Klimawandel:Der Ozean wird stabiler - und das ist keine gute Nachricht

Antarctic Peninsula Erebus and Terror Gulf Ice floe among water ripples generated by passing ship

Sieht ruhig und friedlich aus, aber ist von gigantischen Umwälzbewegungen geprägt: Der Ozean, hier vor der antarktischen Halbinsel.

(Foto: imago stock&people/imago/Danita Delimont)

Statt sich zu durchmischen, scheint das Meerwasser verstärkt in Schichten übereinander zu verharren. Der Effekt treibt die Erderwärmung zusätzlich an.

Von Julian Rodemann

Nicht nur wegen Corona sollte man gerade in der kalten Jahreszeit gelegentlich das Fenster öffnen und frische Luft hereinlassen. Besonders in Altbauwohnungen mit hohen Räumen dauert es danach meist eine Weile, bis es am Esstisch wieder wohlig warm ist. Das liegt an einem Phänomen, das jedes Kind kennt: Warme Luft steigt nach oben, weil sie eine geringere Dichte als kalte Luft hat. Im Meer sorgt das gleiche Prinzip dafür, dass wärmeres Wasser in den oberen Schichten der Ozeane schwimmt, während kälteres Wasser in die Tiefe sinkt.

Wie beim Lüften findet auch in den Weltmeeren ein Austausch statt. Wenn Wasser durch horizontale Meeresströmungen in kältere Gefilde transportiert wird, kühlt es ab, gewinnt an Dichte und sinkt in die Tiefe, ehe es anderswo wieder aufsteigt. Diese sogenannte thermohaline Zirkulation - oft globales Förderband genannt - hält die Wassermassen der Ozeane in Bewegung und trägt auch zu großen Oberflächenströmungen wie dem Golfstrom bei. Der Kreislauf aus Meeresströmungen und Wärmeaustausch ist hochkomplex und zugleich von immenser Bedeutung für das Klima des Planeten.

Alle Ozeane sind betroffen, am stärksten der Pazifik

In einer neuen Analyse historischer Messdaten haben US-amerikanische und chinesische Forscher nun herausgefunden, dass die Durchmischung des Ozeanwassers seit 1960 deutlich abgenommen hat. Ihre Studie ist im Fachjournal Nature Climate Change erschienen und liefert ein klares Ergebnis: Die Weltmeere werden stabiler; die Stratifikation, also die Schichtung des Wassers, nahm von 1960 bis 2018 um etwas mehr als fünf Prozent zu. Dabei sind alle Ozeane betroffen, am stärksten der Pazifik. Besonders in den oberen 200 Metern bewegt sich das Wasser weniger auf und ab.

Das lässt sich zu einem großen Teil - die Wissenschaftler schätzen zu mehr als 90 Prozent - auf gestiegene Temperaturen an der Wasseroberfläche zurückführen. Die globale Erwärmung bringt den natürlichen Wasserkreislauf im Meer durcheinander. Sie sorgt dafür, dass sich das Wasser an der Oberfläche nicht mehr ausreichend abkühlt und so weniger davon in die Tiefe gelangt. "Der Klimawandel macht die Atmosphäre instabiler, aber den Ozean stabiler", sagt Michael Mann, einer der Autoren.

Auch der Salzgehalt des Wassers spiele in einigen Gegenden eine Rolle, wie Mann und Kollegen schreiben. Denn anders als in der Raumluft lässt im Meer neben der Temperatur auch der Salzgehalt das Wasser zirkulieren. Salzhaltiges Wasser hat eine höhere Dichte als Süßwasser. Wenn nun zum Beispiel der grönländische Eisschild schmilzt, gelangt Süßwasser in die oberen Meeresschichten; der Salzgehalt sinkt und damit die Dichte des Wassers, was das Absinken verlangsamt.

Stabilität klingt ja erst mal gut, schließlich liest man allerorts, dass die Erde ansonsten aus dem Gleichgewicht gerät. Doch könnte just diese stabilere Schichtung des Ozeans den Planeten noch weiter ins Wanken bringen. Denn die Schichtung sorgt dafür, dass weniger Wärme in die Tiefe gelangt, was die Oberflächentemperatur und damit die Temperatur der Atmosphäre zusätzlich erhöht. Es ist ein klassischer Rückkopplungseffekt: Die vom Klimawandel ausgelöste Schichtbildung verstärkt diesen zusätzlich. "Globale Klimamodelle unterschätzen diese Trends bisher", sagt Mann.

Weil die Arbeit auf Forschungsschiffen im Winter kaum möglich war, fehlen Messdaten aus der kalten Jahreszeit

Darüber hinaus können wärmere Ozeane weniger Kohlendioxid aufnehmen - auch das facht den Klimawandel weiter an. Sie erhöhen zudem das Risiko, dass Hurrikans besonders heftig ausfallen. "Das warme Oberflächenwasser liefert den Treibstoff für diese großen Stürme", schreibt John Abraham, der ebenfalls an der Studie beteiligt war, in einem Gastbeitrag im Guardian. Er warnt zudem davor, dass Meeresbewohner unter der Stratifikation leiden könnten, weil stärker geschichtetes Wasser weniger Nährstoffe nach oben und weniger Sauerstoff in tiefere Schichten transportiert.

Martin Visbeck vom Geomar in Kiel ist da vorsichtiger. "Manche Arten profitieren auch von erhöhter Schichtung, außerdem hängt diese mögliche Störung des Nährstoffaustausches stark von saisonalen Trends in der Schichtung ab, ein Aspekt, der hier nicht beleuchtet wurde", sagt der Leiter der Forschungseinheit Physikalische Ozeanographie. Insgesamt stößt die neue Studie auf gemischte Reaktionen: "Wir begrüßen die Studie als wichtigen Beitrag zu einer hochaktuellen Frage. Allerdings gehen wir im Moment davon aus, dass die historischen Messfehler falsch eingeschätzt wurden", sagt Visbecks Geomar-Kollege Sunke Schmidtko, der selbst schon einen vergleichbaren Datensatz ausgewertet hat.

Dass die Schichtung der Meere durch den Klimawandel zunimmt, sei plausibel und physikalisch zu erwarten. Tatsächlich prognostizierte etwa Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bereits in seiner Doktorarbeit vor fast 30 Jahren, dass die Stratifikation zunehmen wird. An klaren empirischen Belegen fehlte es aber bisher, weil die Messdaten aus der Zeit vor den 90er-Jahren zu sporadisch und teilweise zu ungenau sind.

Wasserproben wurden früher vornehmlich im Sommer bei gutem bis moderatem Wetter genommen, weil Arbeiten auf Forschungsschiffen bei schlechtem Wetter kaum möglich waren. Folglich fehlen Daten aus den Wintermonaten. In der neuen Studie versuchen die chinesischen und US-amerikanischen Wissenschaftler, diese Datenlücken mit einem neuartigen statistischen Modell zu reparieren. Schmidtko findet aber, dazu werde im Paper zu wenig erklärt. Er erwartet spannende Diskussionen. "Wenn es den Autoren wirklich gelungen ist, die saisonal einseitigen Beobachtungen auszugleichen, wäre das eine tolle Leistung."

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