Klimawandel:Die Bombe im Eis

Permafrostboden in Kanada: Durch den Klimawandel und das Auftauen können große Mengen an toxischem Quecksilber in die Nahrungskette gelangen.

Die Permafrostzone - in der Permafrost wie hier in Kanada möglich ist - umfasst ein Viertel der Landfläche der Erde.

(Foto: Michael Fritz/dpa)
  • Laut Messungen von Forschern lagern im Eisboden der nördlichen Hemisphäre zwischen 330 000 und 800 000 Tonnen Quecksilber.
  • Noch ist das giftige Schwermetall eingeschlossen, doch wenn die Böden durch die globale Erwärmung auftauen, könnten große Mengen freigesetzt werden.
  • Das Quecksilber könnte über Grundwasser und Flüsse in die Meere und damit in die Nahrungskette der Meeresbewohner und schließlich der Menschen gelangen.

Von Susanne Götze

Als Paul Schuster begann, im Eis von Alaska zu bohren, hielten ihn seine Kollegen für verrückt. Der Klimaforscher hatte einen Verdacht - und wollte Gewissheit. Nach acht Jahren mühsamer Suche und 588 Eiskernproben später erschrak der Hydrologe dann selbst über seinen Fund: "Wir waren entsetzt über unsere eigenen Datensätze." Die Ergebnisse seiner Messreihen sind tatsächlich beunruhigend: In den Permafrostgebieten der Erde ist doppelt so viel Quecksilber gespeichert wie in allen anderen Böden und der Atmosphäre zusammen. Bisher waren die Forscher nur von geringen Konzentrationen des Schwermetalls in der Arktis ausgegangen. Noch ist das Gift im Eis eingeschlossen, doch wenn die Böden durch die globale Erwärmung auftauen, könnten große Mengen freigesetzt und zum toxischen Methyl-Quecksilber werden. "Die Permafrostböden sind die weltgrößte Senke von Quecksilber", fasst der Hydrologe seine Ergebnisse zusammen.

Laut den Messungen lagern mindestens 330 000 Tonnen und maximal etwa 800 000 Tonnen im Eisboden der nördlichen Hemisphäre. Zum Vergleich: Besorgt ist das Umweltprogramm der Vereinten Nationen schon über die 2000 Tonnen, die jährlich durch Industrie und Energiewirtschaft ausgestoßen werden. Würde der Vorrat in den Permafrostböden freigesetzt, käme nach und nach mindestens die 150-fache Menge des Schwermetalls frei. Erst im vergangenen Jahr trat das Minamata-Übereinkommen der UN in Kraft, durch das die Staaten die menschengemachten Quecksilber-Emissionen beispielsweise infolge der Kohleverbrennung eindämmen sollen. Hohe Dosen Methyl-Quecksilber können das Nervensystem schädigen, zu Lähmungserscheinungen und zum Tod führen.

Am Ende könnte es bedenklich werden, überhaupt noch Fisch oder Meerestiere zu essen

Seit den 1990er Jahren forscht Schuster für den Geologischen Dienst der USA (USGS) über historische Quecksilberablagerungen in Böden. Durch den Bergbau setzten Menschen schon in antiken Zeiten große Mengen frei. Hinzu kommen Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, die das Schwermetall aus der Erde in die Atmosphäre schleudern. Einmal in die Luft geblasen, sinken die Partikel dann wieder auf Böden und in Gewässer und werden von Tieren und Pflanzen aufgenommen. Auf diesem Weg gelangt Quecksilber auch in menschliche Nahrung, beispielsweise gelten vor allem Fisch und Meerestiere als besonders belastet.

Durch diesen globalen Quecksilberkreislauf könnte das Gift aus der Arktis auch in Lebensmitteln in Deutschland landen. Die zusätzliche Belastung durch den Metallaustrag aus den getauten Permafrostböden könnte gar dazu führen, dass es bedenklich und gefährlich wird, Fisch zu essen. "Alles landet am Ende im Meer", sagt Schuster. Das durch den tauenden Boden mobilisierte Quecksilber brauche etwa zwei Jahre, um über Grundwasser und Flüsse in die Meere und damit in die Nahrungskette der Meeresbewohner und schließlich der Menschen zu gelangen. Weltweit ernähren sich allein drei Milliarden Menschen hauptsächlich von Fisch. "Das wäre eine Katastrophe", so der Forscher.

In der Arktis kommt aufgrund atmosphärischer Reaktionen besonders viel Quecksilber an

Anfangs ging es dem Forscherteam um Schuster nur darum zu untersuchen, auf welche Weise sich das Schwermetall über Jahrhunderte im Boden eingelagert hat - je nach Vegetation und klimatischen Verhältnissen. Sie entdeckten, dass sich die Quecksilberteilchen in den vergangenen 10 000 bis 20 000 Jahren im Sommer auf der aufgetauten Oberfläche des arktischen Bodens auf Pflanzen und Tieren ansammelten. Mit jedem Winter wurden die Partikel dann in eine Eisdecke eingeschlossen. "Diese Schichten konnten wir Jahrtausende zurückverfolgen." Sie erklären auch die hohe Menge des toxischen Metalls: "Weil die Arktis von Tieren und Menschen kaum bevölkert ist, blieb das Quecksilber auf dem Boden und wurde dann unter dem Eis eingeschlossen." In der Arktis kommt zudem aufgrund atmosphärischer Reaktionen besonders viel Quecksilber an, vermutet Schuster. Nach dieser Entdeckung befürchtet der Wissenschaftler nun, dass die Mengen sogar noch weitaus größer sein könnten. Seiner Studie liegen nur Proben aus Alaska zugrunde. Nach den spektakulären Ergebnissen und der Aufmerksamkeit, die seine Ergebnisse vor allem in den USA erregt hat, will er nun auch in Sibirien und Grönland Proben nehmen.

Permafrostböden sind dort zu finden, wo die Jahresdurchschnitts-Temperatur minus ein Grad Celsius und die Jahresniederschlagsmenge 1000 Millimeter nicht übersteigen. Die größten Gebiete mit Permafrostböden liegen in Russland, Kanada, Alaska und Grönland. Der Boden ist in diesen Regionen teils Hunderte Meter tief durchgefroren. Insgesamt umfasst die Permafrostzone etwa ein Viertel der gesamten Landfläche der Erde. Klimaforscher sind sich einig, dass durch den Anstieg der globalen Temperaturen weite Teile des Eisbodens tauen und zu Schlammwüsten werden könnten. In einigen Teilen Russlands und Grönlands hat die große Schmelze bereits begonnen. "Wie schnell der Permafrost taut, hängt davon ab, wie viel wir für den Klimaschutz tun", meint Schuster. Kaum jemand könne abschätzen, wie robust das arktische Ökosystem ist. "Die Wissenschaft ist sich allerdings einig, dass mit jedem Grad mehr Flächen betroffen sind."

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