Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Wider die Rosinenpickerei der Klimaskeptiker

Deutsche Interessenvertreter aus der Wirtschaft bezweifeln den globalen Temperaturanstieg oder behaupten, die Klimaerwärmung sei zum Stillstand gekommen. Doch die Debatte um unsere Energiezukunft muss auf der Grundlage der wissenschaftlichen Fakten geführt werden. Und die sagen etwas anderes.

Stefan Rahmstorf

Seit drei Jahrzehnten steigt die globale Durchschnittstemperatur immer weiter an - genau so, wie es bereits in den 1970er Jahren Klimawissenschaftler in den führenden Fachjournalen Nature und Science als Folge unserer CO2-Emissionen vorhergesagt hatten. Ein Ende dieses Erwärmungstrends ist physikalisch nicht zu erwarten, und auch in den Messdaten deutet nichts darauf hin.

Dennoch geistert auf den Webseiten der sogenannten "Klimaskeptiker" immer wieder die These herum, die globale Erwärmung sei vorbei - etwa bei der kleinen aber rührigen Lobbytruppe mit dem phantasievollen Namen "Europäisches Institut für Klima und Energie". Aber auch manchen Interessenvertretern aus der Wirtschaft kommen solche Thesen gelegen.

So behauptete RWE-Manager Fritz Vahrenholt in der Welt vom 27. Mai, dass "die Klimaerwärmung seit zwölf Jahren zum Stillstand gekommen ist und sich die wissenschaftlichen Stimmen (außerhalb des WGBU und des Potsdam-Institutes) mehren, dass wir vor einer langjährigen Abkühlungsphase des Klimas stehen." (Der WGBU ist der Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.)

Und auch RWE-Chef Jürgen Großmann hat im FAZ-Interview den globalen Temperaturanstieg angezweifelt.

Die Klimaerwärmung soll zum Stillstand gekommen sein? Angesichts derartiger Thesen sollten die Bürger sich ein eigenes, fundiertes Urteil bilden können! Deshalb zeigen wir hier alle fünf verfügbaren globalen Temperaturzeitreihen. Drei davon benutzen vor allem Messungen der Oberflächentemperaturen von Wetterstationen und Schiffen.

Die beiden kürzeren (orange und rot) beruhen auf den seit 1979 verfügbaren Satellitendaten, aus denen die Temperaturen in einigen Kilometern Höhe in der Atmosphäre bestimmt werden können. Alle Daten sind monatlich aktualisiert im Internet für jedermann abrufbar, sogar als Gratis-App für das iPhone.

Für die letzten 30 Jahre - also den in der Klimatologie üblichen Betrachtungszeitraum - zeigen alle fünf Datensätze praktisch die gleiche Erwärmung: einen Trend zwischen 0,16 und 0,18 Grad Celsius pro Jahrzehnt. Diese Übereinstimmung zeigt zum Beispiel, dass der Trend nicht von lokalen Effekten (wie städtischen Wärmeinseln) verfälscht wird, denn die Satellitendaten sind davon nicht betroffen. (Bei den Stationsdaten ist dieser Effekt durch Abgleich mit ländlichen Wetterstationen herauskorrigiert.) Die gemessene Erwärmung entspricht auch dem, was seit vielen Jahren von Klimamodellen vorhergesagt wird.

Die beiden Datensätze der Nasa und der US-amerikanischen Ozeanographie- und Atmosphärenbehörde NOAA sind dabei für die globale Oberflächentemperatur am repräsentativsten. In beiden ist 2010 gleichauf mit 2005 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen im 19. Jahrhundert.

Die Daten des britischen Hadley Center sparen die Arktis aus, die sich im abgelaufenen Jahrzehnt besonders stark erwärmt hat, und zeigen daher zuletzt eine etwas geringere Erwärmung. Die beiden Satellitenreihen dagegen messen nicht die Oberflächentemperaturen, die uns am meisten interessieren. In diesen drei Datensätzen liegt 2010 ganz knapp auf Rang zwei.

Doch lassen wir die Debatten um die Vor- und Nachteile der jeweiligen Messmethoden beiseite und nehmen einfach den Mittelwert über alle fünf Datenreihen: Auch hier ist 2010 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Auch die Weltorganisation für Meteorologie in Genf, die mit der Sammlung der globalen Wetterdaten betraut ist, hat auf Basis aller Oberflächendaten in einer Pressemitteilung im Januar festgestellt, dass 2010 die Rangfolge der wärmsten Jahre anführt, knapp vor 2005 und 1998.

Der Wärmerekord 2010 ist um so bemerkenswerter, als die Sonne in den Jahren 2006 bis 2010 so schwach geleuchtet hat wie nie zuvor seit Beginn der Satellitenmessungen in den 1970er Jahren. Dies belegt einmal mehr, wie schwach der Einfluss der Sonnenschwankungen im Vergleich zu dem der steigenden Treibhausgase ist.

Forscher machen eine Veränderung natürlich nicht an einzelnen Extremwerten fest, sondern am Trend. Für die von Vahrenholt erwähnten zwölf Jahre, in denen die Klimaerwärmung angeblich zum Stillstand gekommen ist, zeigen die Daten im Mittel den gleichen Erwärmungstrend (0,16 Grad Celsius pro Dekade) wie über die letzten 30 Jahre.

Doch vermutlich hat Vahrenholt nicht die letzten zwölf, sondern die letzten 13 Jahre gemeint, also den Zeitraum 1998 bis 2010. Denn 1998 ist einzigartig: Kein anderes Jahr ragt so weit über den Langzeittrend hinaus, denn im Jahr 1998 wurde das stärkste El-Niño-Ereignis der vergangenen Jahrzehnte im tropischen Pazifik beobachtet.

Diese natürliche Klimaschwankung erhöht kurzfristig und vorübergehend die globale Temperatur - mit der klimatischen Langzeitentwicklung hat dies aber nichts zu tun, schon 1999 war der Effekt verpufft. Die Betrachtung ausgerechnet mit dem Extremjahr 1998 zu beginnen soll wohl das gewünschte Ergebnis bringen - ein statistischer Sündenfall, der im Englischen "cherry picking" (Rosinenpicken) genannt wird.

Aber: Selbst bei dieser trickreichen Wahl des Anfangsjahres ist der Trend in allen fünf Datenreihen immer noch positiv, je nach Datensatz zwischen 0,04 und 0,14 Grad Celsius, im Mittel bei 0,08 Grad pro Dekade. Die Zahlen streuen hier mehr, weil die Trendberechnung bei kurzen Zeitintervallen statistisch weniger robust ist - daher nehmen Klimatologen normalerweise 30 Jahre.

Die Behauptung, die Klimaerwärmung sei zum Stillstand gekommen, entspricht also nicht dem Stand der Wissenschaft. Die Messdaten zeigen nichts anderes als einen stetigen Aufwärtstrend, überlagert von den üblichen Schwankungen von Jahr zu Jahr.

Einige Jahre liegen über der Trendlinie, wie 2005 und 2010, andere darunter, wie 2008. Die Klimaforscher diskutieren kontrovers über Extremereignisse wie die Rekord-Tornados und die Mississippi-Flut dieses Jahr in den USA oder die Rekordhitzewelle in Russland im vorigen Sommer. Deren Zusammenhang mit der Klimaerwärmung ist noch nicht geklärt. Aber die fortschreitende globale Erwärmung selbst ist in der Fachwelt unumstritten.

Vahrenholt geht noch einen Schritt weiter und spricht von einer kommenden langjährigen Abkühlung - mit einem vagen Hinweis auf ungenannte "wissenschaftliche Stimmen". Mir ist kein einziges seriöses Forschungsergebnis bekannt, das auf eine Abkühlung hindeuten würde. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Vahrenholt dies selber glaubt.

Ich möchte Herrn Vahrenholt daher hiermit eine Klimawette vorschlagen. Das vergangene Jahrzehnt (2000 - 2009) war das wärmste seit Beginn der Temperaturmessungen, wahrscheinlich sogar seit mindestens 2000 Jahren. Wenn das angelaufene Jahrzehnt (2010 - 2019) global kühler ausfallen sollte, dann spende ich ein Monatsgehalt an einen gemeinnützigen Zweck seiner Wahl - wenn es wärmer ausfällt als das letzte, dann spendet er ein Monatsgehalt an eine gute Sache meiner Wahl.

Das Umdeuten von Messbefunden und Verleugnen der globalen Erwärmung führt uns nicht weiter. Die Debatte um unsere Energiezukunft muss - bei allen unterschiedlichen Interessen und Meinungen - auf der Grundlage der wissenschaftlichen Fakten geführt werden.

(Herr Vahrenholt hat inzwischen auf das Angebot geantwortet.)

Stefan Rahmstorf ist Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor an der Universität Potsdam. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Außerdem gehört er zu den Autoren des 4. Klimaberichts des Weltklimarates (IPCC).

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1105452
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/mcs
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.