Klimawandel:Sorge um die grüne Krone

Das nennt man einen Teufelskreis: Waldforscher der Universität Toronto und die Umweltschützer von Greenpeace fürchten, dass Schäden an den nördlichen Nadelwäldern den Klimawandel noch verstärken.

Christopher Schrader

Aus dem Weltall betrachtet mag die Erde ein blauer Planet sein, aber sie trägt eine grüne Krone. Von Skandinavien über Kanada nach Sibirien erstreckt sich eine Zone mit Nadelwald, 50-mal so groß wie Deutschland.

Klimawandel: Im kanadischen Wald tickt eine "Kohlenstoffbombe".

Im kanadischen Wald tickt eine "Kohlenstoffbombe".

(Foto: Foto: AP)

Die in Asien Taiga genannte Region beginnt nördlich von Metropolen wie Harbin, Sankt Petersburg, Stockholm oder Toronto; die Fichten und Tannen, Kiefern und Lärchen wachsen oft bis zum Polarkreis. Wissenschaftler sprechen vom borealen Wald, abgeleitet vom griechischen Windgott Boreas.

Sie betrachten die Region als einen Schlüsselfaktor für die Zukunft der Erde und untersuchen, ob die ausgedehnten Wälder den Klimawandel beschleunigen.

Diese Frage bejaht die Umweltschutz-Organisation Greenpeace. Am Donnerstag veröffentlicht sie in Toronto den Report "Turning up the heat" (Die Hitze aufdrehen), in dem zwei Wissenschaftler der dortigen Universität den Forschungsstand zusammenfassen und bewerten.

Im kanadischen borealen Wald tickt nach ihren Worten eine "Kohlenstoffbombe": Durch die Erwärmung im Rahmen des Klimawandels könne sich der Forst tatsächlich zu einer Quelle von Treibhausgasen entwickeln. Vor allem im Boden, den Mooren und den 1,5 bis zwei Millionen Seen speichern die Nadelwälder 186Milliarden Tonnen Kohlenstoff - etwa 26-mal so viel wie die Menschen zurzeit pro Jahr aus Kohle, Öl und Gas freisetzen.

Vier bis zehn Grad Temperaturzunahme im Norden

Nimmt der Wald Schaden, könnte gespeicherter Kohlenstoff frei werden und sich ins Treibhausgas Kohlendioxid verwandeln. Die Forscher nennen das positive Rückkopplung. Der Klimawandel schadet dem Wald und das heizt den Klimawandel weiter an.

Martin Heimann bestätigt diese Annahme im Prinzip. Der Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena kennt aus seiner wissenschaftlichen Arbeit vor allem die Situation in Sibirien. "Wir tendieren auch dazu, dass es in den Wäldern eine positive Rückkopplung gibt, weil Treibhausgase aus dem Boden entweichen." Um es genauer zu wissen, analysiert sein Institut von einem Messturm aus die Luft über der sibirischen Taiga. "Im Augenblick ist aber noch vieles offen", sagt Heimann.

Im hohen Norden, so erwarten es Klimaforscher, werden die Temperaturen doppelt so stark steigen wie auf der Erde im Durchschnitt: um vier bis zehn Grad in den kommenden 50 bis 100 Jahren. Mehrere Effekte überlagern sich, wenn mehr CO2 in der Luft schwebt und es wärmer wird.

Einerseits weitet sich dadurch die Vegetationszone nach Norden aus und die Wachstumsperiode wird länger. Außerdem haben die Bäume mehr Nährstoffe, schließlich nutzen sie Kohlendioxid als Baumaterial. Andererseits reagieren manche Bäume auf steigende Temperaturen mit vermindertem Wachstum. Gleichzeitig nehmen Dürren zu und damit die Effekte von Wildfeuern. Auch Insekten richten größere Schäden an, weil sie mildere Winter besser überleben.

Sorge um die grüne Krone

Schlüsselrolle des Menschen

Eine Schlüsselrolle könnte der Mensch spielen. In Kanada werden der Greenpeace-Studie zufolge pro Jahr 9000 Quadratkilometer Wald abgeholzt. Hinzu kommen 680 Quadratkilometer an Straßen und Lagerplätzen - zusammen entspricht das der Fläche des bayerischen Regierungsbezirks Oberpfalz. Für fast die Hälfte der borealen Wälder Kanadas haben die Holzfirmen schon Lizenzen; sie arbeiten sich aus den bereits zerstückelten Wäldern im Süden nach Norden vor.

Waldforscher beunruhigt daran dreierlei. Zum einen, so die Autoren der Greenpeace-Studie, können nur intakte Wälder die Schäden durch Feuer und Insekten gut ausgleichen.

Zum zweiten nähern sich die Holzfäller damit der Permafrost-Zone, in denen der Boden das ganze Jahr gefroren bleibt. Verlieren diese Landstriche ihre Baumdecke, erwärmt sich das Erdreich, taut auf und setzt gespeicherte Treibhausgase frei: neben CO2 auch Methan, das noch weitaus klimaschädlicher ist.

Zum dritten ist ein Waldstrich, auf dem nur noch junge Bäume stehen für mindestens zehn Jahre eine Quelle von Kohlenstoff. "Das haben Messungen an nachwachsenden Wäldern bewiesen", sagt Martin Heimann. "Was aus dem Boden entkommt, übertrifft die Aufnahme der Bäume. Die besten Speicher für Kohlenstoff sind alte Wälder."

Greenpeace lässt darum die Analyse in eine politische Forderung münden. Kanada solle sofort ein Moratorium für das Erschließen neuer Gebiete für den Holzeinschlag verkünden. Um so mehr müsste das aber für Sibirien gelten, wo sich Russen, Chinesen und Japaner bedienen. "Da geht es nur nach wirtschaftlichen Kriterien", klagt Martin Heimann.

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