In Dorsten waren es Prozessionsspinner, in Brandenburg Giftspinnen, im Rheingraben Sandmücken, deren Auftauchen jeweils Meldungen in der Presse wert waren.
Deutschland, so scheint es demnach, ist zu einem Einwanderungsland für exotische Insekten und andere Tierchen geworden, die zur Gefahr für den Menschen werden könnten. Zudem beginnen heimische Organismen, Krankheitserreger zu übertragen, die ursprünglich aus Afrika stammen. Zum Beispiel infizieren Stechmücken Rinder, Schafe und Ziegen mit der Blauzungenkrankheit. Aus vielen Bundesländern haben Bauern bereits Fälle gemeldet. Die genauen Ursachen für die Invasion haben vor jüngst etwa 140 Fachleute auf einer Tagung diskutiert, die das Umweltbundesamt (UBA) organisiert hatte.
Das Ergebnis der Konferenz: Der Klimawandel kann die Verbreitung neuer Krankheitserreger in Deutschland fördern. Die Anzahl der Überträger der Infektionen, zum Beispiel Mücken- oder Zeckenarten, nimmt mit der Erwärmung zu. Allerdings beeinflussen auch zufällige Ereignisse wie ein milder Winter die Menge der Insekten.
Die Experten fordern daher dringend, die Populationen solcher im Fachjargon Vektoren genannter Überträger systematisch zu überwachen. "Kein Mensch kennt die genauen Übertragungswege'', sagt Gerd Müller-Motzfeld von der Universität Greifswald: "Wir brauchen Antworten auf die Fragen: Woher kommen die neuen Arten? Wo und unter welchen Umständen leben sie?'' Die Forscher fordern, mehr Geld in diese Art Grundlagenforschung zu investieren.
Angesichts der Klimaerwärmung sehen die Experten die Gefahr, dass in Deutschland Tropenkrankheiten heimisch werden. Vom Mittelmeer ausgehend weitet zum Beispiel die Sandmücke ihren Lebensraum in Richtung Norden aus. Im Jahr 1999 wurden die ersten vier Exemplare in Baden-Württemberg entdeckt, zwei Jahre später stand die Zählung bei 117 Tieren.
Der erste Erklärungsversuch: Sandmücken gerieten im Fell von Hunden nach Deutschland. Die bisher erst vereinzelt nachgewiesenen Mücken könnten die ursprünglich im Mittelmeerraum heimische Leishmaniose übertragen, warnt nun das UBA. Bislang seien ein Kind und einige Hunde daran erkrankt. Das Leiden verursacht Hautzerstörungen, kann aber auch innere Organe befallen und zum Tod führen.
Von der Sandmücke kommen aber nicht nur einzelne Tiere an, sondern die gesamte Population rückt näher. Die Insekten sind darauf angewiesen, dass die Temperatur einige Nächte lang nicht unter 20 Grad Celsius sinkt. Meteorologen zufolge ist das im Sommer in all jenen Gebieten möglich, in denen im Jahresmittel mindestens zehn Grad herrschen: im Süden Deutschlands bis zur Höhe von Frankfurt und im Rheingraben bis nach Köln. Diese Grenze hat sich in den letzten Jahren nach Norden verschoben.
In vielen anderen Fällen aber sind die Forscher weniger gut informiert. Im Juni dieses Jahres zum Beispiel wurde in Nordrhein-Westfalen Insektenalarm ausgelöst. In Dorsten wurde der Schulhof einer Grundschule gesperrt, nachdem dort Nester der Eichenprozessionsspinner-Raupe gefunden worden waren. Um sich gegen natürliche Feinde zu schützen, enthält ihre Behaarung einen Giftstoff. Menschen können darauf allergisch reagieren. Das Auftreten der Raupe im Ruhrgebiet war in der Vergangenheit nichts Besonderes. Allerdings sind die Populationen, die jetzt gesichtet wurden, deutlich größer als in früheren Jahren.
Hysterie in der Notaufnahme
"Im Prinzip ist die Raupe ein Folgeschädling des Klimawandels'', sagt Stefanie Hahn von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Braunschweig. "Bisher aber wurde sie nicht systematisch erfasst, da sie nur punktuell bekämpft worden ist.''
Das örtliche Auftreten einzelner Arten, auch von Schädlingen, sei zunächst nicht ungewöhnlich. Wichtiger sei aber, wie schnell sich diese Insekten verbreiten. Am Beispiel des Eichenprozessionsspinners erstellte die Bundesanstalt eine Befallskarte. In diesem Jahr sind die Raupen auch im Süden und Osten auffällig geworden. Für die meisten anderen Insekten müssen entsprechende Vergleichsdaten jetzt erst erstellt werden, sagt Hahn.
Jedoch warnen die Fachleute vor Panik und überzogenen Reaktionen. Anzeichen dafür haben sie im vergangenen Jahr beim Auftreten einer kleinen Giftspinne erlebt. Der Dornfinger war bislang vornehmlich im Mittelmeerraum beheimatet. Seine Bisse fühlen sich wie Wespenstiche an und können kurzfristig zu Schmerzen und lokalen Lähmungen führen.
In Österreich hatte seine Vermehrung bereits Hysterie ausgelöst. Zeitungen berichteten über angebliche Spinnenattacken. In die Notaufnahme des Linzer Krankenhauses kamen an einem Tag 190Personen, die glaubten, von einem Dornfinger gebissen worden zu sein. Nur acht von ihnen zeigten annähernd typische Symptome. Schädlingsalarm gab es in diesem Jahr auch im Osten Deutschlands. In Brandenburg wurde der Dornfinger vermehrt entdeckt, allerdings wurden nur wenige Bisse gemeldet.
"In der Boulevardpresse fand eine regelrechte Panikmache statt'', sagt Nicolai Schaaf, Klimaexperte beim Naturschutzbund. Möglicherweise sei der Klimawandel für eine Verschiebung der Populationen - auch die des Dornfingers - verantwortlich, aber wissenschaftlich bewiesen sei dies noch nicht. Eigentlich sei die Ankunft aber ein Grund zur Freude, steht die Spinnenart doch auf der roten Liste der bedrohten Tierarten.
"Hier wird eine seltene Spezies mit dem Stempel des Monsters versehen. Jeder Waldarbeiter lacht über den Dornfinger.'' Auch der Greifswalder Forscher Müller-Motzfeld warnt davor, Neuankömmlinge generell zu verteufeln: "Wir sollten nicht an der falschen Stelle Theater machen.''