Der Kakteenwald, den Biologen vor drei Jahrzehnten auf den Florida Keys entdeckt haben, muss beeindruckend gewesen sein. Im Zentrum der Insel Key Largo standen sie plötzlich vor 150 bis zu sechs Meter hohen, stacheligen Kaktusriesen. Heute ist von den ehemals imposanten Key-Largo-Baumkakteen der Art Pilosocereus millspaughii nichts mehr übrig. Ein Team um die Biologin Jennifer Possley vom Fairchild Tropical Botanic Garden in Coral Gables bei Miami hat die Spezies gerade für ausgestorben erklärt. Und zwar nicht nur auf der Insel vor Florida, sondern in den ganzen USA.
Der Kaktus ist nach Ansicht von Possley die erste Spezies in den USA, die aufgrund des klimawandelbedingten Meeresspiegelanstiegs ausgestorben ist. Weltweit gibt es die seltene Art nur noch an einigen wenigen Standorten unter anderem auf Kuba und auf den Bahamas.
Noch Jahrzehnte nach seiner Entdeckung im Jahr 1992 war niemandem klar, wie besonders der Kaktuswald auf Key Largo eigentlich war. Erst 2019 fand der Biologe Alan Franck vom Florida Museum of Natural History heraus, dass die Baumkakteen auf Key Largo der sehr seltenen Spezies Pilosocereus millspaughii angehören. Da war der Niedergang des Waldes schon in vollem Gange.
Die letzten sechs Kakteen wurden in ein Gewächshaus gebracht
„2011 haben wir das erste Mal beobachtet, dass Salzwasser das Gebiet überflutet hat“, sagt Possleys Kollege James Lange, der an der Studie beteiligt war, in einer Presseerklärung. Als der Botaniker den Wald 2015 erneut besuchte, war die Hälfte der Kakteen tot. Irgendein Tier hatte die Pflanzen angefressen – wahrscheinlich um an das Wasser zu kommen, das sie speichern. Nie zuvor waren die stacheligen Kakteen, die immer wieder mal von Forschenden untersucht wurden, derart massiv angefressen worden.

James Lange vermutet, dass das mysteriöse Phänomen mit dem Anstieg des Meeresspiegels und der Überflutung der Region mit Salzwasser zu tun hatte. „Das hat die Menge an Süßwasser für kleine Säugetiere limitiert“, sagt er. Möglicherweise hätten sie deshalb angefangen, die Wasserreservoire der Kakteen aufzubrechen.
Bis heute ist es ein Rätsel, welches Tier den Kakteen derart zugesetzt hat. Die Forschenden installierten in den Resten des demolierten Waldes Kameras – ohne Erfolg. Der mysteriöse Kakteenfresser ging ihnen nicht in die Falle. Doch als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Jahr darauf zurückkamen, um nachzusehen, wie es dem Wald ging, waren weitere Kakteen abgestorben.
Im Jahr darauf fegte der Hurrikan Irma über die Keys und den Süden Floridas. Key Largo war danach tagelang von Salzwasser überflutet. Auf den Keys war Frischwasser damals derart knapp, dass Helfer und Helferinnen Planschbecken mit Wasser aufstellten, um Tiere vor dem Verdursten zu retten. Von dem Kakteenwald auf Key Largo versuchten Forschende zu retten, was noch zu retten war – viel konnten sie nicht mehr für den sterbenden Wald tun.

In den Jahren darauf folgten weitere Sturmfluten und Überschwemmungen mit Salzwasser. Im Jahr 2021 waren von dem ehemals mächtigen Wald nur noch sechs mickrige Stämme übrig. Alles, was die Forscher noch tun konnten, war, die Kakteen auszugraben und in ein Gewächshaus zu bringen. Geplant ist, sie irgendwann wieder auszusetzen. Die Frage ist nur, wo. An ihrem ehemaligen Standort auf Key Largo hätten sie keine Überlebenschance. Das Gebiet wird inzwischen regelmäßig von Salzwasser überschwemmt, der Boden ist deshalb erodiert und viel zu salzig.
„Leider könnte der Key-Largo-Baumkaktus ein Vorbote dafür sein, wie es auch anderen Pflanzen an niedrig gelegenen Küsten aufgrund des Klimawandels ergehen wird“, sagt Jennifer Possley. Die Florida Keys sind bekannt dafür, dass dort Pflanzen wachsen, die es sonst nirgends in den USA gibt und die auf den Inseln den nördlichsten Punkt ihres Verbreitungsgebiets haben.