Tiere:Die Kleinsten schrumpfen am stärksten

Tiere: Indianergoldhähnchen sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich geschrumpft.

Indianergoldhähnchen sind in den vergangenen Jahrzehnten deutlich geschrumpft.

(Foto: imago images/Ardea)

Mit dem Klimawandel werden die Körper der Vögel kleiner und ihre Flügel größer. Warum ist das so?

Von Benjamin von Brackel

Das Indianergoldhähnchen (Regulus satrapa) ist ein gerade mal fünfeinhalb Gramm leichtes Vögelchen mit schwarz-gelb-orangem Irokesenschnitt. Das Leichtgewicht brütet in den Nadelwäldern Nordamerikas und zieht im Winter in die Südstaaten der USA. Während des Vogelzugs überfliegen die Singvögel auch Chicago - und einige zerschellen dabei an den Häuserfronten und Fenstern. Über 40 Jahre lang haben Mitarbeiter des Field-Museums von Chicago Hunderte Vogelleichen eingesammelt und vermessen. Dabei machten sie eine überraschende Entdeckung: Die ohnehin schon kleinen Vögelchen waren mit der Zeit noch kleiner geworden, während die Spannweite ihrer Flügel zugenommen hatte. Das galt auch für die meisten anderen der untersuchten Arten.

Die Autorinnen und Autoren einer Ende 2019 erschienenen Studie im Fachblatt Ecology Letters machten dafür den Klimawandel verantwortlich: Weil die Vögel angesichts der steigenden Temperaturen immer weiter gen Norden ziehen, müssen sie längere Strecken überbrücken - und da kämen ihnen vor allem die längeren Flügel zugute. Deshalb die Selektion.

Auch im Amazonas-Regenwald werden die Vögel immer kleiner

Einen ähnlichen Schrumpfungstrend stellten Biologinnen und Biologen im brasilianischen Amazonas-Regenwald fest, wo sie über 40 Jahre lang Vögel gefangen, vermessen und wieder freigelassen hatten. Also in einer völlig anderen Erdregion mit einer anderen Klimazone und einer anderen Artenzusammensetzung. Was beide Studien allerdings nicht erklären konnten, waren die Variationen bei den Änderungen; denn bei manchen Vögeln waren diese stärker ausgeprägt, bei anderen schwächer.

US-Zoologen um Marketa Zimova von der Appalachian-State-Universität haben die Datensätze nun neu analysiert und miteinander verglichen - und sind dabei für die insgesamt 129 Vogelarten zu einer neuen Erkenntnis gelangt: Je kleiner die Vögel, desto verhältnismäßig stärker waren sie geschrumpft und hatten verhältnismäßig größere Flügel bekommen. Eine Vogelart in Chicago etwa, die weniger als 20 Gramm wog, hatte nach den vier Jahrzehnten einen um rund 2,68 Prozent kürzeren Laufknochen, schreibt das Team im Fachblatt PNAS. Bei einer Art, die aber mehr als 60 Gramm wog, war jener nur um 0,85 Prozent kürzer. Dieser klare Trend stellt die Wissenschaft allerdings vor Rätsel.

Für viele Arten hat sich in der Vergangenheit ein Zusammenhang zwischen Körpergröße und Generationszeit erwiesen: Mäuse etwa haben mehr Möglichkeiten, sich in kurzer Zeit an neue Bedingungen anzupassen, als Elefanten. Sie profitieren von mehr genetischen Mutationen. Galt das auch für das Indianergoldhähnchen? Diesen Zusammenhang konnte das Team um Zimova mit statistischen Modellen allerdings nicht bestätigen. Körpergröße und Generationszeit ließen sich nicht gleichsetzen. Den Ausschlag mussten andere biologische Faktoren geben.

Die Autorinnen und Autoren spekulieren, dass hinter dem Muster eine natürliche Selektion stecke, angestoßen durch den Klimawandel. Die kleineren Vögel verändern sich schneller, weil sie eben eine stärkere natürliche Selektion erfahren oder dafür empfänglicher sind. Größere Arten wie der Purpur-Grackel (107,90 Gramm) oder das Amazonasmotmot (131 Gramm) wiederum könnten auf der Strecke bleiben. "Unsere Ergebnisse legen nahe, dass eine große Körpergröße das Aussterberisiko weiter verschärfen könnte", schreibt das Team um Zimova.

Sind die Veränderungen wirklich genetisch bedingt?

Andere Biologen wollen dieser Interpretation einer evolutionären Anpassung an den Klimawandel allerdings nicht vorschnell folgen. "Das könnte schon stimmen", erklärt Benjamin Freeman von der Universität British Columbia im kanadischen Vancouver, der nicht an der Studie beteiligt war. "Es könnte jedoch auch sein, dass die Veränderungen nicht genetisch bedingt sind, sondern aufgrund von Umwelteinflüssen auf die Vogelmorphologie über Jahrzehnte hinweg erfolgten." Seit Längerem sei bekannt, dass wärmere Temperaturen bei der Reifung von Vögeln zu kleineren Körpergrößen führen.

Ungewiss bleibt auch, warum die Vögel überhaupt von den längeren Flügeln profitieren sollten. Die Erklärung, dass sie damit längere Strecken in den Norden überbrücken können, um damit auf die Erderwärmung zu reagieren, könnte zwar für das Indianergoldhähnchen und andere Zugvögel in Nordamerika zutreffen. Aber nicht für die Vögel im Amazonas-Regenwald, die ja nicht migrieren. "Wir sind zwar auf ein sehr starkes Muster gestoßen, haben aber kein wirkliches Verständnis davon, was dieses Muster verursacht hat", sagt Freeman. "Das ist wirklich mysteriös."

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