstemperatur, ließ sich ja schon bislang zweifelsfrei nachweisen. Aber so langsam kann man den Klimawechsel eben auch an der Veränderung der Wetterstatistik zeigen.

SZ: Was macht Sie da so sicher?

Latif: Der Deutsche Wetterdienst betreibt zum Beispiel eine Station am Hohenpeißenberg in den deutschen Alpen. Dort gibt es seit 1879 regelmäßige Aufzeichnungen der Niederschläge.

Diese Daten zeigen, dass nicht nur die Menge der mittleren Niederschläge leicht ansteigt, sondern auch die Anzahl von extrem heftigen Regengüssen. Sie sind heute doppelt so häufig wie vor 100 Jahren.

SZ: Ist das ein Klimawandel unter Forschern? Bisher waren Fachleute mit solchen Aussagen eher vorsichtig.

Latif: Das ist richtig. Aber es gibt immer mehr Indizien, die dafür sprechen, dass der globale Klimawandel längst begonnen hat und seine Auswirkungen sich bereits zeigen. Denken Sie an das Abschmelzen der Gletscher in den Alpen.

Diesen Rückzug zeigt sogar der Vergleich von Fotografien zum Beispiel mit Bildern aus der Zeit um 1900 ganz deutlich. Und zumindest, was die Temperaturen angeht, sind die Unterschiede zum Jahr 1000 zum Beispiel frappierend. Die Werte kann man sehr gut rekonstruieren.

SZ: Gilt denn generell, dass die Zahl der Extremereignisse steigt?

Latif: Ja, weltweit nehmen sie zu, und in Deutschland auch. Das sagen die Modelle auch als zwingende Folge voraus, wenn die Erde sich wegen des menschengemachten Treibhauseffektes aufheizt. In einer wärmeren Atmosphäre ist der hydrologische Zyklus, der Kreislauf von Verdunstung, Kondensation und Niederschlag, viel intensiver.

SZ: Bei den Winterstürmen lässt sich aber noch keine Häufung erkennen.

Latif: Statistisch kann man da in der Tat noch nichts Eindeutiges feststellen, weil es eine ähnliche Häufung vor 100 Jahren schon einmal gab. Unsere Modelle sagen, dass man wohl erst um das Jahr 2050 deutliche Zunahmen wird nachweisen können.

SZ: Welche Auswirkungen lassen sich sonst bereits beobachten?

Latif: Augenfällig sind vor allem die vielen milden Winter seit Jahrzehnten schon. Sie entstehen durch die immer häufigeren Westwindlagen. Deshalb gibt es auch mehr Niederschläge im Winter.

SZ: Haben Sie statistische Belege dafür, dass sich hier zu Lande die Hochwassersituation des Klimawandels wegen zuspitzt?

Latif: Das ist schwer zu sagen, weil Hochwasser nicht nur Folgen eines sich verändernden Klimas, sondern vor allem auch einer sich verändernden Landschaft sind. Flussbegradigungen oder die Bodenversiegelung spielen eine wichtige Rolle. Und das lässt sich schwer differenzieren.

Aber trotzdem kann man festhalten: Die Niederschläge im Winter haben zugenommen, was auf jeden Fall die Hochwassergefahr erhöhen wird. Und wenn ebenfalls im Sommer die Extremniederschläge häufiger sind, können nach heftigen Güssen auch dann Flüsse und Bäche über die Ufer treten.

SZ: Und die weiteren Aussichten?

Latif: Ich glaube, wir sind an einem Wendepunkt, an dem sich das Klima global tatsächlich bereits deutlich erwärmt. Das System ist träge, aber wenn die Entwicklung erst einmal in Gang gekommen ist, lässt sie sich nur schwer aufhalten.

Die Temperaturen werden nun mindestens um 0,1 Grad Celsius pro Jahrzehnt steigen, womöglich noch schneller. Wir rechnen auch damit, dass die Meeresspiegel von Nord- und Ostsee in den kommenden 100 Jahren um 50 Zentimeter ansteigen.

Ich fürchte, dass sich die Entwicklung insgesamt wohl kaum umkehren lässt. Man kann sie nur noch abmildern.

Interview: Martin Thurau

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