Klimawandel:Je länger wir warten, desto teurer wird es

Ausstellung 'Level Green - Die Idee der Nachhaltigkeit' in Wolfsburg

Besucher einer Ausstellung über Klimawandel und Nachhaltigkeit in Wolfsburg (Archivbild)

(Foto: dpa)

Wetterextreme, abschmelzende Gletscher, Anstieg des Meeresspiegels: Die Folgen der Erderwärmung sind schon jetzt zu spüren. Richtig wehtun werden sie aber erst jenen, für die wir angeblich immer nur das Beste wollen: unseren Kindern. Und doch delegieren wir die Verantwortung an die Politik.

Ein Gastbeitrag von Hans Joachim Schellnhuber

Die Zahlen sind neu, die Erkenntnis ist es nicht: Der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen steigt weiter. Um 2,5 Prozent wird er dieses Jahr zunehmen, wie am Sonntag veröffentlichte Daten des Global Carbon Project zeigen. Das entspricht genau dem Trend der vergangenen zehn Jahre. Und die meisten Menschen, auch die Macher in Politik und Wirtschaft, winken ab: Ist doch alles bekannt. Den Klimagipfel des UN-Generalsekretärs diese Woche tun sie ab als leeres Gerede. Dabei ist genau dies das Unerhörte: dass die Emissionen aus der Verbrennung von Kohle und Öl einfach immer weiter zunehmen, Molekül für Molekül, Prozentpünktchen für Prozentpünktchen.

Ist der Klimawandel zu langsam? Zu langsam, um die Menschheit zu erschrecken, damit sie rechtzeitig etwas gegen ihn tut? Üblichweise heißt es, eine Entwicklung sei zu schnell, als dass sich gegen sie etwas machen ließe. Beim Klimawandel scheint es auf fatale Art umgekehrt zu sein: Erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts werden die Folgen der menschgemachten Erwärmung richtig wehtun, das klingt, als hätten wir noch sehr viel Zeit. Doch das stimmt nicht.

Was hier passiert, trifft unsere Kinder

Schon heute sind häufigere Wetterextreme, abschmelzende Gletscher und der unaufhaltsame Anstieg des Meeresspiegels unübersehbare Menetekel. So weit weg ist die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts nicht; was hier passiert, trifft unsere Kinder - jene also, für die wir doch angeblich immer nur das Beste wollen. Der richtige Zeitpunkt zum Handeln aber ist früher, viel früher.

Betrachten wir einmal den alles andere als radikalen Gedanken, dass jeder Mensch auf der Erde das gleiche Anrecht auf die Nutzung der Atmosphäre als CO₂-Endlager hat. Wenn man die Grenze von zwei Grad Erwärmung nicht überschreiten will, steht der Welt nur noch ein begrenztes Kohlenstoffbudget zur Verfügung, das sich auf die Nationen der Erde aufteilen ließe.

Sogar für den vermeintlichen Klimapionier Deutschland zeigt sich dann eine große Lücke zwischen den aktuellen Klimazielen der Bundesregierung und den notwendigen Emissions-Reduktionen: Bereits 2024 wird Deutschland sein Budget an CO₂-Ausstoß aufgebraucht haben. Hierbei sind die historischen Emissionen sogar noch außen vor gelassen - natürlich hat Deutschland seit der Industrialisierung sehr viel mehr Kohlendioxid ausgestoßen als zum Beispiel Indien.

Klimaforscher: Sechs Grad Erderwärmumg sind möglich; 140922_pol

Der Physiker Hans Joachim Schellnhuber, 64, erforscht seit mehr als 20 Jahren die globalen Klimaveränderungen. Er ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und unter anderem Mitglied des Weltklimarates.

(Foto: Alina Novopashina/dpa)

Die Zeit drängt

Die Zeit drängt, und Nichtstun kostet. Je später die Welt sich entschließt, den Ausstoß an Treibhausgasen zu senken, desto steiler muss die Emissionskurve dann nach unten gebogen werden. Spät zu handeln, wird sehr viel teurer als früh etwas zu tun, das zeigen alle Studien. Mit den Emissionen wachsen auch die Risiken. Hitzewellen schädigen Ernten, extreme Regenfälle führen zu Überschwemmungen, der Anstieg des Meeresspiegels begünstigt Sturmfluten. Je später wir konsequent das Klima schützen, desto höher wird am Ende die Rechnung sein. Im schlimmsten Fall stehen Sicherheit und Frieden in vielen Weltregionen auf dem Spiel.

Chinas Pro-Kopf-Emission von CO₂ hat mittlerweile die der Europäer überholt

Zwar ist dem Global Carbon Project zufolge in China der Ausstoß von Treibhausgasen 2013 mit 4,2 Prozent weniger stark gestiegen als in den Jahren zuvor. Das aber ist ein schwacher Trost: Bei den Pro-Kopf-Emissionen hat China uns Europäer im vergangenen Jahr überholt. Die Emissionen der Vereinigten Staaten stiegen wieder, nachdem zuvor der Trend hier eher nach unten gewiesen hatte. In Indien betrug der Anstieg stolze 5,1 Prozent - nicht nur wegen des Wirtschaftswachstums: Auch der CO₂-Ausstoß pro Dollar Wirtschaftsleistung stieg. In der EU sinken die Emissionen, doch ausgerechnet Deutschland setzt wieder verstärkt auf die besonders schmutzige Kohle.

Es gibt angesichts dieser Zahlen manchmal eine merkwürdige resignative Erleichterung: Egal, man kann sowieso nichts mehr tun. Diese Haltung hat die Fakten gegen sich. So hat eine Arbeitsgruppe des Weltklimarates in diesem Jahr festgestellt: Die wirtschaftlichen Kosten für die Einhaltung der Zwei-Grad-Grenze würden bei nur 0,06 Prozentpunkten des erwarteten mittleren jährlichen Konsumwachstums in diesem Jahrhundert liegen, wenn rasch gehandelt würde. Und da sind die Gewinne durch vermiedene Klimaschäden noch gar nicht eingerechnet. In Euro und Dollar kostet der Klimaschutz durchaus große Beträge, keine Frage. Aber, das zeigt die Forschung klar: Auch mit mehr Klimaschutz wächst unsere Wirtschaft, unser Wohlstand weiter. Und dann sogar nachhaltig.

Kann der UN-Gipfel, der an diesem Montag in New York beginnt, die Wende bringen? Ban Ki Moon, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, versucht, die Staatenlenker in die Verantwortung zu nehmen. Das ist gut. Auch wir Klimaforscher werden unsere Fakten vorstellen. Aber letztlich haben ähnliche Veranstaltungen bislang nicht zu einem wirklichen Umbruch geführt. Es fehlt offenbar an einer tragfähigen Verantwortungsarchitektur.

Der Staat soll es richten

Die Bürger delegieren die Verantwortung für die Stabilisierung unseres Klimas an die Politiker. Der Staat soll es richten - viele wollen die "Schuld" für die Umweltfolgen ihrer Lebensweise loswerden, ohne dafür höhere Lebenshaltungskosten zu akzeptieren. Dies führt wiederum dazu, dass die Politiker die auf sie übertragene Verantwortung nicht wahrnehmen: Warum sollen sie etwas tun, wenn die anderen Staaten nicht mitziehen? Warum sollen sie sich bei Wählern wie Wirtschaftsvertretern unbeliebt machen? Die Wirtschaftsvertreter wollen, bis auf Ausnahmen, erst recht keine Verantwortung für das Klima übernehmen.

Dabei gibt es Möglichkeiten. Die amerikanische Spitzenhochschule Harvard hat entschieden, ihr Geld - und das sind viele Milliarden Dollar Stiftungsvermögen - künftig nicht mehr in der fossilen Industrie anzulegen, also in Ölfirmen oder Kohlekonzernen. Die Wissenschaftler wollten sich die übliche Schizophrenie nicht länger leisten, einerseits die Erkenntnisse der Klimaforschung ernst zu nehmen und andererseits Zinsen aus dem schmutzigen Geschäft mit den Brennstoffen einzustecken. Dieser Weg, "Divestment" genannt, steht jedem Bürger offen, der auf ein Bankkonto oder in eine private Altersvorsorge einzahlt, jedem Unternehmen, jeder Institution.

Wenn unser Ausstoß an Treibhausgasen sinken soll statt steigen, müssen alle Verantwortung übernehmen: Konsumenten, Investoren, Wissenschaftler, Entscheider in der Wirtschaft, Politiker. Und zwar unabhängig von der vermeintlichen Bereitschaft der anderen, dasselbe zu tun. Nur so wird aus dem Risiko für unsere Zivilisation eine Chance für den Planeten - und damit für uns alle.

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