Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Weltklimakonferenz beginnt in Bonn

  • In Bonn kommen 25 000 Teilnehmer aus aller Welt zusammen, um bei der Weltklimakonferenz über die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens zu beraten.
  • Formal lädt nicht die Bundesregierung ein, sondern der Inselstaat Fidschi. Der war für eine Konferenz dieser Größe zu klein, Deutschland half aus.
  • Fidschi gehört zu jener Gruppe kleiner Inselstaaten, die besonders stark von einem steigenden Meeresspiegel betroffen ist.

Von Michael Bauchmüller, Bonn

In der Zeltstadt am Rhein laufen noch letzte Vorbereitungen, da hat der Klimagipfel in einer Gesamtschul-Aula am Rande Bonns schon begonnen. "Wir können nicht sagen, unser Lebensstil ist nicht verhandelbar", sagt eine kanadische Aktivistin auf der Bühne. Nach ihr spricht ein Gewerkschafter aus den USA, er verlangt, Energiekonzerne zu verstaatlichen. Stramm antikapitalistisch geht es zu beim "Bürger-Klimagipfel" in Bonn, einer Art Gegengipfel. Viele Lösungen sind radikal, aber einfach. Der Konsens ist groß.

So leicht wird es beim anderen Klimagipfel nicht werden. Von diesem Montag an kommen die 23 000 Teilnehmer aus aller Welt für zwei Wochen in Bonn zusammen, es ist die größte internationale Konferenz, die je in Deutschland stattgefunden hat. Schon jetzt ist klar: Es wird eine heikle Konferenz. Denn es geht ums Kleingedruckte; nicht um das Ob, sondern ums Wie.

Als nämlich die Staaten vor zwei Jahren das Pariser Klimaabkommen feierten, da hatten sie vor allem ferne Ziele definiert. Höchstens zwei, besser aber 1,5 Grad Erderwärmung; eine Vollbremsung der klimaschädlichen Kohlendioxid-Emissionen noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts - und das unter Beteiligung aller Staaten. Wie einzelne Länder das bewerkstelligen, sollten sie selbst regelmäßig in Plänen darlegen. Der Rest blieb erst mal offen - schließlich sollte das Abkommen ja erst von 2020 an gelten.

Dieses Vakuum sollen die Verhandler in Bonn nun zu füllen beginnen. So ist noch unklar, wie sich eigentlich sicherstellen lässt, dass die Staaten nicht nur schöne Pläne aufstellen, sondern diese auch erfüllen. Damit aber steht und fällt das ganze Abkommen: Dem Kampf gegen die Erderwärmung nutzt es nur, wenn es mehr produziert als große Worte. "Letztlich geht es hier auch darum, dass eine Tonne CO₂ in Europa genau so viel zählt wie eine in China", sagt Christoph Bals, der die Verhandlungen für die Entwicklungsorganisation Germanwatch verfolgt. "Ohne solche Regeln verlöre das Abkommen viel an Wert."

Es braucht auch einen regelmäßigen Klima-Kassensturz

Das gilt auch für den Mechanismus des Paris-Abkommens an sich. Alle fünf Jahre sollen die Staaten neue Klimaschutzpläne vorlegen. Damit das dem Klima nutzt, muss nicht nur jeder neue Plan schärfer sein als der vorherige. Es braucht auch einen regelmäßigen Klima-Kassensturz: Reicht das, was sich die Staaten vorgenommen haben, überhaupt aus? Lässt sich so gemeinschaftlich die Erderwärmung in den Griff bekommen? Wie so ein Kassensturz aussehen kann, wer ihn vornimmt und wie er in neue, größere Anstrengungen münden kann - auch über das wird in Zelten und Konferenzsälen verhandelt.

Da trifft es sich gut, dass formal nicht die Bundesregierung einlädt, sondern der Inselstaat Fidschi. Der war für eine Konferenz dieser Größe zu klein, Deutschland half aus. Und so wünscht Bonn nun allseits "Bula", herzlich willkommen. Fidschi aber zählt zu jener Gruppe kleiner Inselstaaten, die sich seit jeher zu den Verlierern der Industrialisierung zählen. Während andere mit größeren Fabriken, größeren Autos und größeren Häusern immer mehr Treibhausgase emittierten, maßen die Inselstaaten, wie sich ihr Territorium verkleinert und das Grundwasser langsam versalzt.

Auf Klimagipfeln traten sie stets kompromisslos auf, also dürfte sich auch eine Konferenzleitung von den Fidschi-Inseln kaum mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufriedengeben. "Wir müssen nach den ehrgeizigsten Zielen greifen", sagt Fidschis Ministerpräsident Frank Bainimarama. Zwei Grad Erderwärmung etwa sind für ihn ein halbes Grad zu viel. Bainimarama fungiert zugleich als Präsident der Konferenz. Noch keiner der bisher 23 UN-Klimagipfel ist von einem kleinen Inselstaat ausgerichtet worden.

Menschenkette gegen Braunkohle

Um 13.45 Uhr haben die Demonstranten ihr Ziel erreicht. 200 Meter vor dem riesigen Schaufelbagger, der hier am Hambacher Forst täglich Tausende Tonnen Braunkohle aus dem Erdloch wuchtet, bilden die Klimaaktivisten ihre Menschenkette. Sie legen sich in den Sand, um als lebende Buchstaben ihre Botschaft gen Himmel zu senden, wo der Polizeihubschrauber kreist: "Stop Coal".

Eine Kette von 150 behelmten Polizisten versperrt den Weg zum Bagger, hinter ihnen schützen noch zwei Dutzend Geländewagen von RWE das stählerne Ungetüm. Stillstand. Bis hierhin, weit hinein in die Grube, haben die Ordnungshüter die Demonstranten fast freundlich begleitet. Hier aber ist Schluss für die Protestler von "Ende Gelände", die seit Jahren gegen den Abbau der Braunkohle zu Felde ziehen. Die Konfrontation ähnelt einem Happening. Immer wieder mahnt ein RWE-Mann per Lautsprecher, dass "das Übertreten der Betriebsgrenze eine Straftat darstellt". Die Klimaschützer erwidern jede Durchsage mit dem Geheul einer Sirene. Viele der Aktivisten waren von weit her gekommen. Claas (Name geändert), eine bärtiger Niederländer, hat schon mal daheim in Amsterdam den Hafen blockiert. "Das ist der zweitgrößte Umschlagplatz für Kohle in Europa", sagt er. Joachim, ein Mitmarschierer aus Berlin, erlebt bei Hambach seine "erste Aktion für globale Gerechtigkeit".

Gegen 15 Uhr beginnt der Regen. Und die Polizei kreist die Demonstranten ein. Beide Seiten versichern, man wolle "keine Gewalt". Bereits am Samstag waren laut Polizei etwa 11 000 Menschen Aufrufen von Umwelt- und Entwicklungshilfsverbänden gefolgt und hatten in Bonn friedlich für einen schnellen Ausstieg aus der Kohle demonstriert. Christian Wernicke

Der Ehrgeiz betrifft auch die Frage, wie eigentlich die Staaten mit jenen Schäden umgehen, die in nächster Zeit zunehmend sichtbar werden; seien es extreme Dürren oder Starkregen, groß angelegte Umsiedlungen oder aber die Anpassung an höhere Meeresspiegel. Die Industriestaaten, auf deren Konto das Gros der Treibhausgas-Emissionen gehen, haben dafür Unterstützung versprochen. Wie die aber im Einzelnen gewährt wird, aus welchen Töpfen und zu welchen Zwecken, ist noch ungeklärt.

Die Zeit wird langsam knapp. 2018 soll in Polen das Regelwerk des Pariser Klimavertrags verabschiedet werden. "Wir müssen den Text jetzt so weit bringen, dass man in den verbleibenden zwölf Monaten damit gut arbeiten kann", sagt der deutsche Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth. Das aber setzt voraus, dass alle mitspielen - auch die USA. Sie wollen zwar aus dem Abkommen aussteigen, sitzen aber noch am Verhandlungstisch. Das kann einiges erschweren.

In Deutschland hat die Konferenz noch eine ganz andere Funktion. Sie ist Druckmittel für die Koalitions-Sondierungen; der Klimaschutz ist hier einer der großen Streitpunkte. Deutschland komme eine "besondere Verantwortung" im Klimaschutz zu, betonte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter am Sonntag. Das verbiete jeden Poker mit den deutschen Klimazielen. Nicht von ungefähr demonstrierten am Samstag Zigtausende für einen Kohleausstieg, versammelten sich die Gegner am Sonntag im nahen Braunkohlerevier. "Der internationale Druck auf Deutschland wächst mit jedem Tag", sagt Klimaexperte Bals. Aus Sicht der Kohlegegner ist die Choreografie perfekt. Nächste Woche, wenn Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron die heiße Phase des Klimagipfels einläuten, läuft auch der Endspurt der Sondierung.

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SZ vom 06.11.2017/dit
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