Im Jahr 2031, in dem der Film "Snowpiercer" spielt, gibt es kaum noch Menschen auf der Erde. Die wenigen Überlebenden hausen in einem langen Zug, der pausenlos um die vereiste Erde rauscht. Jahre zuvor haben 79 Länder beschlossen, das Kältemittel CW-7 in die obere Atmosphäre zu sprühen, um die Erderwärmung zu stoppen. Doch das Experiment ist fehlgeschlagen, nun herrscht eine globale Eiszeit, in der fast alles Leben erfriert.
Der Film von 2013 hat einen aktuellen Kern: die gezielte Manipulation des Klimas, das Geoengineering. Tatsächlich halten dies manche Forscher für die letzte Hoffnung der Menschheit im Kampf gegen den Klimawandel. Andere sehen darin ein unkalkulierbares Risiko.
Nun fordert ein internationales Expertenteam um Matthias Honegger vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam eine Debatte über die Risiken und Chancen dieser Technologie. Die 18 Fachleute hatten sich auf eine Initiative der in der Schweiz ansässigen Stiftung Risiko-Dialog hin ausgetauscht. In der vergangenen Woche haben die Wissenschaftler einen Bericht an die Adresse des Schweizer Bundesamts für Umwelt (Bafu) veröffentlicht.
Energiepflanzen könnten CO₂ aus der Luft holen. Aber auf welchen Äckern ist Platz dafür?
Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Tatsache, dass die globalen Treibhausgasemissionen nach dem Jahr 2050 auf null sinken müssen, wenn die Erderwärmung auf zwei oder gar 1,5 Grad begrenzt werden soll. Mit den aktuell vorliegenden Klimaschutzversprechen der Staaten werden diese Ziele jedoch weit verfehlt - derzeit steuert die Welt eher auf etwa 2,5 bis 3,5 Grad Erwärmung im Vergleich zu vorindustrieller Zeit zu.
Es gibt zwei grundverschiedene Ansätze, um den Thermostat der Erde künstlich zu regulieren. Das ist erstens die Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre, das Carbon Dioxide Removal (CDR). Sogar der Weltklimarat IPCC rechnet mit CDR: In den meisten Szenarien zur Begrenzung der Erwärmung auf weniger als zwei Grad ist die Technologie ein wichtiger Teil der Bilanzen. Bis zu 14 Milliarden Tonnen CO₂ müssten demnach gegen Ende des Jahrhunderts pro Jahr aus der Luft gefischt werden - das entspricht fast der Hälfte der heute vom Menschen jährlich verursachten Emissionen. Bereits in gut zehn Jahren müsste damit begonnen werden.
Der Inhalt konnte nicht geladen werden.
"Niemand weiß, wie das gehen soll, schon gar nicht in diesem Umfang", sagt Co-Autor Thomas Peter, Atmosphärenchemiker an der ETH Zürich. Das zeige ein Blick auf die wohl bekannteste CDR-Methode, den Anbau von Energiepflanzen. Diese nehmen beim Wachstum CO₂ auf und werden verbrannt, um Energie zu gewinnen. Das dabei frei werdende CO₂ soll eingefangen und im Untergrund gelagert werden, "BECCS", heißt das in der Fachsprache, für "Biomass Energy with Carbon Capture and Storage".
Das Verfahren wäre jedoch nicht nur erheblich teurer als die Vermeidung von CO₂-Emissionen. Möchte man jährlich rund 14 Milliarden Tonnen CO₂ aus der Luft filtern, müssten Energiepflanzen auf ein- bis zweimal der Landfläche Indiens angebaut werden. "BECCS würde mit der Lebensmittelproduktion konkurrieren und hätte einen enormen Wasserbedarf", sagt Co-Autor Anthony Patt, der an der ETH Zürich über angewandte Klimapolitik forscht.
Ein völlig anderer Ansatz ist das weit riskantere Solar Radiation Management (SRM), das auch im Film "Snowpiercer" zum Einsatz kam. Dabei wird eine Art Sonnenschirm über der Erde aufgespannt, etwa indem reflektierende Partikel in die Stratosphäre gebracht werden, sogenannte Aerosole. SRM bekämpft zwar die Erderwärmung, beseitigt aber nicht deren Ursache - die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre bleibt unangetastet. Weil dieses auch in die Ozeane vordringt, ändert SRM nichts an der Meerwasserversauerung, welche den Korallen zusetzt. Auch befürchten Experten, das Verfahren könnte Niederschlagsmuster verändern. Und würde der Sonnenschirm dereinst wieder zugeklappt, würde die Temperatur auf der Erde innerhalb weniger Monate auf ein Niveau hochschnellen, das der vollen Treibhauswirkung der realen CO₂-Konzentration entspricht - mit katastrophalen Folgen.
SRM wäre zwar vergleichsweise billig und einfach anzuwenden. Aber das heißt auch: Ein Land könnte den Sonnenschirm eigenmächtig aufspannen. Das birgt das Risiko zwischenstaatlicher Konflikte.
"Vermutlich kann SRM tatsächlich die Erde kühlen, so ähnlich, wie das auch Vulkanausbrüche tun", sagt Ulrike Niemeier vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. "Aber ich halte vor allem das Konfliktrisiko für zu groß, es ist unkalkulierbar, wie die Menschen reagieren, wenn sich das Klima durch SRM ändert." Immerhin würde man damit auch in den Wasserzyklus eingreifen; selbst wenn das Ganze ungefähr so wirkt wie erwartet, könne es durchaus in einigen Ländern noch trockener werden. "Man wüsste ja auch nie, was eine Folge des Geoengineerings ist, und was nicht", sagt Niemeier. Jede Naturkatastrophe könnte als Konsequenz aus dem Experiment betrachtet werden und entsprechend Wut und Hass provozieren.
Trotz der möglichen Gefahren sehen die Autoren des Berichts ein gewisses Potenzial für den irdischen Sonnenschirm namens SRM - wenn er denn klug zur Anwendung käme. Der Sonnenschirm könnte etwa vorübergehend die Temperaturspitze im Verlauf der Erderwärmung kappen, bis genug CO₂ aus der Atmosphäre geholt ist. "So könnte SRM theoretisch helfen, einige der schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden", sagt Patt. Das Problem: Es ist unbekannt, ob sich ein Maß an SRM finden lässt, das die größten Gefahren umgeht, aber die Vorteile nutzt. "Daher verlangen wir mehr Forschung zu diesem Thema", sagt Patt.
"Werden SRM- und CDR-Technologien nicht erforscht und vor allem nicht reguliert, setzen wir uns erheblichen Risiken und geopolitischen Spannungen aus, wenn ein Land eigenmächtig Geoengineering einsetzen sollte", sagt Co-Autor Christoph Beuttler von der Stiftung Risiko-Dialog. "Es braucht dringend einen offenen, faktenbasierten Dialog darüber, welche Risiken wir als Gesellschaft eingehen müssen oder wollen." Laut Thomas Peter steuert die Welt mit großen Schritten auf einen Punkt zu, an dem Geoengineering unumgänglich wird. "Die Gesellschaft und die Politiker müssen wissen, was auf uns zukommt, wenn wir die Treibhausgasemissionen nicht massiv reduzieren."
Die Autoren des Berichts schlagen vor, die Schweiz solle den Dialog zum Geoengineering anstoßen. "Bisher war Geoengineering beim Bafu kein großes Thema", sagt Andreas Schellenberger von der Abteilung Klima des Bafu. "Wir werden das Thema aufgreifen und intern darüber diskutieren, wie wir damit umgehen werden."