Was mich wann umgetrieben hat, das kann ich ziemlich genau rekonstruieren. Dabei helfen mir, ich wage kaum, das zuzugeben, blaue Leitz-Ordner, in denen meine Beiträge abgeheftet sind. Was mich Mitte Februar 2022 beschäftigte? Da muss ich nur kurz blättern. Die Empfehlungen eines Expertenrats etwa, in Zukunft Bürgerdialoge über Wege aus der Klimakrise beratschlagen zu lassen. Eine mögliche Flughafen-Blockade der "letzten Generation", die damals noch für ein "Essen-retten-Gesetz" eintrat. Oder die Münchner Sicherheitskonferenz, auf der sich die Klimapolitik schon 2022 in einer seltsamen Nebenrolle wiederfand. In einem Text über die wieder angelaufene Sanierungsförderung schreibe ich sogar allen Ernstes: "Der Rubel rollt wieder."
Es wirkt alles wie aus einer anderen Welt.
Zweimal haben wir solche Zeitenbrüche in jüngerer Vergangenheit erlebt. Die meisten werden sich noch genau erinnern, was sie im März 2020 gemacht haben, bevor die Pandemie ihr Leben umkrempelte. Und viele werden nicht vergessen haben, wie der Krieg in den deutschen Alltag einbrach - heute vor einem Jahr. Not und Zerstörung, Gasknappheit und Panzer bestimmen seither die Schlagzeilen. Und das Klima?
Ein Jahr nach Putins Überfall lässt sich sagen: Dem Klimaschutz hat er nicht geschadet. Der Wahrnehmung der Klimakrise aber schon.
Die Angst vor Energie-Engpässen, vor hohen Preisen und Armut, die Einsicht in die Verletzlichkeit der Abhängigen - all das hat den Abschied von fossiler Energie in Europa seit dem 24. Februar 2022 stärker vorangebracht als alle bisherigen Klimasofortprogramme zusammen. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist nicht mehr der Spleen grüner Überzeugungstäter, er ist Bedingung für Souveränität in Europa. Grüner Wasserstoff ist nicht länger der hype of the day - sondern die einzige Alternative zum Erdgas, die in Molekülform zu haben ist. Nie wurden in Europa so viele Wärmepumpen und Solarzellen installiert wie im vorigen Jahr. Das alles wird sich, ebenso wie die Sparsamkeit von Betrieben und vielen Haushalten, auch in den Klimabilanzen niederschlagen.
Schlechter sieht es um die Aufmerksamkeit für die Klimakrise aus. In dem Maße, wie der Krieg die Agenda beherrscht, haben Dürren, Hungersnöte, Fluten sie verlassen. Die Klimabewegung ist auf die "letzte Generation" zusammengeschrumpft. Was aus den "Klimanotständen" geworden ist, die viele Kommunen erklärt haben, interessiert kaum noch jemanden.
Mag ja sein: Dem Klima kann es egal sein, warum die Emissionen schrumpfen, solange es nur passiert. Wenn paradoxerweise der Kreml selbst den Abschied von fossiler Energie beschleunigt, seinem wichtigsten Geschäftsmodell - was spricht dagegen? Das Problem liegt eher darin: Sobald die Rohstoffpreise wieder sinken, droht eine Renaissance der Klimaschädlinge. Noch ist die Wende nicht unumkehrbar.
Ein Jahr nach Kriegsbeginn ist klar: Wir müssen unsere Aufmerksamkeit teilen. Wir dürfen uns an Krieg, Sterben und Zerstörung in der Ukraine nicht gewöhnen. Und wir dürfen nicht übersehen, was uns an Vorzeichen aus einer möglichen Zukunft ereilt: Zyklone in Neuseeland (SZ Plus), eine Dürre in Italien (SZ Plus) und Frankreich, Überschwemmungen wie zuletzt in Südafrika und Mosambik. Am Ende geht es nicht nur um unsere Unabhängigkeit und unsere Energiepreise - sondern auch um Solidarität mit denen, die im täglichen Kampf mit der Klimakrise stehen. Auch wenn das allzu oft untergeht, seit ein Krieg in Europa tobt.
(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)